Nobelpreise: Physik und/oder Chemie

Der einzige Mensch mit Chemie- und Physiknobelpreis: Marie Curie aus Polen.
Der einzige Mensch mit Chemie- und Physiknobelpreis: Marie Curie aus Polen.(c) Wikipedia
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Kommende Woche werden die Nobelpreise bekannt gegeben. Wie repräsentativ sind die Auszeichnungen in den Naturwissenschaften? Eine Rückschau.

Sigmund Freud und sein zeitweiliger Vorgesetzter, der Psychiater Julius Wagner-Jauregg, konnten einander nicht wirklich leiden. So soll Freud, als ihm Kollegen überbrachten, dass ein von ihm geheilter Patient von Wagner-Jauregg schon aufgegeben war, bescheiden geantwortet haben: „Ich bitte Sie – was versteht ein Goi von meschugge?“ Wagner-Jauregg dagegen kürzte einmal den Bericht über eine Behandlung durch Freud schroff ab: „Lassen S' mich aus! Das interessiert mich nicht, was zwei Tepperte miteinander reden.“

Nur scheinbar versöhnlich gab sich Wagner-Jauregg 1927 als frischer Medizinnobelpreisträger: Er glaube, sagte er, dass auch Freud noch den Nobelpreis bekommen würde. Es folgte eine Kunstpause, bevor er hinzufügte: „Ich meine natürlich den für Literatur.“

Tatsächlich war Freud zwölfmal für den Nobelpreis für Medizin vorgeschlagen, einmal auch für den für Literatur. Bekommen hat er beide nicht. Er sei „durch öffentliche Ehrungen nicht verwöhnt worden“ und habe sich „darum so eingerichtet, dass ich solche entbehren konnte“, schrieb er bitter.

Doppelt geehrt. Hätte Freud beide bekommen können? Theoretisch schon. Vier Menschen erhielten bisher je zwei Nobelpreise, die Kombination Medizin-Literatur gab es aber nie. Linus Pauling bekam die Preise für Chemie und Frieden (für Arbeiten über die chemische Bindung und sein Engagement gegen Atomwaffen), John Bardeen zweimal den Nobelpreis für Physik, Frederick Sanger zweimal den für Chemie, Marie Curie wurde in Physik und Chemie geehrt.

Bei ihr kommt eine dritte dauerhafte Ehre dazu: Ein chemisches Element, das selbstverständlich radioaktive Curium (Ordnungszahl 86), heißt nach ihr und ihrem Mann Pierre. Ebenfalls nach Nobelpreisträgern benannt sind das Bohrium (107, nicht zu verwechseln mit Bor), das Einsteinium (99), das Fermium (100), das Lawrencium (103), das Roentgenium (111), das Rutherfordium (104), das Seaborgium (106).

Rarer sind die nach Nobelpreisträgern benannten physikalischen Einheiten: Das Curie (schon wieder!) war bis 1985 die Einheit der Radioaktivität, danach wurde es das Becquerel, benannt nach Antoine-Henri Becquerel, der 1903 gemeinsam mit Marie und Pierre Curie den Nobelpreis erhalten hatte. Auch veraltet ist das Röntgen als Maßeinheit für die Ionendosis. Das Einstein wird nur selten als Hilfsmaßeinheit für die Anzahl von Lichtquanten verwendet. Wichtig und häufig ist dagegen das Hertz, die Einheit der Frequenz. Sie heißt aber nicht nach dem Nobelpreisträger Gustav Hertz, sondern nach seinem Onkel Wilhelm.

