Wilfried Stadler: "Finanzsystem herunterfahren"

Wilfried Stadler Finanzsystem herunterfahren
Wilfried Stadler Finanzsystem herunterfahren(c) FABRY Clemens
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Ex-Bankvorstand Wilfried Stadler plädiert für einen radikalen Neustart der Finanzwirtschaft nach der Krise und bezweifelt, dass die "unsichtbare Hand des Marktes" in einer unregulierten Umgebung funktioniert.

Herr Stadler, Sie haben ein Buch über die Ursachen der Finanzkrise und deren Bewältigung mit dem Titel „Der Markt hat nicht immer recht“ geschrieben. Hat die unsichtbare Hand des Marktes in der Finanzkrise versagt?

Wilfried Stadler: In der Finanzwirtschaft ja. Ich bin ein sehr marktliberaler Mensch. Aber eine nicht regulierte Finanzwirtschaft, die so tut, als hätte sie allzeit effiziente Märkte als Rechtfertigungsgrund, gefährdet die Realwirtschaft. Dort funktioniert die „unsichtbare Hand“ ja sehr gut.

Woran liegt das?

Jeder Markt braucht einen Rahmen. Wir müssen die Marktliberalität in der Realwirtschaft also durch eine Regulierung in der Finanzwirtschaft schützen.

Wo würden Sie da ansetzen?

Wir müssen die Ursachen sehen, die zu den Fehlentwicklungen geführt haben. Der Return on Equity (Eigenkapitalrentabilität) hat sich als Orientierungsgröße in der Finanzwirtschaft als unerhört fehlerhaft erwiesen. Bei den Incentivesystemen war er sogar fatal, weil er den Anreiz gesetzt hat, das Eigenkapital möglichst klein zu halten. Der Hauptfehler war aber, den Banken die Möglichkeit zu geben, Ausleihungen mit gewichteten Eigenmitteln zu unterlegen. Das hat zu extremen Kreditschöpfungsmöglichkeiten geführt. Das europäische Großbankensystem ist mit Leverages (Hebel) von 35 in die Krise gegangen.

Was wäre denn vertretbar?

Man muss dafür sorgen, dass der Hebel dauerhaft nicht mehr als zehn ist, dann wird man das Bankensystem stabiler machen. Die Großbankenlobbys kämpfen aber noch immer für 35.

Die sind aber sehr einflussreich.

Das ist ein Problem. Wenn wir den Hebel verkleinern, dann werden die großen Finanzplätze Teile der Spielbanken, die sie für Derivativgeschäfte unterhalten, schließen müssen. Es ist eine demokratiepolitische Frage ersten Ranges, ob „Mainstreet“ stark genug ist, um „Wallstreet“ in die Schranken zu weisen.

Sie plädieren für eine Änderung der Bilanzierungsregeln.

Eines der massivsten Grundprobleme ist derzeit, dass man Bankbilanzen auf den ersten Blick nicht mehr interpretieren kann. Hinter jeder Zahl steht ein ganzes Bündel von Annahmen, die unterschiedlich angewendet werden und großen Spielraum gewähren.

Wesentliche Risken werden aber außerhalb der Bilanzen geführt.

Die „Schattenbanken“ zum Beispiel, nicht kontrollierte spezielle Investmentgesellschaften außerhalb der Bilanz, sind in den USA in Summe 1,3-mal größer als die Banken selbst. Da müssen Notenbanken und Finanzmarktaufsichten konsequent hineinleuchten. Wenn man festlegt, dass echte Eigenmittel, die nicht wie jetzt an Marktwerten gemessenes flüchtiges Eigenkapital enthalten, eine bestimmte Relation zu Fremdmitteln haben müssen, und wenn man Banken veranlasst, von jedem Produkt, das sie für andere konstruieren, 10 oder 20 Prozent selbst zu halten, dann kommt man einer Lösung für das Problem der Finanzmarktstabilität schon wesentlich näher.

Dann haben wir noch immer das Problem des „Too big to fail“.

Nein, das haben wir dann nicht mehr. Die Banken müssten ihre Aktivitäten dann ja stark zurückfahren und sich auf ihre Kernaufgabe, die Finanzierung der Realwirtschaft, konzentrieren. Sie wären dann noch immer „big“, aber das „fail“ ginge nicht mehr so leicht.

Sie waren während der Finanzkrise Vorstand einer österreichischen Großbank. Wieso konnten Sie diese Erkenntnisse damals dort nicht umsetzen?

Ich habe vor der Krise schon Einzelerscheinungen des Systems kritisiert, etwa die unkritische Übernahme angloamerikanischer Spielregeln. Allerdings habe auch ich wie alle an die Wirksamkeit der damaligen Kontrollmechanismen und an das alte Set von Spielregeln geglaubt. Bis zu dessen Scheitern. Jetzt ist es mein Anliegen, dass wir aus dem, was wir heute wissen, die richtigen Schlüsse ziehen.

Ist die Branche insgesamt bereit, aus der Krise zu lernen?

Das ist die entscheidende Frage. Die Finanzkrise hat gezeigt, dass sich die Finanzwirtschaft nicht dauerhaft von der Realwirtschaft entkoppeln lässt. Wer das aber vor ein paar Jahren gesagt hat, galt als Beckenrandschwimmer. Es hat eine kollektive Fehlentwicklung gegeben. Eine, die man nur kollektiv korrigieren kann, weil sie regulatorisch gesteuert ist.

Wenn zu viel reguliert wird, sinkt die Kreditvergabe, sagen die Banken.

Das ist ein Argument, gegen das sich die Unternehmerwirtschaft massiv zur Wehr setzen müsste. Wenn die Unternehmerwirtschaft nach den geltenden Eigenkapitalregeln der Finanzwirtschaft arbeiten würde, wäre die Hälfte der Betriebe insolvent. Man muss das Finanzsystem kontrolliert herunterfahren und wieder zum Dienstleister für die Realwirtschaft machen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.03.2011)

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