Unterwasser-Archäologie: Strahlendes Erbe am Grund

File handout picture of a mushroom cloud rising with ships below during Operation Crossroads nuclear weapons test on Bikini Atoll, Marshall Islands
File handout picture of a mushroom cloud rising with ships below during Operation Crossroads nuclear weapons test on Bikini Atoll, Marshall IslandsREUTERS
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Eine der ärgsten Altlasten des Kalten Kriegs wird Gegenstand der Forschung: Schiffe, die durch Atom-Testbomben verstrahlt und dann versenkt wurden.

Am 25. Juli 1946 zündete das US-Militär im Rahm der „Operation Crossroads“ eine Atombombe bei den Bikini-Inseln in 29 Metern Tiefe im Meer. Oben waren Kriegsschiffe verteilt, ausgediente eigene und erbeutete japanische und deutsche, an ihnen sollten sich die Effekte der Explosion zeigen, Menschen waren nicht an Bord, aber Messgeräte. Die Bombe hatte eine Sprengkraft von 23 Kilotonnen – fast doppelt soviel wie die von Hiroshima –, hieß „Baker“ und ruinierte das Atoll, eine Mischung aus Korallen und Salzwasser schoss nach oben.

Viele der Testschiffe hielten nicht stand, manche taten es doch, unter ihnen die Independence. Sie war ein Flugzeugträger und ein Stolz der Navy, hatte sich in unzähligen Schlachten mit japanischen Gegnern so gut geschlagen, dass sie – das Schiff – mehrere Tapferkeitsmedaillen erhielt. Nichts konnte sie versenken, nicht „Baker“, nicht „Abel“, das war eine Bombe, die einige Tage zuvor im Bikini-Atoll gezündet worden war, nicht im Wasser, sondern in der Luft.

Radioaktive „Geisterflotte“

Dabei waren schon einige der anfangs 91 Testschiffe verloren gegangen, „Baker“ forderte noch viel mehr, insgesamt 21 sanken bei Bikini. Und die, die doch noch schwammen, waren hochgradig verstrahlt, durch das Wasser, in der „Independence“ war es bis in die Schiffsclos gedrungen. Man versuchte zu dekontaminieren, mit Löschschaum, nach kurzer Zeit brach man es ab, es ging nicht. Für die Umwelt war „Baker“ dem Urteil des Chemikers Glenn Seaborg, des Chefs der Atomic Energy Commission, das „erste nukleare Desaster der Erde“. Die Navy hatte andere Sorgen: Wohin mit dem schwimmenden Atommüll? Hinab in die Tiefe! Manches lag ja schon unten, anderes wurde 412 Kilometer gefahren oder geschleppt – es ging als „Geisterflotte“ in die Geschichtsbücher ein –, nach Kwajalein, eine frühere japanische Flottenbasis. Im dortigen Atoll wurden wieder 25 versenkt, wo sie liegen, weiß man nicht, nur eine zeigt es selbst, die deutsche „Prinz Eugen“, ihr Heck ragt aus dem Wasser.

Besser erhaltene schafften es aus eigener Kraft bis in die USA, unter ihnen die „Independence“. Dort fand auch sie ihr Grab, 1951, irgendwo vor San Francisco, man schoss sie mit Torpedos zusammen, sie sank tief, unzugänglich für alle, vor allem für Spione der Sowjetunion: „Außer Reichweite“. Soviel verriet das Militär. Mehr nicht, weder den Ort noch die Fracht: Man hatte die Independence vollgestopft mit Atommüll, Müll und deshalb mit den Torpedos sorgsam gezielt: Nicht auf den Müll! Soviel sickerte durch.

Ob aus dem Schiff Strahlung sickerte, interessiert nicht: Erstens war Kalter Krieg, und zweitens war es gängige Praxis, Atommüll ins Meer zu entsorgen, militärischen wie zivilen. Sorgen machte sich in den 1970er-Jahren die London Dumping Conferenc, eine supranationale Organisation, die für Müll in den Meeren da ist. Sie verbot 1982 das Dumpen von zivilem Müll, bis dahin hatten das zwölf Staaten getan – an der Spitze England, gefolgt von der Schweiz –, vor allem im Atlantik, in betonummantelten Fässern. In welchem Zustand die sind, ist nicht klar, und ob sich alle an das Verbot halten, ist es auch nicht.

Die größte Unbekannte ist das Militär, publik wurden nur die spektakulärsten Fälle: Den USA fielen Atombomben ins Meer, und sie wie die Sowjetunion mussten havarierte Atom-U-Boote beklagen. Das waren Unfälle, häufiger wurde ganz gezielt an den Meeresboden entsorgt wie bei der Independence: Deren Daten, sowohl die des Orts wie die der Fracht, waren natürlich bekannt, aber sie blieben in den Tresoren des Militärs.

Das blieben sie auch, als Umwelt- und Naturschutzbehörden nachfragten. Deshalb machten diese sich selbst auf die Suche, unter Leitung der für die Meere zuständigen Behörde NOAA. Die hat auch Unterwasser-Archäologen, und einer von ihnen, James Delgado, borgte sich von Boeing einen Tauchroboter und ließ ihn dort 828,75 Meter tief hinab, wo man mit Sonar etwas Verdächtiges gesichtet hatte. Man fand die Independence, Kameras nahmen sie in Augenschein: Das Schiff sieht noch so aus wie auf den Fotos, die nach „Baker“ gemacht wurden (Journal for Maritime Archeology 11, S. 9).

Abgeklungene Gefahr?

Was in der Independence ist bzw. aus ihr strahlt, wurde nicht erkundet, zumindest nicht publiziert. Immerhin versichert ein Begleit-Editorial eines Vertreters der US-Navy, Robert Neyland, allenfalls ein Viertel der Radioaktivität sei noch da. Und er bietet eine Bilanz, nicht über die USA, sondern über Russland: „19 radioaktive Schiffe“ habe es versenkt, 14 Nuklearreaktoren (fünf mit spaltbarem Material), 17.000 Container Müll.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.05.2016)

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