"Taten statt Worte": Der Kampf der Suffragetten

Suffragetten in London
Suffragetten in London(c) imago stock&people
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Sie zerschlugen Fenster, entfachten Brände: Mit radikalen Mitteln kämpften britischen Frauen für ihr Stimmrecht. Ab 5. Februar erzählt "Suffragette" in Österreichs Kinos ihre Geschichte - anhand von fiktiven und realen Heldinnen.

„Die meisten von uns, die verheiratet waren, fanden, dass bei ihren Gatten das Stimmrecht für Frauen auf weniger Interesse stieß als die Frage, wie es um ihr Abendessen steht. Sie konnten einfach nicht verstehen, warum wir darum so einen Klamauk machten.“ Diese Sätze notierte Hannah Mitchell gegen Ende des Zweiten Weltkrieges in ihrer Autobiografie „The Hard Way Up“. Jahrzehnte des Kampfes für Frauenrechte lagen da bereits hinter der britischen Suffragette. Ab 5. Februar wird ihre Geschichte auf Österreichs Kinoleinwänden zu sehen sein. Zwar wird die Frauenrechtlerin nicht beim Namen genannt, doch lehnt sich der Werdegang der Protagonistin Maud Watts, verkörpert von Carey Mulligan, auch an ihr Leben an.

Seit 1432 war es in England nur Männern, die über ausreichend Vermögen und Grundbesitz verfügten, gestattet, zu wählen. Erst 1867 wurden die strengen Vorgaben aufgebrochen. Frauen hingegen wurden vom Gesetzgeber weiter ignoriert – obgleich sie seit 1830 die Kampagnen für ein allgemeines Wahlrecht mitgetragen hatten. 1864 sollte die stille Frustration der Frauen darüber enden: Die Verabschiedung der „Contagious Diseases Acts“ – damit wurde der Polizei erlaubt, Prostituierte zu gynäkologischen Untersuchungen zu zwingen – löste heftige, wenn auch friedliche Proteste unter den britischen Frauen aus. 21 Jahre später kippte das Gesetz, doch den Frauen genügte das nicht mehr. Ihr Forderungskatalog hatte sich um die Einführung eines Frauenwahlrechts erweitert, wofür sie von ihren Männern oft belächelt oder verspottet wurden.

Trailer zum Film „Suffragette“:

In diese Zeit fiel am 11. Februar 1872 in einem Bauernhaus in Derbyshire die Geburt von Hannah Maria Webster. Schon früh bekam sie die Aufteilung von männlichen Rechten und weiblichen Pflichten zu spüren: Während sie die Socken ihrer drei Brüder stopfen und im Haus arbeiten musste, durften diese toben und lernen. Mit 14 Jahren rannte sie aus dem Elternhaus fort – ihre aufbrausende Mutter hatte sie brutal mit Stöcken geschlagen. In Bolton fand sie Arbeit als Näherin und Hausangestellte eines Schuldirektors, der ihr erlaubte, seine Bücher auszuborgen, wodurch sie sich das Lesen beibrachte.

Säure, Brände und Hungerstreik

Bald kam Webster auch in Kontakt mit der sozialistischen Bewegung, der Independent Labour Party (ILP) und dem Herrenschneider Gibbon Mitchell. Das Paar heiratete 1895 und hatte einen gemeinsamen Sohn. An ihren Idealen hielt die mittlerweile 23-Jährige aber weiter fest: Sie pochte auf eine gleichberechtigte Aufteilung der Hausarbeit, der ihr Mann zustimmte, doch nur schleppend nachkam. Später resignierte sie in ihrer Autobiografie: „Auch der verständnisvollste Mann wird niemals verstehen, dass Mahlzeiten nicht aus der Tischdecke kommen, sondern sie geplant, gekauft und gekocht werden müssen.“

Eine Suffragette wird zwangsernährt
Eine Suffragette wird zwangsernährt(c) imago stock&people

1904 trat Mitchell der ein Jahr zuvor gegründeten Women’s Social and Political Union (WSPU) bei. Die Gruppierung, angeführt von Emmeline Pankhurst (im Film verkörpert von Meryl Streep) und deren Tochter Christabel, setzte sich für ein Stimmrecht für Frauen ein – und griff zu militanten Aktionen. Passend dazu ihr Leitspruch: „Taten statt Worte.“ Die Mitglieder, die als Suffragetten (engl. „suffrage“ – Wahlrecht) bekannt wurden, steckten Häuser und Kirchen in Brand, übergossen Briefkästen mit Säure und schlugen Fensterscheiben ein, um Aufmerksamkeit für ihre Anliegen zu bekommen.

Kamen sie ins Gefängnis – alleine Emmeline Pankhurst wurde zwischen 1908 und 1914 dreizehnmal verhaftet –, traten die Frauen in den Hungerstreik. Als man sie deswegen künstliche ernährte, kam es zu einem Aufschrei in der Bevölkerung, die in diesem Vorgehen eine „grauenhafte Folter“ sah. Die Regierung reagierte mit der Verabschiedung des „Cat and Mouse Act“. Dieser gestattete die zeitweise Haftentlassung bei einem Hungerstreik und die Wiederinhaftierung, sobald sich die Betroffenen gesundheitlich wieder erholt hatten.

