Amazon: Das nette Gesicht des Umbruchs

Amazon denkt über Expresslieferungen in Wien nach.
Amazon denkt über Expresslieferungen in Wien nach.(c) REUTERS
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Kritiker zweifeln, dass die Kraft des Konzerns nur Gutes schafft. Für Amazon.de-Chef Ralf Kleber zählt allein die Befriedigung des Kundenwunschs – auch wenn daran Branchen zerbrechen.

Wien. Schwarze Sneakers, schwarzes Kurzarmpolo, lockeres Auftreten – Ralf Kleber ist ein sympathischer Typ Ende 40. Und er ist ein mächtiger Mann. Kleber ist Amazon.de-Chef und als solcher der einflussreichste Vollzugsgehilfe von Amazon-Gründerlegende Jeff Bezos in der Alten Welt. „Der deutschsprachige Raum ist der wichtigste Markt nach den USA“, analysiert Kleber die Schlüsselrolle seines Wirkungsbereichs. Elf Mrd. Euro setzte Amazon.de 2015 um. Monatlich besuchen 30 Millionen Kunden Klebers Website. In den deutschen Logistikzentren arbeiten 11.000 Festangestellte unter seiner Regie.

Dennoch sagt der Mann, der seit 1999 bei Amazon ist, über den Weltkonzern: „Im Prinzip sind wir ein Start-up mit 220.000 Mitarbeitern.“ 1999 war das Unternehmen aus Seattle fünf Jahre alt. Bezos legendärer Brief an die Investoren, in dem er ankündigt, viel Geld zu verbrennen, viele Fehler zu machen und vor allem alles im Internet zu verkaufen, was sich der Kunde wünscht, ist zwei Jahre her.

Kleber erzählt gern die Briefanekdote. Auch, weil sie sinnbildhaft für das System Amazon steht. „Derjenige, der stehen bleibt, läuft Gefahr, von seinem Geschäftsmodell abgehängt zu werden“, sagt Kleber. Wenn ihn jemand frage: „Was seid ihr eigentlich? Versandhändler, Marktplatz, Filmstudio, Cloud-Anbieter?“, dann sage er nur: „Ja.“ Weil Amazon eben alles sei.

Der Angstgegner

Diese Wandlungsfähigkeit macht den Technikriesen zum Angstgegner ganzer Branchen. Paradebeispiel ist der Buchversand, mit dem 1995 alles begonnen und auf den der US-Konzern heute quasi das Online-Monopol hat. „Vielen Buchhändlern begegnet nicht Amazon, sondern die Zukunft“, sagt Kleber unerbittlich. Denn das ist er auch, der sympathisch-lockere Deutschland-Chef mit den schwarzen Sneakers: unerbittlich gegenüber Händlern oder ganzen Branchen, die in den Augen Amazons die Zeichen der Zeit verschlafen haben.

Die Frage, die ihm dieser Tage wohl noch häufiger als „Was seid ihr eigentlich?“ gestellt wird, ist „Wann liefert Amazon uns frische Lebensmittel?“. Das tut der Weltkonzern bereits. Jedoch nur in einigen Metropolen wie New York, Mailand, seit Mai auch in Berlin. Amazon Prime Now heißt das Angebot, bei dem die zahlende Abo-Kundschaft innerhalb einer Stunde beliefert wird. Die kurzen Lieferzeiten machen erstmals eine Zustellung verderblicher Lebensmittel möglich. Amazon Fresh heißt das Service auf Konzernenglisch.

Mit den Testläufen in Berlin ist Kleber zufrieden. Wien schließt er als Standort für Amazon Prime Now nicht aus. „Die Österreicher essen doch?“, fragt er ironisch zwinkernd. Konkreter wird er nicht. Das ist Amazon-Mentalität: Das Kundenbedürfnis ist da, also wird es befriedigt – und nebenbei ein weiterer Markt aufgemischt. Zu detaillierten Plänen hält sich der Konzern aber stets bedeckt. Nur im Rahmen des Jahresabschlusses des an der Wall Street gelisteten Unternehmens dringen Kennzahlen nach außen.

Und in Österreich hat Amazon bereits von vielen unbemerkt das Geschäft mit dem schwer verderblichen Großeinkauf geentert. Amazon Pantry (übersetzt Speisekammer) heißt das Service, bei dem Österreichs Prime-Mitgliedern seit Oktober mehr als 500.000 haltbare Lebensmittel und Haushaltsartikel zugestellt werden. Die Preise seien dieselben wie in Deutschland, nur der Mehrwertsteuersatz variiere, sagt Kleber.

Die fliegende Zukunft

Nicht in Wien, sondern in Graz versucht Amazon gerade, die Zukunft der Logistik zu schreiben. Dort tüftelt etwa ein Dutzend Mitarbeiter in Zusammenarbeit mit der TU Graz daran, Drohnen das Sehen zu lehren. Die kleinen unbemannten Flugzeuge sollen es dem Konzern irgendwann ermöglichen, Pakete auch außerhalb der städtischen Ballungszentren in unter einer Stunde zuzustellen. „Die Leute dachten ursprünglich, wir machen einen Aprilscherz“, erinnert sich Kleber an den Moment im April 2014, als Bezos mit der Neuigkeit vor die Presse trat.

Sofort habe die Öffentlichkeit bei dem Wort Drohne aufgeschrien. Der Amazon.de-Chef weiß, dass Drohnen in den Augen vieler zu dem Gefährder-Image des Versandriesen passen, der im Vorbeigehen ganze Branche niederstreckt. Doch er stellt klar: „Millionen Drohnen über Wien – das ist nicht das Bild, an das wir denken.“

Bedrohlicher für den heimischen Lebensmittelhandel dürften Kampfansagen Klebers sein: „Viele Lebensmittelhändler glauben zu wissen, wie die Kunden die Lebensmittel haben wollen. Wir denken alles rückwärts vom Kunden.“ Da ist es ein schwacher Trost, dass in einigen Jahren nicht Heerscharen von Amazon-Drohnen Wiens Himmel dominieren werden.

Zur Person

Ralf Kleber ist seit 2002 Geschäftsführer von Amazon.de. Er startete 1999 – ein Jahr nach Gründung der Amazon-Deutschland-Tochter – als dessen Finanzchef.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.07.2016)

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