Schottland: Zwischen Wunschdenken und Angstmacherei

Scotland´s First Minister, Alex Salmond, addresses Members of the Scottish Parliament, during First Minister´s Question Time, in Edinburgh
Scotland´s First Minister, Alex Salmond, addresses Members of the Scottish Parliament, during First Minister´s Question Time, in Edinburgh(c) REUTERS (PAUL HACKETT)
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Am 18. September entscheidet die Bevölkerung über eine Abspaltung vom Vereinigten Königreich. Die Gegner eines solchen Szenarios liegen in allen Umfragen vorn, doch der Abstand verringert sich und lässt Separatisten hoffen.

Edinburgh/London. Von einer historischen Entscheidung zu sprechen, scheint ausnahmsweise nicht übertrieben: Nach 307-jährigem Bestehen des Vereinigten Königreichs stimmt Schottland am 18.September in einem Volksentscheid über die Unabhängigkeit ab. Eine einfache Mehrheit der Bewohner über 16 Jahre entscheidet über Fortbestand oder Ende der Union mit England, Wales und Nordirland.

Obwohl in allen Umfragen das Nein zur Unabhängigkeit vorn liegt, schöpften die Anhänger des Ja zuletzt aus einer Verkleinerung des Abstands Hoffnung für die letzten Tage der Kampagne. Mit 43 zu 57 Prozent liegen die Nationalisten allerdings immer noch klar im Rückstand, und die Zeit wird knapp, eine „überzeugende Vision für Schottland“ darzulegen, wie es der Wahlforscher John Curtice von der University of Strathclyde in Glasgow im Gespräch mit der „Presse“ sagt. Daher stellt die zweite und letzte Fernsehdebatte am Montagabend zwischen First Minister Alex Salmond, der das Unabhängigkeitslager führt, und Ex-Schatzkanzler Alistair Darling als Anführer der Befürworter des Vereinigten Königreichs wohl schon die letzte Chance für eine Wende dar.

Die Presse

Welche Währung für Schotten?

Klar ist, dass beide Seiten vor ungleich schwierigen Aufgaben stehen. Während für die Befürworter der Status quo reicht, „Ungewissheit zu säen“, wie Curtice sagt, müssen die Nationalisten eine Vielzahl von Fragen und Sorgen adressieren. Salmond ist sehr gut in getragenen Appellen. „Das ist unser Augenblick. Ergreifen wir ihn“, beendete er mit vibrierender Stimme seine Worte in der ersten Debatte mit Darling. Da er aber auf bohrende Fragen zur künftigen Währung Schottlands konkrete Antworten schuldig blieb, wurde er allgemein als Verlierer der Diskussion gesehen. Die Frage der Währung bleibt umstritten. Die Unabhängigkeitsbefürworter wollen weiter das Pfund verwenden, „das uns genauso gehört wie den Engländern“, wie Salmond sagt. Londons ablehnende Haltung wird als „Bluff“ abgetan. Den Vorwurf der „Leichtfertigkeit“, eine Währung zu verwenden, über die man keine Kontrolle hat, wie ihn etwa der Ökonom Brian Ashcroft erhebt, konnten die Nationalisten bisher freilich nicht entkräften.

Ebenso umstritten ist die Frage der Ölreserven. „Es ist unser Öl“, lautet seit den 1960er-Jahren der Slogan von Salmonds Nationalpartei (SNP), und mit dem schwarzen Gold will man einen Wohlfahrtsstaat nach skandinavischem Vorbild finanzieren. Die schottische Regierung schätzt die verbleibenden Vorräte auf 24Milliarden Barrel mit einem Wert von 1,5 Billionen Pfund. Ian Wood, einer der führenden schottischen Öl-Unternehmer, sprach hingegen in dieser Woche von „nur“ 15–16,5 Milliarden Barrel, und selbst diese wären zunehmend schwierig und teuer zu fördern. Kritiker werfen der SNP zudem vor, ihre Haushaltsprognosen auf einen unrealistisch hohen Ölpreis aufzubauen.

Dass die Unabhängigkeitsanhänger auch politisch „selektiv“ argumentieren, zeigt ihre Behauptung, nur bei der Unabhängigkeit werde Schottland stets „die Regierung bekommen, die wir auch gewählt haben“, wie es SNP-Spitzenvertreter Angus Robertson formuliert. Als Beweis nennt man, dass es „mehr Pandas (zwei) im Zoo von Edinburgh gibt als schottische Tories im Parlament in London (einen)“ und Großbritannien dennoch von einem konservativ-geführten Kabinett unter David Cameron regiert werde.

Dies ignoriert, dass die Schotten wie alle Bewohner des Vereinigten Königreichs bei der letzten Unterhauswahl stimmberechtigt waren und die Konservativen 16,7 Prozent der Stimmen erhielten. Dass sie nur einen einzigen Wahlkreis gewannen, ist dem berüchtigt ungerechten britischen „First past the post“-System zuzuschreiben. Die Chance zu einem gerechteren Wahlrecht lehnten die Briten in einer Volksabstimmung 2011 überwältigend ab. Das Argument lässt auch beiseite, dass Schotten traditionell in London überrepräsentiert sind, zuletzt mit dem einst in Edinburgh und Glasgow entworfenen „New Labour“-Projekt.

Richtig ist daher nur, dass die Schotten zurzeit wohl nicht die Regierung in London haben, die sie wollen. Die Nationalisten sind sich allerdings darüber im Klaren, dass die Tatsache, dass sie sich gegen eine konservative Londoner Regierung profilieren, für ihre Causa eine einmalige Chance darstellt. Nicht umsonst warnt ein Anhänger der Union, der ungenannt bleiben möchte: „Das Schlimmste, was uns passieren kann, ist ein Eingreifen von Cameron in die Kampagne.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.08.2014)

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