Pop

Gerhard Polt erzählt von „Scheichen und Scheichinnen“

Gerhard Polt in der Bauernstube.
Gerhard Polt in der Bauernstube.(c) Sascha Osaka/glatt&verkehrt
  • Drucken

Das Weltmusikfestival Glatt & Verkehrt feiert 20-jähriges Bestehen. Der Posaunist Christian Muthspiel und eine Gruppe jazziger Jodler, deftige bayerische Humoristen und ein britisches Ukulele-Orchester bespielten den Eröffnungsabend in der Kremser Sandgrube.

Unbeeindruckt von der aktuellen Weltlage hielten die Well-Brüder aus'm Biermoos allen Dönersympathisanten das beeindruckende Emblem des Schweinsbratens entgegen. Furchtlos skandierten sie „Schweinsbraten für Europa, Schweinsbraten für die Welt!“, dazu servierten sie würzige Blasmusik, wie sie zur bajuwarischen Lebensart gehört.

Um ihre „Mischen wiss Wischen“ (Mission with Vision) umsetzen zu können, sparten sie nicht an aus den Bauernstuben hinausdrängendem, schweren Gerät. Wacker attackierten sie mit Tuba, Harfe und Alphörnern. Und weil ihr Horizont nicht an der bayerischen Grenze endet, machten sie sich Gedanken über Kreisheimatpfleger und Freiwillige Feuerwehr und eine Weihwasserpipeline von Tuntenhausen nach Lourdes. Ja, und dann hatten die Well-Brüder für ihren Auftritt bei der 20. Ausgabe des Weltmusikfestivals Glatt & Verkehrt noch ihren alten Freund Gerhard Polt mit im Gepäck.

Erstaunlich, mit welcher Genauigkeit dieser noch aus sinnentleertesten Sprachhülsen ein grelles Sittenbild des Kleinbürgertums zu zaubern imstande war. Da war etwa der Rentner in „Buwe“, der das Enthaupten als Errungenschaft Mitteleuropas festmachte und in der Guillotine jene Wundermaschine erkannte, die uns allen die Demokratie geschenkt hat. „Weil die ham schon geköpft, da hat's noch gar kein Fernsehen gegeben.“ Dem hierzulande wachsenden Horror vor Gesellschaften wie der Türkei unter dem Regime Erdoğans hielt er hiesige Problemlagen entgegen. „Meinungsfreiheit? Was ist mit ihr, wenn man gar keine Meinung hat?“ Die Welt, wie sie von den Well-Brüdern und Polt gezeichnet wurde, ist beherrscht vom „Diri Dari“ (Geld). Das ist etwas, das man auch im Morgenland kennt. Polt erzählte von „Scheichen und Scheichinnen“, die auf der Münchner Maximilianstraße auf nüchternen Magen Rolex-Uhren shoppen. „Ned amal a Marmaladbrot hab's gfressn vorher . . .“

Vor diesem Buffet maliziöser Minidramen gab es Traditionspflege der schrägen Art. Posaunist Christian Muthspiel blätterte gemeinsam mit jungen progressiven Jazzmusikern in seinem „Boyhood Yodel Book“. Mitwirkende der Musikwerkstatt Göttweig stellten zunächst einige Jodler in ihrer ursprünglichen Form vor. Danach ließen Muthspiels junge Wilde, unter ihnen Bassist Lukas Kranzlbinder, Schlagzeuger Lukas König und Trompeter Mario Rom, die urigen Motive ins Jazzige ausfransen. Ein Höhepunkt war das Medley aus „Kollerschläger“ und „Ein schöner Verkehrter“, wo gegenläufige Stimmen synchron gesungen wurden. Auch der „Königsberger“, der als weher Blues interpretiert wurde, entzückte. Weil diese Art Hirschröhren, die Gerald Preinfalks Saxofontrichter entwich, einen Hund im Publikum zu jaulender Klangsetzung ermutigte. Krönender Abschluss dieses Abends war das exzentrische Ukulele Orchestra of Great Britain. Zwei Damen und sechs Herren in Abendgarderobe spielten nichts anderes als dieses winzige Saiteninstrument, das jedes Jahr zu Weihnachten der Verkaufshit der Musikalienhandlungen ist. Pophits von Amy Winehouse bis Prince wurden höchst beseelt in ungewohntem Soundkleid vorgeführt. Mit Plektren angeschlagen, die angeblich aus Hotelzimmerkarten gefertigt waren, entführte das Oktett in die Gegenwelt von „Teenage Dirtbags“, die es unverzüglich auf den „Highway to Hell“ lockte. Jungsein bedarf, wie diese Kombo zeigte, nicht immer einer kurzen Lebensspanne.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.07.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.