Börsianer lächeln wieder

Josef Ackermann
Josef Ackermann(c) AP (Michael Probst)
  • Drucken

Vorsichtig optimistisch. Die Stimmung hat sich gedreht – langsam beginnt man an den Aufschwung zu glauben.

Alle hoffen für 2010 auf einen Wirtschaftsaufschwung, und die Börsen nähren diese Hoffnung. Sie gaben den Anlegern bereits heuer Grund zum Lächeln. Zumindest in Europa: Hier stiegen die Kurse seit Jahresbeginn im Durchschnitt um knapp 20 Prozent. „Natürlich hat die Industrie extrem gelitten und erst einen Teil der Verluste wettgemacht, aber kostenseitig ist in den Unternehmen viel passiert. Nach der Bereinigung sollten sie gestärkt aus der Krise hervorgehen“, sagt Paul Severin, Aktienstratege der Erste Sparinvest. Chancen sieht er etwa in den Sektoren IT, Finanzdienstleister/Banken, Pharma und Gesundheit.
Die Finanzaktien betrachtet Denise Franz, Product Specialist Equities bei der DWS, derzeit eher mit Skepsis. „Die Finanztitel haben heuer bereits überdurchschnittlich performt – sie konnten rund 50 Prozent zulegen, im Vergleich zum Marktdurchschnitt von 21 Prozent. Außerdem sind in vielen Banken noch weitere strukturelle Maßnahmen und konjunkturbedingte Kreditabschreibungen notwendig.“ Bei der DWS sind Finanztitel daher derzeit untergewichtet. „Die zyklischen Sektoren haben die konjunkturelle Erholung schon antizipiert und zeigen eine extrem gute Entwicklung“, sagt Franz. Sie schaut im Moment genauer auf die Branchen, bei denen die Aufholjagd noch stockt. Versorger beispielsweise, die mit minus sieben Prozent ganz hinten auf der europäischen Sektorenliste stehen, haben noch Kurspotenzial.

Es wird wieder gebaut

Ausgesprochen gut geht es dem Sektor Rohstoffe und Grundmaterialien. Fast um 72 Prozent schossen diese Werte heuer (in Europa) in die Höhe – freilich, nachdem sie davor sehr tief abgestürzt waren. „Bei den Sektoren stehen Basic Materials bei uns im Moment an zweiter Stelle“, erklärt Joe Stadler, Portfoliomanager bei Kathrein & Co. Die Investmentexperten arbeiten dort mit einem quantitativen Modell, in das neben historischen Preisentwicklungen die internationalen Analystenmeinungen einfließen. In der darauf basierenden Sektoren-Einschätzung wird der Baubranche und den Baustoffen die beste Entwicklung zugetraut, und zwar in Europa wie in den USA. Grundstoffe und Rohstoffe (Basic Materials) finden sich – ebenfalls in Europa und den USA – auf Platz zwei, an dritter Stelle stehen in Europa Medien, in den USA Chemie. „Der Sektor Medien war durch ausbleibende Werbeschaltungen schwer getroffen, wir sehen jetzt aber wieder eine Besserung in der Branche“, erklärt Stadler. In den Portfolios von Kathrein finden sich derzeit daher Aktien wie Vinci (Glashersteller für die Bauindustrie), Holcim (Zementproduzent), Rio Tinto (Bergbaugesellschaft) oder Freeport McMoran (Kupfer-, Gold- und Silberproduzent). Die französische Television FSE (TF1) ist sich im europäischen Portfolio, als Beispiel für einen US-Chemiewert nennt Stadler das Unternehmen Dupont (USA).
s-6;0Dass es an den Börsen – trotz teils heftiger Rückschläge – längerfristig bergauf gehen sollte, darauf deutet auch die grundsätzlich wieder optimistischere Stimmung hin. Haben die Aktien in der Abwärtsphase teils überproportional bei der geringsten schlechten Nachricht verloren, während gute Nachrichten weitgehend ignoriert wurden, so werden erfreuliche News von den Börsianern mittlerweile wieder goutiert. Die Ergebnisse des dritten Quartals etwa hielten zuletzt viele positive Überraschungen bereit. So konnte beispielsweise die Allianz ihren Gewinn mehr als verdoppeln – und aus dem Minus vom Vorjahr wurde wieder ein Plus.
sVor allem in den USA haben die präsentierten Zahlen die Erwartungen meist übertroffen. Allerdings ist nicht ganz auszuschließen, dass die Analysten die Erwartungen bewusst eher niedrig halten, um nicht erneut ins Kreuzfeuer der Kritik zu geraten. Und nach wie vor ist die wirtschaftliche und damit auch die Aktienentwicklung von der Fortführung der zahlreichen staatlichen Konjunkturmaßnahmen abhängig. Die Diskussion in den einzelnen Ländern darüber, ob die Maßnahmen auslaufen oder doch noch verlängert werden sollen, hat maßgeblichen Einfluss darauf, ob das „Momentum“ der Konjunkturerholung erhalten bleibt.

Genau hinsehen

Arbeitsmarkt und Kapazitäten hinken der Konjunkturentwicklung naturgemäß hinterher, es gibt also auch Potenzial für neue schlechte Nachrichten. Wie die Börsen darauf reagieren würden, bleibt abzuwarten.
Die Brancheneinschätzungen divergieren zum Teil. So sieht Franz etwa den Telekom-Sektor positiv, bei der Erste Sparinvest wird dieser dagegen als eher teuer bewertet. Wichtig bleibt in jedem Fall, genau hinzusehen, wie es um das jeweilige Einzelunternehmen steht. Sektor hin, Branche her – entscheidend ist letztlich das Potenzial jeder einzelnen Aktie.
Die Kommentare zur aktuellen Börsensituation klingen verhalten positiv, laut gejubelt wird noch nicht. Die technischen Indikatoren deuten auf eine „Fortsetzung des positiven Trends“, heißt es etwa bei der Erste Sparinvest; auch Franz zeigt sich für die kommenden zwei Jahre „vorsichtig optimistisch“, was den Aktienmarkt betrifft. Aber das reicht ja schon, um ein Lächeln auf die Gesichter der Börsianer zu zaubern.

Auf einen Blick

Die europäischen Börsen verzeichneten seit Jahresbeginn im Schnitt einen Kursanstieg um knapp 20 Prozent. Die Unternehmen haben zwar erst einen Teil ihrer Verluste wettgemacht, Analysten bewerten aber auch Kostensenkungsmaßnahmen und Strukturbereinigungen positiv. Der Stimmungsumschwung zeigt sich auch darin, dass die Börsen inzwischen wieder auf gute Nachrichten reagieren. Allerdings gibt es auch noch reichlich Potenzial für Bad News – vor allem auf dem Arbeitsmarkt.

("Financial Presse", 13.11.2009)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.