Friedhelm Boschert: "Ich verteufle Geld nicht"

(c) Clemens Fabry
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Friedhelm Boschert arbeitete jahrzehntelang als Banker. Heute leitet er Oikocredit Österreich, das Kredite an Menschen vergibt, die keine von der Bank bekommen. Der "Presse" erklärte er, wie das zusammenpasst.

Die Presse: Sie sind ein Banker mit sozialer Ader. Wie kommt's?

Friedhelm Boschert: Schon in meiner Studienzeit war ich politisch aktiv und in Umweltschutzgruppen unterwegs. Im Schwarzwald, wo ich herkomme, war das Waldsterben ein großes Thema, und in den Achtzigerjahren war die Atomkraftdiskussion auch sehr ausgeprägt. Da war ich überall mit dabei, weil es irgendwie klar war, dass jeder die Pflicht hat, an der Gesellschaft mitzuarbeiten. Heute bin ich in der Entwicklungshilfe aktiv. Für mich ist das eine Möglichkeit, einen Ausgleich zwischen Nord und Süd zu finden. Die Ungerechtigkeit in der Welt ist ja gigantisch.

Dass Sie Banker sind, hat Ihre Freunde, die gegen Atomkraft protestierten, nicht gestört?

Die Bank, bei der ich angefangen habe zu arbeiten, war eine Genossenschaftsbank mit einer Bilanzsumme von 45 Mio. Euro. Vom Grundmodell her ist das etwas völlig anderes als Investmentbanking.

Das hat Sie nie gereizt?

Nach dem Studium hatte ich die Option, im Investmentbanking zu arbeiten. Ich habe mich aber für eine genossenschaftliche Bank entschieden.

Stört Sie das Streben nach Gewinnmaximierung?

Ganz ehrlich: nein. Das Paradigma der letzten 20, 30 Jahre war, dass ein Unternehmen dazu da ist, Geld zu verdienen. Dass sich das Blatt jetzt wendet und man die Dinge anders betrachtet, ist o. k. Aber wir sind alle in dem Paradigma drinnengesteckt. Das war normal.

Heute sind Sie Vorstand der Genossenschaft Oikocredit, die Unternehmen in Entwicklungsländern finanziert. Merken Sie Mentalitätsunterschiede zu herkömmlichen Banken?

Unsere Mitarbeiter müssen sich damit beschäftigen, Partnerunternehmen zu finden, die den Kriterien von Umwelt, Sozialem und Unternehmensführung entsprechen. In einer normalen Bank muss man nur wissen, wie ein Kredit funktioniert. Klassische Banken müssen außerdem auf den finanziellen Return achten. Nicht nur das: Bei uns arbeiten die Leute freiwillig. Etwas, das sich meine Studenten nicht vorstellen können.

Dürfen Sie als Vorstand der Oikocredit eigentlich selbst in das Unternehmen investieren?

Ja, und das mache ich auch. Lang bevor ich hier Vorstand wurde, hatte ich meine Einlagen.

In welcher Höhe ist es sinnvoll, sein Geld für Mikrofinanzierungen auszugeben?

Immer nur mit einem Teil. Im Gegensatz zu den etablierten Banken haben wir auch keine Einlagensicherung, weil wir keine Bank sind. Von daher verbietet es sich schon, einen größeren Teil zu veranlagen.

Wer gibt Oikocredit denn Geld? Sind das eher Vermögende oder der Otto Normalverbraucher?

Der Otto Normalverbraucher. Das hat auch historische Gründe. Zunächst war die Idee, den Kirchen für ihre Gelder eine Anlagemöglichkeit zu geben. Erst nach und nach hat man sich Privatpersonen geöffnet.

Ist es schwer, Vermögende für Mikrofinanzierungen zu gewinnen?

Nach der Finanzkrise ist die Argumentation einfacher geworden, da die Bereitschaft gestiegen ist, auch in diese Richtung zu diversifizieren. Immer wieder merken wir, dass die Leute eine gewisse Verantwortung verspüren, wenn sie ihr Geld anlegen. Aber es sind nicht nur die ganz edlen Motive, die es hier gibt.

Würden Sie sich mehr Wohlhabende wünschen?

Ja, durchaus, wir haben das aber bisher noch nicht als Zielgruppe gesehen.

Warum nicht?

Weil wir erstens stark im kirchlichen Bereich zu Hause waren. Und weil wir zweitens auf keinen Fall abhängig werden wollen. Selbst wenn uns ein Vermögender ein paar Millionen Euro geben würde, würden wir das nicht machen. Wenn jemand dann beschließt, seine fünf Millionen Euro abzuziehen, hätten wir ein Problem. Wenn ich 1000 Leute mit einer Einlage von 5000 Euro habe, hat man einfach eine bessere Risikostreuung. Mit Moral hat das nichts zu tun.

