Israel: „Europa schießt sich in den Fuß“

141123 JERUSALEM Nov 23 2014 Israeli Prime Minister Benjamin Netanyahu addresses a news c
141123 JERUSALEM Nov 23 2014 Israeli Prime Minister Benjamin Netanyahu addresses a news c(c) imago/Xinhua (imago stock&people)
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Israel fühlt sich von Europa verraten. Im Dezember soll das EU-Parlament symbolisch für einen Palästinenserstaat stimmen. Ergreift es damit einseitig Partei?

Jerusalem. Während des Gaza-Kriegs im Sommer kursierte in den Büros und Gängen in der Regierungszentrale in Jerusalem ein sarkastischer Scherz. „Wo gibt es mehr propalästinensische Demonstrationen: in Europa oder in der arabischen Welt? Antwort: in der EU.“ Regierungssprecher Mark Regev erzählt die Pointe nicht ohne bitteren Unterton.

Israel fühlt sich von Europa verraten, und je mehr EU-Staaten wie Schweden oder europäische Parlamente wie das britische, das spanischen, das französische in symbolhaften Abstimmungen einem Palästinenserstaat ihre Anerkennung aussprechen, desto mehr wachsen in Jerusalem und Tel Aviv Anti-EU-Ressentiments. Das EU-Parlament debattierte am Mittwoch über ein solches Votum, das nun im Dezember stattfinden soll. Mit jeder Studie aus Brüssel und jedem Papier, das Israel Sanktionen androht, wird das EU-„Bashing“ größer. Akribisch verfolgt der Politologe Gerald Steinberg in seinem „NGO Monitoring“ die Geldströme der EU in die Palästinensergebiete, er spürt den Quellen nach und kommt zum Schluss: „Es gibt eine klare Schlagseite zugunsten der Palästinenser.“

EU-Außenminister, die in Israel vom Frieden und von der Aussöhnung in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg schwadronieren und dabei wie Prediger und Besserwisser auftreten, hängen Israels Ministern inzwischen beim Hals heraus. „Soll sich doch Finnland anstelle Israels der feindlichen Umgebung in Nahost aussetzen“, entfuhr es neulich einem hochrangigen Regierungsmitglied. Der damalige deutsche Außenminister, Joschka Fischer, so erinnert sich der Minister in einem Hintergrundgespräch, habe angesichts der latenten EU-Kritik eine Theorie entwickelt. Die Animosität, die sich als Kritik tarnt, sei irritierend; sie sei, so der frühere deutsche Ober-Grüne, nichts weiter als ein „verhüllter, latenter Antisemitismus“.

Längst ist die Stimmung in Israel so gereizt – bis hin zur Paranoia –, dass Israelis jede Schlagzeile von BBC und CNN zum Nahost-Konflikt auf ihre Parteilichkeit hin abklopfen. Die BBC gilt ohnehin als notorisch israelfeindlich. Als im Sommer soziale Netzwerke vor Israel-Kritik, antisemitischen Parolen und Karikaturen im Stil des NS-Hetzorgans „Stürmer“ überquollen, entschlossen sich Studenten vom Herzliya-Center kurzerhand, mit einer Gegenoffensive unter dem Motto „Israel Under Fire“ in sozialen Medien zu kontern. An der PR-Front, in der Schlacht um die öffentliche Meinung, erlitt Israel indes dennoch eine Niederlage.

„Die Europäer kaufen den Palästinensern ihre Opferrolle, ihr Narrativ als Underdog ab, statt sie unter Druck zu setzen und zu Kompromissen zu zwingen“, lautet der Tenor. Mark Regev formuliert es so: „Ich habe den Eindruck, Mahmud Abbas bekommt einen Persilschein von den Europäern.“ Geheimdienstminister Juval Steinitz, Hardliner in der Regierung Netanjahu, sagt: „Da ist viel Heuchelei im Spiel. Sollen die Europäer doch China oder die Türkei boykottieren, wenn ihnen so viel an Menschenrechten liegt.“ Frieden mit den Palästinensern komme momentan Selbstmord gleich, heißt es. Ein Rückzug aus dem Westjordanland würde – Stichwort Gaza – ein Sicherheitsvakuum öffnen, in das früher oder später Islamisten vom Schlage der Hamas, Hisbollah oder al-Nusra-Front vorstoßen würden, so Steinitz. Israel bringt eine größere Lösung ins Spiel, einen Frieden mit der arabischen Welt.

„Abbas hat die Regeln gebrochen“

Außenministeriums-Sprecher Paul Hirschson formuliert diplomatisch: „Es gibt philosophische Differenzen. Wir haben unterschiedliche Ansichten zum Friedensprozess, nicht aber in der Substanz.“ Die Europäer hätten – wie die USA – „obsessiv“ die Frage des Siedlungsbaus in ihren Fokus gerückt, klagt er. Hirschson hält der EU fundamentale Schwäche in der Außenpolitik vor, die sie als Player in Nahost disqualifiziere.

Dabei versuchten kürzlich EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini und der deutsche Außenminister, Frank-Walter Steinmeier, die Stimmung auszuloten. Seit Abbas vor drei Jahren vor der UNO die Anerkennung des Palästinenserstaats forcierte, ist das Vertrauen verloren gegangen. „Er hat die Regeln gebrochen. Die Europäer wiegen die Palästinenser in der Illusion, sie müssten nicht mehr verhandeln.“ Die Wirtschaftsbeziehungen mit der EU seien hervorragend, betont Regev. Sollte Europa jedoch Sanktionen erwägen, werde sich Israel eben mehr Indien und China zuwenden. „Vielleicht schießen sich die Europäer in den Fuß. Eine Anerkennung der Palästinenser durch Europa würde die Friedensbemühungen unterminieren.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.11.2014)

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