Reitbauer: „Ich bin kein Freund hochpreisiger Restaurants“

Heinz Reitbauer
Heinz ReitbauerAPA/INGO PERTRAMER
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Steirereck-Küchenchef Heinz Reitbauer plädiert für mehr Wertschätzung von Nahrungsmitteln, will beim Kochen nicht ständig über das Geld nachdenken und lieber mehr aus einem Lebensmittel herausholen.

Die Presse: Herr Reitbauer, muss gutes Essen teuer sein?

Heinz Reitbauer: Das kann man nicht mit Ja oder Nein beantworten. Auf der einen Seite sind Lebensmittel wertvoll. Wir wollen kein 2,50-Euro-Hendl im Supermarkt liegen haben, denn wenn alles nichts kostet, werfen wir es dauernd weg. Nichtsdestotrotz muss gutes Essen nicht teuer sein. Wenn ich daheim für meine Familie koche, kann das ein sehr einfacher Warenkorb sein. Der Unterschied ist nur: Ich nehme mir die Zeit.

Ist das mit der modernen Arbeitswelt vereinbar, dass man sich mehr Zeit für das Kochen nimmt?

Mehr Zeit werden wir nicht bekommen. Aber seien wir ehrlich: Wir haben in diesem Land einen Achtstundentag, der Tag hat aber 24. Mit acht Stunden Schlaf gibt es noch immer acht Stunden, die wir anders verbringen können. Die Frage ist, wie nützt man diese Zeit? Bildung, Essen, Erleben? Der Faktor Zeit macht Essen heute teuer. In einer Küche wie bei uns stehen 30 Köche, die für maximal 90 Gäste Essen bereiten. Früher war das anders: Da waren die Löhne niedriger und die Lebensmittel teurer. Da hat man noch alles aus dem Produkt herausgeholt. Heute kauft man ein Mittelstück und schneidet links und rechts großzügig ab.

Haben Sie das Problem mit der vollen Verwertung von Produkten nicht auch, wenn alle nur Hühnerbrust bestellen?

Wir Köche haben immer diese Teile geschätzt, die man als Konsument links liegen lässt. Weil das, was man permanent konsumiert, kann man ja nicht mehr sehen. Und ganz ehrlich, es haben fast alle Dinge mehr Geschmack als Hühnerbrust. Aber warum haben diese Produkte einen Siegeszug angetreten? Weil sie einfach sind in der Zubereitung und fettarm. Mit Fett muss man natürlich anders und intelligenter kochen, aber da liegt auch der Geschmack drin.

Setzen Sie sich bei Menüs Preisobergrenzen?

Wir versuchen schon, eine Grenze zu schaffen, von der wir glauben, das verträgt man gerade noch. Wir haben lieber ein volles Haus, dafür kalkulieren wir sehr eng. Der Gast soll nicht bei jedem Bissen über das Geld nachdenken. Auch ich kenne das, wenn ich im Ausland bin und eine Hauptspeise um 120 Euro vorgestellt bekomme, dann zucke ich auch zusammen. So viel kostet bei uns das große Menü.

Gibt es da Mentalitätsunterschiede? Legen Gäste in anderen Ländern 500 Euro für ein Menü hin?

Japan ist unfassbar teuer. Preise sind ein Teil der Tradition und der Esskultur eines Landes.

Bei uns hat sich das nie eingebürgert, dass man viel für Restaurants zahlt?

Nein, etwa im Unterschied zu Frankreich, wo man bereit ist, viel für Essen auszugeben. Aber das ist kein Nachteil. Ich bin nicht der Freund von hochpreisigen Restaurants.


Wenn Sie selbst essen gehen, ärgern Sie sich, wenn Sie das Gefühl haben, zu viel bezahlt zu haben?

Darüber ärgere ich mich nie, maximal über verlorene Zeit, schlechtes Essen und mangelnde Sorgfalt. Geschmäcker sind unterschiedlich, aber wir Köche erkennen, wenn sich einer keine Mühe gegeben hat.