Läuft man so nicht Gefahr, dass Vermögende eigene ethische Projekte aus dem Boden stampfen und Sie am Ende des Tages um dieses Geld umfallen?

Auch das wäre völlig o. k. für uns. Bei uns gibt es kein Streben danach, groß und größer zu werden oder alles abzudecken. Wir machen, was wir können. Eine Bank würde wahrscheinlich schon so agieren, weil dort Finanzkennzahlen im Vordergrund stehen. Aber im Jahr 2010 haben wir gesehen, was zu viel Geld im Mikrofinanzsektor macht. In Indien gab es Fehlentwicklungen. Bauern hatten bis zu fünf Mikokredite von fünf Organisationen aufgenommen. Und niemand hat darauf geschaut, weil Geld in Hülle und Fülle da war.

Neben Ihrer Position bei Oikocredit lehren Sie Führungskräfte Achtsamkeit und Meditation. Lässt sich die gelernte Achtsamkeit auf den Umgang mit Geld anwenden?

Was ist Achtsamkeit? Das ist zuallererst wichtig zu wissen. Ich unterrichte beim Managertraining, aus Denkgewohnheiten auszubrechen. Achtsamkeit ist Aufmerksamkeitssteuerung.

Wie leben Sie diese Achtsamkeit aus – auch im Umgang mit Geld?

Als reflektierte Haltung. Ich bin in den Sechzigern so erzogen worden, dass Geld nicht alles auf der Welt ist, aber man trotzdem darauf schauen muss, dass man möglichst viel verdient. Da muss ich hinterfragen: Renne ich nur dem Geld nach? Gibt es auch Dinge, die ich ohne Geld machen kann? Ich verteufle Geld nicht, ich verabsolutiere es aber auch nicht – das ist meine Einstellung. Jede Entscheidung, die ich treffe – sei es Fleisch zu essen, Biodiesel und Kokosöl zu kaufen oder Geld zu veranlagen – hat Konsequenzen. Die muss ich durchdenken und mich fragen: Kann ich damit leben oder nicht?

Sind Sie zu hundert Prozent ethisch veranlagt?

Nein. Ich habe Sparbücher bei Genossenschaftsbanken hier und in Deutschland – auch aus Diversifizierungsgesichtspunkten.

Wie sieht es bei Ihrer Vergangenheit als Banker mit Aktien aus?

Sie sind kein Tabu. Aber ich habe vor 15 Jahren mit Aktien aufgehört, weil ich meine Zeit als Privater nicht darauf verschwenden wollte, Aktien zu beobachten. Ganz normale Investmentfonds zählen zu meinen Anlagen, da bin ich absolut langweilig.

Wenn Sie eine Million geschenkt bekämen, was würden Sie machen?

Ein Teil käme zu Oikocredit. Aber man kann auch im Inland ethisch veranlagen, etwa bei anderen Alternativbanken. Dann gibt es noch Einzelprojekte, in die ich direkt eine Summe investieren könnte – im Bereich Biolandwirtschaft oder bei der Windenergie.

Es gibt einige Banken, die auf das Thema Nachhaltigkeit aufgesprungen sind, vor allem auf der Wertpapierseite – was halten Sie davon?

Ein Großteil fließt schon richtig. Wo ich kritisch werde – und das sehe ich vor allem bei Windparks –, ist der Trend zu gigantischen Maßstäben. Die Idee war es vor Jahren, Wind mit moderater Technologie zu erzeugen. Jetzt werden in Deutschland um Naturschutzgebiete herum Windräder gebaut, die mehr als 200 Meter hoch sind. Entschuldigung, das ist nicht mehr grün. Auch bei der Land- und Forstwirtschaft muss man achtgeben. Wir müssen wieder lernen, in kleinen Kategorien zu denken. [ Fabry]

ZUR PERSON

Friedhelm Boschert (*1959) startete seine Bankerkarriere bei der genossenschaftlich organisierten DZ Bank. Er arbeitete viele Jahre im Consultingbereich und wechselte 2002 zur Ärztebank nach Wien. 2005 wurde er Vorstand der Sberbank Europa (vorher Volksbank International). Seit 2014 ist Boschert Chef der Genossenschaft Oikocredit, die Mikrokredite vergibt. Mit seiner Firma Mindful Solutions bietet er Trainings für Unternehmen und Banken an.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.11.2016)

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