„In der Schweiz könnte es Negativzinsen geben“

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Finanzexperte Michael Seidl erklärt, dass jene Anleger, die in den Franken flüchten, ein großes Problem haben: Was machen sie mit dem Geld in Franken, wenn die Aktienmärkte wieder nach oben drehen?

„Die Presse“: Seit Sommer flüchten die Investoren mit ihrem Geld in den Schweizer Franken oder in sichere Staatsanleihen. Was sagt das über das Umfeld aus, in dem sich die Anleger aktuell befinden?

Michael Seidl: Das Umfeld ist sehr schwierig. Die Aktienmärkte bewegen sich gerade nur seitwärts. Bei festverzinslichen Anleihen ist das Zinsniveau ein Problem, da in vielen Ländern die Inflationsrate höher ist, als die Zinsen von guten Emittenten sind.

Warum zogen zuletzt Investoren massenweise Geld aus dem Euroraum in den Schweizer Franken ab? Aus Angst vor einer Eurokrise?

Seidl: Der Euro ist nicht so schlimm, wie er dargestellt wird. Die Investoren, die jetzt aus Angst in den Franken fliehen, haben ein großes Problem: Was machen sie mit dem Geld in Franken, wenn die Aktienmärkte wieder nach oben drehen? Das Zinsniveau in der Schweiz ist noch schlechter als in Europa, in Franken notierte Aktien zu investieren ist zudem nicht wirklich attraktiv. Dort gibt es wenig gute Investitionsmöglichkeiten, da es nur wenige große Börsenfirmen mit interessanten Wachstumschancen gibt. Das heißt: Entwickeln sich die Aktienmärkte wieder positiv, müssen die Anleger in den Euro oder Dollar gehen. Diese Situation hatten wir schon vor knapp sechs Wochen, als der Eurokurs plötzlich von 1,31 auf 1,37 Franken hochsprang.

Das heißt, wir werden bald wieder einen schwächeren Franken sehen?

Seidl: Ja, die Schweizer Wirtschaft hat ein Problem mit einem starken Franken, das macht ihre Produkte extrem teuer. Ich kann mir vorstellen, dass es in der Schweiz bald Negativzinsen geben könnte, damit der Geldfluss in den Franken blockiert wird.

Spielen bei den Anlegern Rezessionsängste eine Rolle? Oder wie kann man sich erklären, dass sichere deutsche Bundesanleihen zuletzt extrem beliebt waren?

Seidl: Ich glaube nicht, dass Europa und auch Deutschland das Tempo halten können. Im dritten und vierten Quartal wird es eine Abschwächung geben, mit einer Rezession rechne ich aber nicht. Eine Fluchtbewegung in sichere Staatsanleihen muss man aber differenziert sehen: Es fehlen derzeit die Alternativen. Für risikoreiche Investments ist die Lage ungünstig. Viele Marktteilnehmer greifen daher zu Staatsanleihen, die mittlerweile bei der Rendite nicht mehr viel schlechter sind als Anleihen von sicheren Unternehmen.

Was bleibt den Anlegern anderes übrig, als sich mit einer dürftigen Rendite bei sicheren Staatsanleihen abgeben zu müssen?

Seidl: Gut verdienen kann man mit Investitionen in kleine und mittlere Firmen, die im Bereich der alternativen Energien tätig sind und wegen der Basel-II-Richtlinien einen schwierigen Zugang zu Krediten haben.

Sie haben kürzlich einen Wertsicherungsfonds aufgelegt. Hierzulande haben Garantiefonds nach der Finanzkrise nicht gerade für große Freude bei den Investoren gesorgt.

Seidl: Unser Fonds ist moderner gestaltet als ein klassischer Garantiefonds. Wir sichern 90 Prozent des Kurses ab, aber nicht durch eine Garantie. Je nach Situation investieren wird das Geld sicher (Geldmarkt) oder riskant (Aktienmarkt oder nachhaltige Investments). Die Schwelle zwischen Wertsicherung und Risiko ist flexibel. Wenn wir einen nachhaltigen Aufwärtstrend auf den Aktienmärkten sehen, gehen wir mehr Risiko ein. Derzeit sind wir aber mit 90 Prozent im Geldmarkt investiert. Das hat den Vorteil, dass man bei steigenden Märkten profitieren kann und noch immer ein Sicherheitsnetz von 90 Prozent hat.

Die aktuelle Lage ist nicht gerade optimal für den Fonds. Auf dem Geldmarkt gibt es kaum Zinsen zu holen – und an den Aktienmärkten zeichnet sich noch ein Trend nach oben ab.

Seidl: Das stimmt. Der Vorteil für die Kunden ist derzeit, dass sie sich in einer Standby-Situation befinden, sie sind für beide Szenarien gerüstet. Geht es abwärts, sind sie abgesichert. Geht es aufwärts, machen sie die Performance mit. Bei Garantiefonds ist das anders, wie man in der Krise gesehen hat. Durch den Absturz an den Börsen ging der Risikoanteil verloren, den Aufschwung konnte man seither nicht mitmachen.

Was macht Sie optimistisch, dass der Aufwärtstrend an den Börsen schon bald kommt?

Seidl: Ich bin optimistisch, dass sich die Märkte ab dem vierten Quartal wieder nach oben bewegen. Die große Frage ist jedoch, ob die USA es schaffen, das Ruder herumzureißen und eine nachhaltige Wende nach oben einzuleiten.

ZUR PERSON

Michael Seidl ist Gründer und Eigentümer der Money Service Group (MSG). Er studierte Betriebswirtschaft in München.

Die Money Service Group ist ein Finanzdienstleistungsunternehmen mit Sitz in Liechtenstein und legt eigene Fonds auf.
Interview. Seidl erklärt, warum sichere Staatsanleihen bei den Anlegern derzeit beliebt sind. Von einer Flucht in den Schweizer Franken hält er wenig. Wenn es mit den Börsen bergauf geht, müsste man aus dem Franken schnell wieder raus, sagt er.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.09.2010)

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