Neue Schatten über dem Finanzsystem

Neue Schatten ueber Finanzsystem
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Vor zwei Jahren wollten die G20 den Finanzmarkt als Folge der Krise bis ins Detail kontrollieren. Doch der hat Auswege gefunden, und die Banken sind größer als je zuvor.

Wirtschaft ist kompliziert. Aber man kann die Ursachen für die Weltfinanzkrise in 21 Zeilen recht einfach erklären: Amerikanische Banken gaben ihre Immobilienkredite an US-Investmentfirmen, die daraus gemeinsam mit anderen Krediten „Collateralized Debt Obligations“ (CDOs) machten. Die Investmentfirmen bezahlten Ratingagenturen dafür, diese CDOs zu bewerten. Weil die Agenturen gute Ratings vergaben (meist AAA), kauften weltweit Kunden diese CDOs.

Am Ende kümmerte sich die Bank nicht mehr darum, ob der Kreditnehmer den Kredit auch tatsächlich bezahlen kann, weil sie die Ausstände ohnehin auslagerte. Die Investmentbanken kümmerten sich wiederum nicht um die Seriosität der CDOs, weil sie Geld mit deren Verkauf verdienten. Die Ratingagenturen kümmerten sich nicht um ihre Ratings, weil sie für ihre Bewertungen nicht hafteten. Alle waren zufrieden und tanzten – bis die Musik aufhörte zu spielen.

Und als sie das tat, hatte das weltweit verheerende Auswirkungen. Es ist schwer, genau zu sagen, wie teuer die Krise die Menschheit seit 2007 kam. Allein die Banken in den USA und Europa mussten nach einer Berechnung des Internationalen Währungsfonds (IWF) 3000 Milliarden Dollar an Krediten abschreiben.

Die deutsche Commerzbank errechnete, dass die Krise jeden Erdbewohner 1500 Dollar gekostet hat (gesamt etwa 10.000 Milliarden Dollar). Die Asiatische Entwicklungsbank (ADB) will sogar auf die Summe von 50.000 Milliarden Dollar kommen, die die Krise an Vermögen vernichtet hat. Das entspricht ungefähr der dreieinhalbfachen Wirtschaftsleistung der Vereinigten Staaten von Amerika (Bruttoinlandsprodukt von 14.500 Milliarden Dollar).


Mangelnde Aufsicht. Der Grund allen Übels, darüber sind viele der sich sonst gerne widersprechenden Wirtschaftsexperten einig, war mangelnde Kontrolle und Aufsicht. Der IWF sprach von einem „unkontrollierten Bereich“, der das Beben verursacht habe. Die EU schreibt in einem Bericht („Regulierung der Finanzdienstleistungen für nachhaltiges Wachstum“) von einem „eindeutig unangemessenen Regulierungs- und Aufsichtsrahmen für den Finanzsektor (...), der mit dem intensiven Innovations- und Globalisierungsprozess nicht Schritt halten konnte“.

Oder wollte: In Island wechselte beispielsweise vor dem Zusammenbruch mehr als ein Drittel der Mitarbeiter der Finanzaufsicht in den viel besser bezahlenden Bankensektor; in den USA reduzierte die Finanzmarktaufsicht massiv Personal, weil sie keine Notwendigkeit für ihre Arbeit sah.

Die Konsequenz aus der Krise war für die Staatengemeinschaft klar. „Kein Produkt des Finanzmarkts soll künftig unreguliert oder unbeaufsichtigt sein“, betonten die 20 führenden Industrienationen (G20) in der Abschlusserklärung beim Gipfeltreffen am 2. April 2009 in London. Knapp zwei Jahre später haben die Regierungen tatsächlich weitgehende Regelungen für den Finanzbereich erlassen: von strikteren Eigenkapitalvorschriften für die Banken über das Verbot kurzfristiger Boni bis zu neuen Aufsichtsbehörden.