Viele Physiknobelpreisträger leben in anderen Begriffen weiter. So die Väter der Quantentheorie: Nach Niels Bohr heißt ein Atommodell, nach Erwin Schrödinger eine Gleichung, nach Werner Heisenberg die Unschärferelation, nach Wolfgang Pauli ein Verbot (dass zwei Elektronen in einem Atom nie in allen vier Quantenzahlen gleich sein können) und, nicht ganz so ernst, ein Effekt (dass in Paulis Nähe jedes Experiment misslang). Nach Louis de Broglie (den man fast so spricht wie den Landeshauptmann Niederösterreichs) eine Wellenlänge, nach Richard Feynman (den man anders schreibt als den Bundeskanzler) eine Art von Diagrammen, nach Max Planck ein Wirkungsquantum, aber auch eine Länge, eine Masse und eine Zeit. Vielleicht der beliebteste Pate war der an sich wortkarge Enrico Fermi, seinen Namen tragen u. a. ein Gas, eine Statistik, eine Energie, eine Verteilung, eine Kante, eine Temperatur, ein See, eine Fläche, eine Flüssigkeit, ein Niveau, eine Resonanz, eine Wechselwirkung, ein Paradoxon und ein Problem. Dazu nennt man die Elementarteilchen, die die Grundkräfte verkörpern, Fermionen.

Die andere Art von Elementarteilchen, jene, aus denen sich die Materie zusammensetzt, die Bosonen, heißen nach dem Inder Satyendranath Bose. Er bekam den Nobelpreis nicht – als einer der wenigen prägenden Physiker des 20. Jahrhunderts. Denn im Gegensatz zum Literaturnobelpreis – den z. B. Kafka und Joyce nicht bekamen – ist der Physiknobelpreis auch im Rückblick vorbildlich repräsentativ für sein Genre.

Die Liste der Chemienobelpreisträger liest sich für den Laien nicht ganz so prächtig: Er findet in ihr immerhin die Väter der Ammoniaksynthese, den durch seine Giftgasforschung tragisch schuldig gewordenen Fritz Haber und den Industriellen Carl Bosch, und den ebenfalls kriegsbegeisterten und in der Giftgasproduktion tätigen Walther Nernst, der der Elektrochemie eine zentrale Gleichung hinterlassen hat).

Vor allem für Organische Chemiker ist es ein Lebenstraum, dass Reaktionen nach ihnen benannt werden, und so sieht man in der Liste auch etliche Paten solcher Namensreaktionen, Otto Diels und Kurt Alder etwa, mit deren Diels-Alder-Reaktion man bis heute Kohlenstoffatome verknüpft. Doch auch der Physiker Ernest Rutherford, der das erste moderne Atommodell ersann, bekam den Chemienobelpreis.

Natürlich scheint die Einteilung der naturwissenschaftlichen Nobelpreise in die drei Kategorien vom heutigen Standpunkt aus nicht optimal. Alfred Nobel konnte 1895 ja auch nicht wissen, dass sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Biologie und ihr stolzes Kind mit der Chemie, die Biochemie, so rasant entwickeln würden. Ihre Fortschritte werden so wie die in der Genetik in den vergangenen Jahrzehnten teils mit Chemie-, teils mit Medizinnobelpreisen bedacht.

Auch in jüngerer Zeit merkt man manchmal, dass die Grenze zwischen Physik und Chemie nicht so leicht zu ziehen ist. Daniel Shechtman hätte 2011 wohl eher mit dem Preis für Physik für die Entdeckung der Quasikristalle gerechnet. Und als der Physiker Walter Kohn 1998 Chemienobelpreisträger wurde, wunderte er sich selbst am meisten. Natürlich bauten und bauen viele Chemiker ihre Computerrechnungen auf seiner Dichtefunktionaltheorie, doch Kohn erklärte selbst oft, dass er von Chemie so gar nichts verstehe und sich auch nicht als Chemiker sehe.

Als Österreicher übrigens auch nicht. 1938 knapp dem NS-Terror entkommen, hatte Kohn verständlicherweise keine Lust, sich in dem Land, in dem er einst wegen seines Judentums mit der Vernichtung bedroht worden war, als „österreichischer Nobelpreisträger“ feiern zu lassen. Doch das ist eine andere Geschichte.

Vorausschau

Der Medizinnobelpreis wird am Montag bekannt. Es folgen: Physik am Dienstag, Chemie am Mittwoch, Frieden am Freitag, Wirtschaft am 12. 10. Literatur: Termin offen.

Tipp. Der Chemiepreis könnte heuer an eine Frau gehen, die vier Jahre lang in Wien geforscht hat: Die Französin Emmanuelle Charpentier hat die Crispr-Cas9-Methode zum Schneiden von DNA entwickelt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.10.2015)

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