Malta: Wenn alte Herren im Wettstreit rappen

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Seit Jahrhunderten duellieren sich die Bauern und Arbeiter sonntags mit Liedern – spöttischen Gesängen, die auch im Stegreif entstehen.

Zejtun. In einer Dorfkneipe sitzen vor allem Männer an abgestoßenen, kunststoffbeschichteten Tischen. Seit den 1970er-Jahren hat sich in dem kahlen Raum nichts verändert. Nur der Flatscreen-Fernseher an der Wand ist neu. Die Wirtin bringt Tellerchen mit Oliven, Schnecken, Nudeln, Knabbereien. Jede der vielen leeren Bierflaschen ersetzt sie gleich durch eine volle.

„Pscht“, zischt einer der Gäste, die anderen greifen den Laut auf. Es dauert keine Minute, bis alle Gespräche verstummen. Ein kräftiger graubärtiger Mann, der bisher still am Rand der Szene gestanden ist, beginnt leicht krächzend zu singen: erst in normaler Tonlage, dann immer höher, bis sich seine Stimme überschlägt. Nach ein paar Akkorden, die drei Musiker dazu auf ihren Gitarren spielen, fallen andere Sänger ein. Zwischen den Barden entspinnt sich ein Dialog auf Maltesisch, einem arabisch klingenden Idiom, durchsetzt mit sizilianischen Lauten. Die Zuhörer lauschen, lachen, klatschen.

„Die nehmen sich gegenseitig auf die Schaufel“, erklärt Manuel, ein Muskelprotz im orangefarbenen T-Shirt. Der Bauunternehmer ist der Einzige in der Runde, der ein wenig der zweiten Amtssprache, Englisch, beherrscht. „Die meisten sind nie oder höchstens vier Jahre in die Schule gegangen“, entschuldigt der 50-Jährige seine Freunde. Dennoch formulieren die Sänger ihre Battle-Texte aus dem Stegreif. Niemand hat Notizen. Jede Strophe liefert eine spontane Antwort auf den Beitrag des Vorgängers.

Entstanden sind die G'ana (sprich Ahna) genannten Lieder bei der Arbeit auf den Feldern. Bauern und Waschfrauen haben bei der Plackerei die Schönheit ihres Landes oder den Alltag in der Landwirtschaft besungen. „Damals gab es kein Fernsehen, kein Internet“, weiß Manuel, der singende Bauunternehmer. Neben sportlichen Wettbewerben dienten die Lieder der Information. So tauschten die Menschen Geschichten und Klatsch aus und berichteten von Erlebnissen. Später entstanden Spottlieder wie das vom ewig betrunkenen Kapitän, den seine Mannschaft aufs Altenteil schicken will. Ein Stück erzählt von jungen Männern, die auf der Suche nach schönen Mädchen durch die Dörfer ziehen. An jeder gefällt ihnen etwas nicht. Frustriert kehren sie zurück. Über die Jahrzehnte entstanden immer neue Formen von G'ana. Mal gibt jemand aus dem Publikum ein Thema vor, das die Darsteller spontan in ihrem Singsang diskutieren. In anderen Stücken, den Pront, provozieren sie sich gegenseitig.

Manuel sieht die wöchentlichen Sängerwettstreite vor allem als Sport: „Das ist wie Boxen, mit Worten statt mit Fäusten.“ „Manchmal“, sagt er nach kurzem Zögern, „bekommen sich die Sänger so in die Wolle, dass sie sich prügeln.“ Aber das sei selten. Viele Biere später singen die Herren weiter fröhlich um die Wette, als ein kräftiger Kerl mit einem Vogelkäfig unter dem Arm die Kneipe betritt. Fast alle drehen sich nach ihm um. Ein Glatzkopf steht auf und bestaunt das eingesperrte Kanarienvögelchen. Zärtlich streicht er über die Gitterstäbe. „Die sind streng geschützt“, erklärt der Besitzer. Er habe den Vogel von einem Züchter. Auf Druck der EU, der Malta vor zwölf Jahren beigetreten ist, hat die Regierung die Jagdregeln verschärft. Die Tiere in der Natur zu fangen ist verboten. Wer erwischt wird, muss mit einem Gerichtsverfahren rechnen. Er halte sich „selbstverständlich“ an die Gesetze.

In einer Ecke der Kneipe singen vier Männer um die Wette. Sie stehen im Kreis um die drei Gitarrenspieler, die die monotone Begleitmusik aus wenigen Klängen liefern. „Meine Freunde gehen lieber auf Partas oder in die Disco“, erzählt Eon. Der Gitarrenspieler ist mit 16 der Jüngste in der Runde. Als Kind hat er seinen singenden Vater auf der Gitarre begleitet und ist dabei geblieben. „Diese Lieder“, schwärmt der schmächtige junge Mann mit dem Flaumbart, „sind hunderte Jahre alt. So etwas hörst du in keiner Diskothek.“

Compliance-Hinweis: Die Malta-Reisen wurden von Corinthian Hotels, Air Malta und Malta Tourist Authority MTA unterstützt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.02.2016)

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