Gebannt ist die Gefahr einer neuerlichen Finanzkrise damit aber keineswegs, glaubt man Studien und Experten. Der IWF urteilt in einem Diskussionspapier („Crisis Management and Resolution: Early Lessons from the Financial Crisis“), dass „die Verwundbarkeit des globalen Finanzsystems groß bleibt“. Bernhard Felderer, Direktor des Instituts für Höhere Studien (IHS) in Wien, meint, es sei zwar „viel geschehen“, ausschließen könne man eine neuerliche Krise aber nicht. Und Franz Hahn vom Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) vergleicht die Finanzmärkte mit einem Atomkraftwerk: „So lange sie gut reguliert sind und die Aufsichtsbehörde kompetent ist, funktionieren sie prächtig. Ist das nicht der Fall, kann es zum GAU kommen.“

Europa hätte jedenfalls seit 1. Jänner 2011 genügend Kontrollore: Es gibt eine neue Aufsicht für das Bankwesen (EBA), eine für die Wertpapiermärkte (Esma), für das Versicherungswesen (Eiopa) und einen Ausschuss für Systemrisiken (ESRB). Letzterer soll ein Vorwarnsystem zur Erkennung und Prävention von systemischen Risiken sein. Allein: „Wir können in Europa regeln, so viel wir wollen. Die großen Märkte sind in London, New York und zunehmend Asien. Und wenn die nicht mitspielen, können wir uns all unsere Regeln hinter die Ohren schmieren“, meint Felderer.


USA stehen auf der Bremse. Gerade die USA spielen nicht so mit, wie man es sich in Europa wünschen würde. Groß angekündigte Reformen sind stecken geblieben oder wurden verschoben. Während Europa beispielsweise schon Basel III vorbereitet, das Banken unter anderem eine Eigenkapitalquote von mindestens sieben Prozent vorschreibt, haben die USA noch nicht einmal Basel II implementiert.

„Man ist dort sehr zögerlich“, sagt ein Finanzbeamter vorsichtig, der die europäischen Regeln mitverhandelt hat. „Viele Bereiche sind nicht reguliert, weil die Finanzlobby erfolgreich auf die Bremse trat.“

Aber selbst für den regulierten Bereich gibt es einen Ausweg, nämlich den Schattenbereich. „Die größte Gefahr für die Finanzstabilität ist die Verschiebung der Risiken aus dem kontrollierten Bankensektor in die kaum regulierten Schattenbanken“, warnte Gary Cohn, Präsident der US-Investmentbank Goldman Sachs, vor einigen Wochen. Der Mann weiß, wovon er spricht: Seine Firma hat CDOs zur Perfektion gebracht und am Ende sogar gegen die eigenen Produkte gewettet.

Um den neuen Beschränkungen zu entgehen, verließen jüngst etliche Mitarbeiter Goldman Sachs, um sich in London zu einer neuen Investmentfirma zusammenzuschließen und unbeeinflusst Geschäfte machen zu können. Auch Morgan Stanley lagert seinen Eigenhandel im kommenden Jahr in einen Hedgefonds aus. „Wir haben in einem Bereich die Daumenschrauben angezogen, jetzt fliehen viele in den Schattenbereich”, meint der europäische Finanzbeamte.


15-Billionen-Dollar-Markt. Wie viele, zeigt eine Untersuchung der US-Notenbank. Demnach belaufen sich die Verbindlichkeiten der Schattenbanken bereits auf 15 Billionen Dollar – das entspricht etwa der US-Staatsschuld. Im traditionelle Bankenbereich sind es dagegen knapp 13 Billionen Dollar.

Mit Schattenbanken sind unter anderem Hedgefonds, Zweckgesellschaften und Private-Equity-Firmen gemeint. Sie sind von Regeln weitgehend ausgenommen. In Europa gilt etwa für Hedgefonds erst ab einem verwalteten Vermögen von 500 Millionen Euro eine Pflicht zur Registrierung samt Offenlegung der Anlagestrategie. Unterhalb dieser Grenze kann man unkontrolliert agieren, ebenso mit Derivaten, die Warren Buffett einmal pointiert als „Massenvernichtungswaffen“ bezeichnete.

