Vom langweiligen Leben im Schwebezustand

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Da Impulse fehlen, drehen AnalystenDäumchen und ändern ihre Prognosen seit zwei Monaten nicht mehr ab.

Eben noch mussten europäische Aktienstrategen die griechische Politik erklären, die Bonitätsrisken staatlicher Kreditnehmer beurteilen oder die Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine einschätzen. Ihr Job war vielfältig. Bis jetzt.

Zum ersten Mal seit zwei Jahren haben die Bewerter europäischer Aktien zwei Monate in Folge ihre Prognosen unverändert gelassen und gehen im Schnitt von einer Seitwärtsentwicklung aus. Von Deutschland bis Spanien wächst die Wirtschaft, doch die Konjunkturdaten konnten nichts gegen den längsten Abfluss aus Fonds für europäische Aktien seit der Finanzkrise ausrichten. Seit 15 Wochen in Folge wird Geld abgezogen, seit Jahresbeginn 32 Mrd. Dollar (28,6 Mrd. Euro).

Das Problem ist, dass der Markt trotz drohender Dramen wie einem Ausscheiden Großbritanniens aus der EU auf dem erreichten Niveau festsitzt. Die Unternehmenszahlen sind durchwachsen, das Wirtschaftswachstum ist zu schwach, um Käufer anzulocken. „Es ist schwierig, in die eine oder andere Richtung eine aggressive Wette einzugehen, weil wir keine Munition für unser Bewertungsmodell haben“, sagt Sylvain Goyon, Analyst von Natixis SA. „Es fehlt der zündende Funke.“

Zwar stieg der Stoxx 600 im April vorigen Jahres auf ein Rekordhoch und sackte nur zehn Monate später wieder auf ein Zweijahrestief ab. Seither aber pendelt er wieder im Korridor zwischen 300 und 350 Punkten. Die kleine Rallye, die nach dem Februartief einsetzte, kam nach dem Dreimonatshoch vom 20. April zum Stillstand.

„Die Aktien sprechen auf keinen der möglichen Impulsgeber an“, sagt Ralf Zimmermann vom Bankhaus Lampe. „Ich schreibe gerade meinen Halbjahresausblick, und eigentlich könnte ich alles von vorher kopieren.“ Aber nicht alle glauben, dass der Stillstand anhält. JPMorgan Chase und Co. und UBS Group AG erwarten beide heftige Bewegungen bis zum Jahresende – aber in unterschiedliche Richtungen. Mislav Matejka von JPMorgan prognostiziert einen Rückgang beim Stoxx 600 von elf Prozent auf Jahressicht. Karen Olney von UBS erwartet einen Anstieg um neun Prozent. Der Durchschnitt der neun Prognosen für das Jahresende liegt bei einem Indexstand von 365 Zählern, das wären 0,2 Prozent weniger als ein Jahr zuvor. „Wenige Investoren mögen es, wenn der Markt im Schwebezustand ist“, sagt Goyon. „Das Einzige, was man dann machen kann, ist das, was alle machen: Liquidität halten.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.05.2016)


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