Digitale Uni: "Derzeit eine Katastrophe"

Lucia Grabetz.
Lucia Grabetz.(c) APA/HELMUT FOHRINGER
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Für eine bessere Vereinbarkeit sollen Unis alle Vorlesungen online stellen, fordert Lucia Grabetz von der ÖH. Bei Durchmischung sieht sie Handlungsbedarf. Genauso bei den Stipendien.

Die Presse: Die soziale Durchmischung bei den Studienanfängern hat sich trotz neu eingeführter Zugangsbeschränkungen nicht verschlechtert. Sie ist an den Unis laut der Studierendensozialerhebung sogar etwas besser geworden. Freuen Sie sich?

Lucia Grabetz: Wir freuen uns auf jeden Fall, wenn sich die soziale Durchmischung verbessert. Aber prinzipiell ist sie immer noch nicht gut. Und man sieht, dass sie in zugangsbeschränkten Fächern weiter schlecht ist beziehungsweise noch schlechter wird, etwa in Medizin.

Eine Studie im Auftrag des Wissenschaftsressorts hat im Vorjahr gezeigt, dass in den zuletzt beschränkten Studienfächern – von Biologie bis Wirtschaft – kein eindeutiger Trend erkennbar ist.

Ich denke schon, dass gerade bei der Wirtschaft die soziale Durchmischung nicht die Beste ist. Und eigentlich sollte man ja eine Verbesserung erzielen. Da sehen wir ganz viel Handlungsbedarf.

Was müsste noch passieren, um den sozialen Mix zu verbessern?

Ganz wichtig ist der freie Hochschulzugang. Der Zugang zum Studium soll möglichst hürdenfrei sein. Gerade für die soziale Durchmischung ist aber auch die Orientierung zentral. Da geht es um die Maturantenberatung und auch um Beratung für jene Menschen, die überlegen, im zweiten Bildungsweg ein Studium zu beginnen.

Es sind gerade die spät berufenen Studenten, die eher aus weniger gebildeten Familien kommen, die die soziale Durchmischung an den Unis aufbessern. Sie brechen aber im ersten Jahr besonders oft das Studium ab. Was tun?

Die Sozialerhebung zeigt, dass unter den armutsgefährdeten Studierenden viele von 26 bis 30 Jahren sind: Genau jene, die mit nicht-akademischem Background im zweiten Bildungsweg kommen, sind also stärker mit finanziellen Schwierigkeiten konfrontiert. Das ist ein wesentlicher Faktor, um ein Studium abzubrechen. Und natürlich brechen auch die, die daneben arbeiten, viel eher ein Studium ab.

Minister Reinhold Mitterlehner (ÖVP, Anm.) sieht die Unis am Zug, die Vereinbarkeit von Job und Studium zu verbessern. Welche Angebote müssen die Unis diesen Studierenden machen?

Ich studiere an der Uni Linz Jus im Fernstudium. Da kann man vieles kritisieren, aber was schon gut ist und was man von einer Uni heute auch verlangen kann, ist, dass man viel mehr online geht. Wir haben zu wenige Ressourcen, was Räume und Personal betrifft. Und da verstehe ich überhaupt nicht, warum sich so viele immer noch dagegen sträuben, dass man Vorlesungen online sehen kann. Das halte ich eigentlich für eine Katastrophe.

Lehrveranstaltungen sollten also generell online gestellt werden.

Das wäre ganz einfach. Viele Vorlesungen werden ohnehin aufgenommen und in anderen Hörsälen gestreamt. Aber man kann sie sich nicht von zu Hause ansehen. In Harvard ist jede Vorlesung online einsehbar. Das wäre wichtig, auch insofern, als Unis ja in Wechselwirkung mit der Gesellschaft stehen sollten. So wären die Inhalte ebenso für jene zugänglich, die sich einfach für ein Thema interessieren.

Mehr Flexibilität durch ein besseres Onlineangebot: Reicht das für eine bessere Vereinbarkeit?

Das ist ein ganz wichtiger Punkt, aber es reicht natürlich nicht aus. Denn um ein Studium abzuschließen, muss man natürlich auch lernen und Aufwand betreiben. Und wenn Studierende arbeiten müssen, fehlt häufig die Zeit dafür. Daher ist sehr wichtig, dass das System der Studienbeihilfen entsprechend angepasst wird.

Mitterlehner hat nun zusätzliche 25 Millionen Euro für den Ausbau der Studienbeihilfen angekündigt. Sie halten das nicht für genug. Wie viel Geld braucht es?

Für eine Inflationsanpassung, die seit 1999 nicht passiert ist, brauchte es auf jeden Fall mehr als 25 Millionen Euro. Die Inflation hat seither 36 Prozent betragen. Und die Valorisierung der Studienbeihilfe muss gesetzlich verankert werden.

Reicht es, mehr Geld in das Beihilfensystem zu stecken?

Nein. Was die Sozialerhebung auch zeigt, ist, dass immer weniger Studierende anspruchsberechtigt sind. 2009 haben 18 Prozent eine Beihilfe bekommen, jetzt 12,3 Prozent. Das Problem ist die kalte Progression: Dass das Elterneinkommen zwar immer höher wird, aber nicht mehr wert ist. Die Anpassung des Grundwerts, anhand dessen die Beihilfe berechnet wird, muss daher unbedingt gesetzlich verankert werden.

Nun soll die Situation für ältere Studierende verbessert werden. Studenten über 27 sollen künftig etwa die Höchstbeihilfe beziehen können. Ist das mehr als nur ein Tropfen auf den heißen Stein?

Das ist natürlich positiv. Aber es braucht ganz dringend eine Valorisierung. Denn je mehr man arbeiten muss, desto weniger Leistung kann man bringen und desto eher verliert man die Beihilfe wieder.

ZUR PERSON

Lucia Grabetz (25) ist für den roten VSStÖ im Vorsitzteam der ÖH-Bundesvertretung. Sie studiert Französisch und Deutsch auf Lehramt an der Uni Wien und Jus im Fernstudium an der Uni Linz.

Die Studierendensozialerhebung ist am Montag Reinhold Mitterlehner (ÖVP) präsentiert worden. 47.000 Studenten wurden online befragt. Demnach fangen immer mehr später zu studieren an. Das verbessert den sozialen Mix etwas. [ APA]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.06.2016)

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