„Der Schattenbereich ist unser größtes Problem, das haben wir noch überhaupt nicht im Griff“, gibt Felderer zu. Frankreich will das Thema zu einem Schwerpunkt der G20 machen, im Juni will die EU das Problem thematisieren. Doch Hahn vom Wifo warnt vor zu weitgehenden Eingriffen: „Hier entstanden sehr viele innovative Produkte. Der Schattenbereich soll durchaus transparent sein. Wenn man sieht, dass hier etwas systemisch Relevantes passiert, soll die Aufsicht eingreifen. Aber sonst soll man diesen Bereich in Ruhe arbeiten lassen.“

Ein Bereich, der keine Ruhe bekommen soll, sind die wachsenden Finanzriesen. Seit der Krise sind die Institute, deren Zusammenbruch ein Risiko für die Finanzmärkte darstellen würde, nicht weniger geworden, sondern mehr. Durchaus mit einem Hintergedanken: „Einige Banken dürften ihre Expansion mit dem Ziel vorangetrieben haben, den Status von Too-Big-to-Fail zu erreichen“, heißt es in einem Bericht des Committee on the Global Financial System in Basel („Long-term Issues in International Banking“) . Durch die damit einhergehende Absicherung von Forderungen gegen die Bank durch den Staat müssten Investoren das Insolvenzrisiko der Bank nicht wirklich in Erwägung ziehen, heißt es weiter.

Bloomberg erhob, dass Ende Dezember 35 Banken über eine Bilanzsumme von 50 Milliarden Dollar verfügten und damit als systemisch riskant gelten. Diese Zahl werde sich in den nächsten 15 Jahren auf 48 erhöhen, glaubt die Nachrichtenagentur.

Too-Big-to-Fail als Problem. „Wir könnten sie zerschlagen“, meint Hahn. „Man könnte festschreiben, dass eine Bank eine bestimmte Größe nicht überschreiten darf. Oder man kann strengere Regeln für diese Banken erlassen.“ Er nennt als Beispiel die Schweiz, wo Großbanken eine Eigenkapitalquote von 16 Prozent vorweisen müssen. Ähnliches könnte für „Too-Big-to-Fail“-Institute gelten.

Dem stimmt auch Felderer zu. Man benötige spezielle Vorschriften für diese Banken und auch eine Regelung, wie man mit Bankenpleiten umgeht. „Vermutlich muss der Staat im Konkursfall die Bank als solches erhalten, man sollte aber auf jeden Fall die Eigentümer enteignen.“

Die EU arbeitet an einem Vorschlag zu dem Problem, der im Juni präsentiert werden soll und bereits die Alarmglocken bei Bankern schrillen lässt. Josef Ackermann, Chef der Deutschen Bank, ist dezidiert gegen eine Liste systemwichtiger Institute und noch mehr gegen spezielle Auflagen, etwa eine höhere Eigenkapitalquote. Man dürfe den Bereich nicht überregulieren, warnte Ackermann.

Diese Gefahr droht zumindest den Ratingagenturen nicht, die mit ihren viel zu positiven Bewertungen hochriskanter Produkte wesentlich zur Krise beitrugen. Das Ziel, eine eigene europäische Ratingagentur als Gegengewicht zu den drei dominanten Firmen Standard & Poor's, Moddy's und Fitch zu gründen, ist in weite Ferne gerückt.

Und das, obwohl die Agenturen wegen ihrer Bewertungen zu Spanien und Portugal just vor dem EU-Gipfel heftig kritisiert wurden. Bleibt vorerst also nur der Weg, den die US-Börsenaufsicht eingeschlagen hat: Sie hat im Februar etliche Wertpapiere von der Pflicht enthoben, von einer der Agenturen bewertet werden zu müssen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.03.2011)

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