Das Tal der Tränen wird länger und tiefer: Der Bitcoinpreis kennt derzeit kein Halten mehr und fällt immer weiter. Der Hype aus dem Vorjahr ist längst vergessen. Was ist da geschehen?
Wien. Enthusiasmus, Gier und Wahn: Vor genau einem Jahr hat der Bitcoin-Preis alle Stationen einer Bilderbuch-Bubble durchlaufen. In Rekordzeit. Nach einer Korrektur Anfang November ging es binnen eines Monats um sportliche 260 Prozent nach oben. Schluss war bei knapp unter 20.000 Dollar. Am 17. Dezember 2017 platzte die Blase. Jetzt, genau zwölf Monate später, sind die Bitcoin-Anleger in der Hölle angelangt. Die große Mehrheit der Bitcoin-Anleger sind unerfahrene Retail-Investoren, die sich das große Geld erhofft haben. Sie stehen vor den Trümmern dieses Traums. Wie konnte das geschehen?
Der heurige Absturz war brutal. Freitagnachmittag stand der Bitcoin-Preis bei 3270 Dollar – ein Minus von 83 Prozent. Von den Hunderten anderen Kryptowährungen haben viele 95 Prozent verloren – oder mehr. Was auch stimmt: Wer ganz früh bei Bitcoin dabei war, bei 20 Dollar, bei 100 oder bei 1000, der wird auch bei einem Bitcoinpreis von knapp über 3000 nicht nervös. Aber das ist eine winzige Minderheit.
Eines liegt auf der Hand: Was parabolisch ansteigt, kommt rasch auch wieder runter. So war das bei den Dotcom-Aktien – und so war es auch bei Bitcoin schon mehrmals. Das Wachstum der Kryptowährung, die erst knapp zehn Jahre auf dem Markt ist, wird von einer Serie von Blasen und Crashs begleitet. 2011 stieg der Preis kurz auf 30 Dollar und fiel dann auf 2,5 – ein Absturz von mehr als 90 Prozent.
Schuld ist Ethereum
Aber diesmal ist doch alles anders, denn Bitcoin ist nicht mehr allein. Das vergangene Jahr war vor allem vom Aufstieg von Ethereum geprägt. Die aktuelle Nummer drei auf dem Markt hat 2017 einen Preisanstieg von atemberaubenden 20.000 Prozent gesehen: von rund sieben Dollar auf 1400 in der Spitze. Aktuell liegen wir bei rund 80 Dollar, was einem Minus von 94 Prozent entspricht. Grund für den Hype war eine technische Fähigkeit von Ethereum. Jedermann kann auf der Ethereum-Blockchain eine eigene Coin kreieren – ohne großes technisches Grundwissen.
Das sollte – theoretisch – die Verbreitung der viel gelobten Blockchain-Technologie vorantreiben. Aber in erster Linie hat es findigen Geschäftemachern ermöglicht, für ihre waghalsigen Projekte Geld von naiven Anlegern einzusammeln. Fernab von den Regeln und Regulierungen der „echten“ Finanzwelt. Bei sogenannten ICOs, wie die digitalen Börsengänge auf der Blockchain heißen, wurden Milliarden eingesammelt.
Hunderte Projekte, die während des Hypes entstanden sind, gelten inzwischen als klinisch tot. Anleger, die nicht rechtzeitig ausgestiegen sind, müssen einen Totalverlust verkraften. Es ist aber völlig unklar, wie viel Luft noch in der ICO-Bubble steckt. Bitcoin dient in dieser Welt als Reservewährung. Erst wenn die gesamte Luft aus der Blase ist, kann mit einer Bodenbildung im Preis gerechnet werden. Gleichzeitig sieht sich die Branche mit massiven Manipulationsvorwürfen konfrontiert. Manche behaupten sogar, das der gesamte Anstieg von 10.000 auf 20.000 Dollar die Machenschaft von Manipulatoren war.
Nichtsdestotrotz gibt es noch viele Enthusiasten. Nach der reinen Bubble-Lehre sollten die meisten aufgeben, bevor es wieder bergauf gehen kann. Aber auch an der Wall Street will man Bitcoin noch nicht aufgeben. Größen wie Goldman Sachs, Fidelity und Nasdaq drängen in den Markt. Sogar Universitäten wie Yale, Harvard, Stanford und das MIT haben Gelder in Krypto-Fonds gesteckt. Für Nachrufe auf Bitcoin ist es also wohl noch zu früh – trotz des horrenden Jahres 2018.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.12.2018)