Finanzmärkte: Nackte Panik, einsame Deutsche

(c) AP (Richard Drew)
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Deutschland versucht, die Spekulation mit Staatsanleihen zu verbieten. Und stößt den Rest Europas vor den Kopf: Finanzminister Schäuble hatte beim Ministertreffen weder Amtskollegen noch EU-Kommission informiert.

BRÜSSEL. Erstmals in der Geschichte der Währungsunion versucht ein EU-Land, die Spekulation auf Staatsanleihen zu beschränken. Seit Mittwoch verbietet die deutsche Finanzmarktaufsicht BaFin bis 31. März 2011 ungedeckte („nackte“) Leerverkäufe von Anleihen aller 16 Euroländer ebenso wie den Kauf von „nackten“ Credit Default Swaps (CDS) auf solche Bonds.

Einfach ausgedrückt heißt das: Fortan darf man in Deutschland erstens nicht mehr dadurch auf die Insolvenz von Euroländern wetten, indem man ihre Anleihen zu einem bestimmten Zeitpunkt und einem bestimmten Kurs verkauft, ohne sie beim Abschluss dieser Wette bereits zu besitzen. Und man darf zweitens auch nicht auf den drohenden Bankrott von budgetpolitischen Sorgenkindern wie Griechenland, Spanien oder Portugal wetten, indem man eine Kreditausfallsversicherung (das ist ein CDS im Kern) kauft, ohne gleichzeitig auch die betreffende Anleihe des Staates zu besitzen, gegen dessen Zahlungsausfall man sich schützen will.

Im gleichen Atemzug verbot die BaFin auch ungedeckte („nackte“) Leerverkäufe der Aktien von zehn an der Frankfurter Börse notierten Banken und Versicherungskonzernen, darunter die Deutsche Bank und die Allianz.

Was ist „nackt“?

Letzteres ist nicht neu. Laut Übersicht des Ausschusses der Europäischen Wertpapierregulierungsbehörden (CESR) haben derzeit 15 EU-Staaten einschließlich Österreich dauerhafte oder befristete Verbote ungedeckter Leerverkäufe von Aktien aller oder bestimmter Unternehmen. Damit soll verhindert werden, dass ein Aktienkurs gezielt nach unten gedrückt wird, obwohl seine Bilanzkennzahlen eine solche Abwertung nicht rechtfertigen würden. Mit dem „nackten“ Leerverkauf kann man nämlich, zumindest theoretisch, mit mehr Aktien spekulieren, als es tatsächlich gibt. Man hat sie ja zum Zeitpunkt der Wette nicht in der Hand, sondern verpflichtet sich nur, sie zum vereinbarten Zeitpunkt und Kurs zu verkaufen.

Ob dieser Vorstoß sein Ziel erreicht, ist fraglich. Denn es ist schon bei Aktien, die mehrheitlich an regulierten Börsen gehandelt werden, fast unmöglich festzustellen, ob eine bestimmte Transaktion „nackt“ war. „Wir erkennen im System nicht, ob das ein Leerverkauf war oder nicht“, sagte ein Sprecher der Deutschen Börse.

Bei Anleihen und vor allem CDS wird das noch schwerer. Letztere werden nämlich hauptsächlich „over the counter“, also direkt zwischen den Investoren, gehandelt. Man müsste also in die Handelsbücher der verdächtigen Finanzakteure Einblick nehmen – aber die sitzen in ihrer Mehrheit nicht in Frankfurt, sondern in New York, Singapur und London.

Paris n'est pas amusée

Zudem hat Deutschland mit diesem Solo den Rest Europas ziemlich überrascht. Um nicht zu sagen: vor den Kopf gestoßen. Finanzminister Wolfgang Schäuble hatte am Dienstag beim Finanzministertreffen weder seine Amtskollegen noch die EU-Kommission informiert. Dabei steht schon am Freitag das erste Treffen der Finanzminister-Arbeitsgruppe unter Ratspräsident Herman Van Rompuy auf dem Programm, bei dem genau solche Fragen erörtert werden sollen. Frankreichs Finanzministerin Christine Lagarde konnte ihren Ärger nur schwer unterdrücken. „Mir scheint, dass man zumindest den Rat der anderen Mitgliedstaaten suchen sollte, die von dieser Maßnahme betroffen sind.“

Berlin bremst Brüssel aus

Und auch Dienstleistungskommissar Michel Barnier ist sauer. Denn erst am Montag hatte er angekündigt, im Oktober einen Vorschlag zu machen, wie man Leerverkäufe (auch solche von Staatsanleihen) EU-weit einheitlich regulieren kann. Berlin hat Brüssel hier ausgebremst: Denn derzeit hat die Kommission kein Mandat, solche Alleingänge zu untersagen, sagte Barniers Sprecherin.

WORUM GEHT ES?

Nackter Leerverkauf: Wer meint, dass der Wert einer Aktie oder Anleihe fallen wird, profitiert von dieser Entwicklung, ohne das Wertpapier zu besitzen. Er verpflichtet sich, das Papier zu einem bestimmten Termin und Preis zu verkaufen. Verliert er die Wette, weil der Kurs steigt, muss er es auf dem Markt kaufen. Problem: Man kann mehr Papiere nackt und leer kaufen, als es sie tatsächlich gibt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.05.2010)

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