Ist Ihnen das schon bei einem guten Koch passiert, auf den Sie sich gefreut hatten?

Ich besuche meist nur Kollegen, die ich persönlich kenne. Wenn ich einmal irgendwo hingehe, habe ich ganz selten ein negatives Erlebnis. Das hat damit zu tun, dass die Leute, zu denen wir hingehen, Freunde, Bekannte sind, Leute, bei denen wir schätzen, wie sie arbeiten.

Haben Sie die wirtschaftliche Seite des Kochens von Anfang an mitbekommen?

Die Wirtschaftlichkeit ist eine eigene Tür. Kochen, Lebensmittel, Produkte–dieser Zugang hat überhaupt nichts mit Geld gemein. Wenn Sie beim Kochen die ganze Zeit darüber nachdenken, sollten Sie es gleich lassen. Natürlich ist die Wirtschaftlichkeit wichtig: Man muss immer schauen, dass man einen gewissen Wareneinsatz nicht überschreitet. Aber das müssen Sie komplett separiert beleuchten. Und da gibt es einen zweiten Punkt: Wir versuchen, aus dem Lebensmittel so viel wie möglich herauszuholen. Wenn wir eine gelbe Rübe entsaften, beschäftigen wir uns damit, was wir mit dem Trester machen. Aber nicht, weil wir wirtschaftlich gesund arbeiten wollen, sondern vor allem aus moralischen Gründen, weil wir nicht 50 Prozent für den Mistkübel produzieren wollen. Aber wenn ich Leidenschaft für ein Produkt habe, darf ich nicht überlegen, ob ich ein paar Deka mehr oder weniger draufgebe wegen des Preises. Wenn Sie hier schon die Wirtschaftlichkeit mit ins Spiel bringen würden, werden Sie nicht fertig.

Wie wichtig ist für Sie die Küchenausstattung?

Die ist sehr wichtig. Das System muss funktionieren. Das ist in anderen Branchen genauso: Es gibt nichts Nervigeres, als wenn Sie an einem Computer sitzen, der alle zehn Minuten abstürzt. Wie kreativ ist man dann noch bei der Arbeit?

Haben Sie schon einmal für ein Küchengerät gespart?

Immer wieder. Oft sagt man zwar: „Das geht so auch noch“, aber in der Regel bereut man es dann. In der Summe haben wir eine Weltklasseküche. Nicht nur von der Gerätschaft, auch vom Arbeitsraum her. Wir sehen überall ins Freie hinaus. In den wenigsten Küchen bekommt man mit, welches Wetter gerade ist.

Was ist das wichtigste Gerät?

Ein scharfes Messer.

Haben Sie sich da einmal etwas Besonderes geleistet?

Wenn, dann bekommt man so etwas geschenkt. Aber ein Messer, das unfassbar viel Geld kostet, würden Sie nicht in eine Küche legen, in der permanent 30 Leute herumwuseln.

Und zu Hause?

Dort schon, aber ich bin nicht dieser Freak, der ein 2000-Euro-Messer hat. Eines um zwei-, dreihundert kann auch nicht viel weniger. Ich habe lieber eine Flasche Wein. Dafür würde ich mehr Geld ausgeben.

Kochen Sie zu Hause auch?

Da kocht hauptsächlich meine Frau, ich koche im Urlaub. Das ist ein besonderes Kochen, weil ich nicht unter Zeitdruck stehe. Ob wir jetzt um halb eins essen oder um halb drei, ist ziemlich jedem wurscht. Na ja, den Kindern nicht ganz. Aber es ist schon angenehm.

Auf einen Blick

Heinz Reitbauer wurde 1970 geboren. Im gleichen Jahr eröffneten seine Eltern das Steirereck in Wien. Reitbauer jun. sammelte Gastronomieerfahrung unter anderem in Lyon und London. Danach kochte er in der Steirereck-Dependance auf dem Pogusch (Steiermark). Seit fünf Jahren ist der Vierhaubenkoch Küchenchef im Steirereck im Stadtpark, das für viele als das beste Restaurant Österreichs gilt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.11.2012)

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