„Ghettoklassen“: Regierung uneins über selbst vorgelegte Einigung

(c) Clemens Fabry
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Die Koalition hat einen gemeinsamen Plan für Schüler mit Deutschdefiziten vorgelegt. Problem: SPÖ und ÖVP interpretieren diesen völlig unterschiedlich.

Wien. Über die Sprachförderung für Schüler mit Migrationshintergrund streitet die Regierung offenbar besonders gern. Die Diskussion über „Ghettoklassen“ – in denen Schüler vor Eintritt in die Volksschule in separaten Klassen Deutsch lernen – wurde schon vor zwei Jahren heftig geführt. Damals verkündete die Regierung eine Einigung. Die wackelt nun aber wieder. Denn bei der jüngsten Regierungsklausur ist das Streitthema erneut akut geworden.

In Folge der Integrationsdebatte – Auslöser war die Diskussion über Integrationsunwilligkeit – wurde bei der Klausur ein Integrationspaket akkordiert und dabei das Thema Sprachförderung neu aufgerollt. Warum das trotz einer vor zwei Jahren erzielten Einigung zwischen der damaligen Unterrichtsministerin Claudia Schmied (SPÖ) und dem nunmehrigen Integrationsminister Sebastian Kurz (ÖVP) notwendig war? Die inoffizielle Antwort müsste wohl lauten, weil sich das Thema gut verkaufen lässt. Die offizielle Version klingt anders. Damals habe man sich nur auf einen Erlass und nicht auf ein Gesetz einigen können. Das ist dem Integrationsminister zu wenig.

Die derzeit gültige rechtliche Situation ist kompliziert. Es ist nicht zulässig, Kinder wegen ihrer unzureichenden Deutschkenntnisse für nicht schulreif zu erklären. Sie dürfen also grundsätzlich nicht in die Vorschule geschickt oder nach Vorschulplan in der Volksschule unterrichtet werden. Es sei denn, dass nicht nur ihre Deutschkenntnisse, sondern ihr gesamter sprachlicher Entwicklungsstand (hier spielen die muttersprachlichen Fähigkeiten eine Rolle) hinterherhinkt. In der Praxis dürfte das häufig vermischt werden.

Derzeitige Regelung zu lasch

Kinder, die keine Sprach- aber Deutschdefizite haben, sind laut Gesetz als außerordentliche Schüler einzustufen. Sie erhalten dadurch zusätzliche Förderung und werden nicht beurteilt. In welcher Form diese Schüler unterrichtet werden, entscheidet der Volksschuldirektor. Außerordentliche Schüler können in die erste Klasse Volksschule aufgenommen oder auch in eigenen Klassen zusammengefasst werden. Das wird meist von der Zahl der außerordentlichen Schüler am Standort abhängig gemacht. Je mehr Schüler Deutschdefizite haben, desto wahrscheinlicher sind logischerweise auch separate Klassen. Für den Geschmack des Integrationsministeriums ist diese Handhabe zu lasch.

Bei der Regierungsklausur arbeitete man deshalb an einer Adaptierung und verabschiedete ein gemeinsames Papier. Nun streitet die Koalition genau darüber. SPÖ und ÖVP interpretieren die selbst vorgelegte Einigung nämlich unterschiedlich. Im Papier heißt es, dass Schüler mit Sprachdefiziten, insbesondere in Ballungsräumen, in vorbereitenden Klassen in der Sprache fit gemacht werden sollten, damit ein schnellstmöglicher Eintritt in das Regelschulsystem gewährleistet werden kann.

Die ÖVP sieht sich dadurch in ihrer Forderung nach „Deutsch vor Schuleintritt“ bestätigt. Schüler mit Deutschproblemen sollten in eigenen Klassen auf den Regelunterricht vorbereitet werden. Außerordentliche Schüler müsste es dann eigentlich nicht mehr geben. Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) sieht das völlig anders. Von separaten Klassen hält sie nämlich nichts. Die im Papier erwähnten vorbereitenden Klassen versteht sie lediglich als temporär eingesetzte Gruppen.

Diese komplizierte Diskussion zeigt vor allem eines: Für die Bildungsreformgruppe der Regierung, die nun eine gesetzliche Regelung finden soll, besteht bis zum Abgabetermin am 17. November 2015 noch einiges an Klärungsbedarf.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.03.2015)

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