Der Kreml greift den Russen unter den Polster

(c) imago/Russian Look
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Nach wie vor horten Russen zu Hause Unmengen an verstecktem Geld. Angesichts des beschränkten Zugangs zum westlichen Kapitalmarkt eine Ressource, die der Staat nun mit Spezialanleihen bergen will. Wäre nur das Vertrauen da.

Wien/Moskau. Einen Tresor wollte sich Gennadi Janov nicht leisten. Aber wer auch immer zu den Ersparnissen des 58-jährigen Moskauer Mittelschullehrers, dessen Namen auf seinen Wunsch geändert wurde, gelangen will, braucht erst einmal Kraft. Schließlich ist der Schrank bis oben mit Büchern gefüllt. Das Geld aber liegt tief unter ihm, versteckt unter dem alten Buchenparkett. Eine kurze Kombination mit den verschiebbaren Massivholzstäbchen – und mehrere Dollar- und Rubelpakete kommen zum Vorschein. „Das mag Ihnen altmodisch erscheinen“, sagt Gennadi im Gespräch: „Aber mir wurde noch nie etwas geklaut.“

Gewiss, auch Gennadi hat nicht alle Eier in einen Korb gelegt, wie man in Russland die Risikostreuung gern umschreibt. Das meiste seines Geldes befindet sich heute auf der Bank. Gemeinsam mit dem zu Hause Gelagerten könnte sich der Mann etwa drei Autos kaufen. Oder einen Grund weit weg von Moskau. Geht es hingegen nach dem Wunsch des Finanzministers, so sollte auch Gennadi bald sein Erspartes im Interesse des Staates investieren. Ende Februar hat Russlands oberster Finanzbeamte, Anton Siluanov, das Vorhaben verkündet, ab April spezielle Staatsanleihen für das Volk aufzulegen. Keine großen Summen vorerst, so 20–30 Mrd. Rubel (etwa eine halbe Milliarde Euro) pro Jahr. Ab 30.000 Rubel ist man dabei.

Der Staat braucht Geld

Der Staat benötigt derzeit jeden Rubel so dringend, wie lang nicht. Zwar scheint die zweijährige Rezession im Land mittlerweile überwunden. Aber die Krise hat Finanzlöcher aufgerissen. Und der Zugang zum westlichen Kapitalmarkt bleibt aufgrund der Sanktionen beschränkt. Um die Ausgaben zu stemmen, braucht es neue Finanzquellen.

Das Ersparte der Bürger würde sich in der Tat anbieten. Zwar hat Umfragen zufolge nur ein Drittel der ökonomisch aktiven Russen überhaupt Geld auf der Seite. Aber trotz diverser Krisen haben sich dabei ansehnliche Summen angehäuft. Allein die Ersparnisse physischer Personen auf Rubel- oder Devisenkonten betrugen laut Zentralbank im Jänner 24,3 Bio. Rubel (392 Mrd. Euro). Über die Summen, die unter dem Polster oder Parkett liegen, gibt es nur Schätzungen. Das Statistikamt Rosstat, das freilich nur die Ersparnisse in Rubel zählt, beziffert den Anteil des in bar gehaltenen Geldes mit 17 Prozent.

Konkurrenz mit den Banken

„In Russland gibt es traditionell hohe Sparvermögen, die nicht in Investitionen gehen“, sagte Wirtschaftsminister Alexej Uljukajew Ende 2016 im Interview mit der „Presse“, ehe er ein paar Tage später in einer dubiosen Aktion in Moskau unter Hausarrest gestellt wurde: „Das Sparvermögen liegt bei etwa 30 Prozent der Wirtschaftsleistung, die akkumulierten Investitionen hingegen betragen nur 19–20 Prozent des BIPs. Diese riesige Diskrepanz ergibt ein Potenzial für das Wachstum.“

Finanzminister Siluanov macht kein Hehl daraus, dass es ihm vorrangig um das Geld geht, das „unter den Polstern lagert“. Er lockt bei einer dreijährigen Anleihe mit immerhin 7,5–10,4 Prozent für maximal drei Jahre Laufzeit. Ein brauchbares Investment angesichts der niedrigsten Inflation (5,4 Prozent) seit dem Ende der Sowjetzeit. Dennoch: Bankeinlagen sind ähnlich lukrativ. Nur ist die Einlagensicherung bei Banken mit 1,4 Mio. Rubel pro Sparer beschränkt, während pro Emission bis zu 25 Mio. Rubel an Anleihen erworben werden können, die zum Nominalwert garantiert zurückgekauft werden.

Nur schlechte Erfahrungen

Das Problem ist gar nicht so sehr die Konkurrenz der Banken. Das Problem ist das mangelnde Vertrauen der Bevölkerung. Wurden die Russen schon zur Sowjetzeit mit dem mehr oder weniger zwingenden Kauf von Staatsanleihen quasi geschröpft, so gingen in den 1990er-Jahren viele den Anbietern privater Finanzpyramiden auf den Leim, ohne von der staatlichen Finanzaufsicht geschützt zu werden. Dazu kamen diverse Geldentwertungen und der Rubelcrash im Jahr 1998.

Aber auch mit anderen Anlagen haben Russen so ihre schlechten Erfahrungen gemacht. Am meisten mit dem Börsengang von Russlands zweitgrößter Bank, VTB, der 2007 als Volks-IPO angekündigt wurde und bei dem sogar Kreml-Chef Wladimir Putin selbst die Bürger zum Aktienkauf aufgerufen hat. Die Papiere stürzten ab. Und da Putin vor den Präsidentenwahlen 2012 populäre Aktionen brauchte, verlangte er von der Bank, die Aktien zu einem akzeptablen Kurs wieder zurückzukaufen. „Ich gebe zu, ohne Putins politische Unterstützung hätte ich den Buy-back nicht gemacht“, sagte VTB-Chef Andrej Kostin kurz später im Interview mit der „Presse“: „Wir werden die Maßnahme nie mehr wiederholen, und wir halten sie nicht für ein Modell zur allgemeinen Praxis.“

Wie weit nun die Volksanleihen zur allgemeinen Praxis taugen, wird sich erst zeigen. Finanziell gesunden wird der Staat durch die Volksanleihen jedenfalls nicht. Dafür ist ihr Ausmaß zu marginal. Ohnehin gehe es laut Siluanov mehr darum, der Bevölkerung finanzielle Bildung beizubringen und eine Investitionskultur aufzubauen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.03.2017)

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