Steinwurf als Schlüsselerlebnis

Im 106-minütigen Film wird der Entschluss von Maud Watts, sich für die Suffragetten zu engagieren mit einer Protestaktion illustriert, die sich im Frühjahr 1912 wirklich zugetragen hatte: Rund 150 Frauen schlenderten damals über eine Einkaufsstraße im Londoner Stadtteil West End, um auf ein geheimes Signal hin mit Steinen und Hämmern die Fensterscheiben der Geschäfte zu zerstören. 124 Frauen wurden in der Folge verhaftet.

Emmeline Pankhurst wird verhaftet
Emmeline Pankhurst wird verhaftet(c) imago stock&people

Tatsächlich war es nicht das erste Mal, dass Mitchell – anders als ihr Film-Alter-Ego Watts – auffällig wurde: Schon 1906 hatte sie ein politisches Treffen gestört und war dafür zu drei Tagen Haft verurteilt wurden. Jedoch wurde sie schon am ersten Tag freigelassen, da ihr Mann ihre Kaution – entgegen ihrer Bitten – beglichen hatte.

1907 erlitt Mitchell einen Nervenzusammenbruch, der wohl ihrer Mangelernährung geschuldet war: Die junge Mutter war wochenlang durch das Land gereist, um Reden für die Frauenbewegung zu halten. Auf den Kollaps folgte eine Enttäuschung: Keine der Pankhursts besuchte sie am Krankenbett. Dafür stattete ihr Charlotte Despard einen Besuch ab, Gründerin der „Women’s Freedom League“, der Mitchell nach ihrem Austritt bei der WSPU 1908 beitrat.

1918: Das Frauenwahlrecht wird Realität

Während des Ersten Weltkrieges engagierte sich Mitchell für die Friedensbewegung, die Suffragetten unterstützten die Kriegsanstrengungen der Regierung, übernahmen – aufgrund des zunehmenden Arbeitskräftemangels – traditionell männliche Aufgaben. Nach dem Krieg wurden sie für ihre Anstrengungen belohnt: Am 6. Februar wurde der „Representation of the People Act 1918” verabschiedet. Er gestattete es britischen Frauen, die mindestens 30 Jahre alt waren und „entweder ein Mitglied des örtlichen Regierungskreises oder mit einem solchen verheiratet sind, Eigentum besitzen” zu wählen. Wenige Monate später der nächste Meilenstein: Im November wurde der „Parliament (Qualification of Women) Act 1918“ durchgesetzt, der es Frauen gestattete, in ein Parlament gewählt zu werden.

Demonstration der Suffragetten
Demonstration der Suffragetten(c) imago/Leemage

Das allgemeine Wahlrecht auch für Frauen folgte schließlich 1928. Emmeline Pankhurst sollte das nicht mehr erleben: Sie starb zwei Wochen vor der Verabschiedung des Gesetzes. Mitchell hingegen wurde 1924 in den Stadtrat von Manchaster gewählt und schrieb für die „The Northern Voice“ und die „Manchester City News“. Am 22. Oktober 1956 starb Hannah Mitchell in Manchester.

Fakten und Fiktion

Am 5. Februar kommt der Film „Suffragette“ von Regisseurin Sarah Gavron und Drehbuchautorin Abi Morgan in die österreichischen Kinos. Es erzählt die Geschichte von Maud Watts, die mitansieht, wie die britische Regierung immer brutaler gegen die friedlichen Proteste der Frauenbewegung rund um Emmeline Pankhurst vorgeht. Dafür werden einerseits wahrhaftige Persönlichkeiten herangezogen, wie Pankhurst, die 1903 in Großbritannien die Women’s Social and Political Union (WSPU) gründete, die sich für das Frauenwahlrecht einsetzte. Die Rolle der Maud Watts ist indes angelehnt an die Biografie von Hannah Mitchell, einer Frau aus ärmlichen Verhältnissen, die sich seit ihrer Jugend für die Gleichberechtigung starkgemacht hatte.

Weiters auf der Leinwand zu sehen ist das Ehepaar Ellyn, das den realen Personen Barbara und Gerald Gould entspricht, die sich Anfang des 20. Jahrhunderts der Frauenbewegung verschrieben hatten – Barbara war an der Steinwurfaktion 1912 beteiligt, im Zuge derer rund 150 Frauen in London Fensterscheiben einschlugen, und war später Gründungsmitgliedern der „United Suffragists“. Die Suffragette Edith wurde an Edith Garrud angelehnt. Sie kam 1909 zu der WSPU und lehrte den Frauen Techniken des Jiu-Jitsu („Suffrajitsu“).

Auch der einstige Schatzkanzler David Lloyd George kommt im Film vor. Sein gerade fertiggestelltes Landhaus ist es, das (tatsächlich am 19. Februar 1913) von der Frauenrechtlerin Emily Davison in die Luft gesprengt wird. Letztere erlangte Berühmtheit, als sie sich am 4. Juni 1913 beim Sommerderby in Epsom vor das Pferd von König Georg V. warf und wenige Tage später ihren Verletzungen erlag. Auch der Name der Suffragette Olive Hockin wird in Zusammenhang mit dem Brandanschlag auf das Schatzkanzler-Haus genannt, und steht fortan unter Polizeibeobachtung – im Film spiegelt sich das wieder, als die Polizei Maud Watts ins Visier nimmt.

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