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Kamasi Washington: So hat der Jazz eine Zukunft

 „Als Science-Fiction-Freak kann ich gar nicht anders: Ich muss in die Zukunft schauen wollen!“ Kamasi Washington, 35 Jahre alt, der neue Star des Jazz, hat keine Lust auf Vergangenheitsseligkeit. Am Dienstag füllte er zum Abschluss des Wiener Jazzfests die Ottakringer Brauerei.
„Als Science-Fiction-Freak kann ich gar nicht anders: Ich muss in die Zukunft schauen wollen!“ Kamasi Washington, 35 Jahre alt, der neue Star des Jazz, hat keine Lust auf Vergangenheitsseligkeit. Am Dienstag füllte er zum Abschluss des Wiener Jazzfests die Ottakringer Brauerei.(c) APA/AFP/EVA HAMBACH
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Kamasi Washington triumphierte mit spirituellem Freejazz und Funk. Mit der „Presse“ plauderte er über Zeitmaschinen und seine Kindheit in South Central, Los Angeles.

„Hundert Jahre in die Zukunft“ würde er sich beamen, falls er eine Zeitmaschine hätte, erklärte Kamasi Washington der „Presse“. Die gern als goldene Ära verherrlichten Fünfziger- und Sechzigerjahre interessieren ihn herzlich wenig: „Ja, gewiss, da hätte ich einige meiner Lieblingsmusiker live sehen können. Aber als Science-Fiction-Freak kann ich gar nicht anders: Ich muss in die Zukunft schauen wollen!“

Tatsächlich gilt der 35-jährige Saxofonist Kamasi Washington, der am Dienstag erstmals mit eigener Band in Österreich aufgetreten ist, als der große Hoffnungsträger eines (viel zu) oft für tot erklärten Genres. Grundlage für diese Einschätzung ist das Dreifachalbum „The Epic“, das er 2015 mit Orchester und Chor aufgenommen hat: In 172 Minuten reist man in die Welt des spirituellen Freejazz, aber auch in Richtung Fusion, Funk und R&B. Mit überraschend großem Erfolg: „The Epic“ kam auf Platz drei in den US-amerikanischen Billboard Charts. Seit heuer wird Washington auch für Rockevents verpflichtet. So bespielte er etwa schon das kalifornische Coachella und das Bonnaroo Festival. Dass ein progressiver Jazzmusiker für traditionelle Rock- und Pop-Spielstätten gebucht wird, das gab es schon lang nicht mehr, vielleicht das letzte Mal bei Miles Davis.

Stets Kontakt mit dem Hip-Hop

Für viele heutige Teenager, nicht nur in den USA, ist Hip-Hop das, was damals Rock war. Auch Kamasi Washington, aufgewachsen in South Central, dem Problembezirk von Los Angeles, aus dem viele große Rapper kommen, wurde u. a. mit Hip-Hop sozialisiert. „Als Kids hörten und liebten wir alles: Funk, Hip-Hop, Jazz“, sagt er. „Mit 13 bekam ich ein Mixtape mit Art-Blakey- und Lee-Morgan-Aufnahmen geschenkt. Daraufhin habe ich mich für den Jazz entschieden.“

Dabei hielt er stets Kontakt mit dem Hip-Hop: Mit Snoop Dogg ging er auf Welttournee, mit Kendrick Lamar nahm er das epochale politische Rapalbum „To Pimp a Butterfly“ auf. Das hat den Hype um ihn befeuert. Dafür stellt ihm jetzt die Jazzpolizei nach. Zu Unrecht. Seine Glaubwürdigkeit bleibt intakt, auch wenn er sich zuweilen von der reinen Lehre abwendet. Dem Gros der Fans waren derlei Spitzfindigkeiten ohnehin egal.

Auch in der tontechnisch problematischen Ottakringer Brauerei wurde sein Oktett begeistert empfangen. Die Musiker, die einander von Kindheit an kennen, haben rasch den Sog entwickelt, für den sie bekannt sind.
Eröffnet wurde mit „Change of the Guard“, das an John Coltrane erinnert: Washington selbst sieht es als Hommage an Musiker, denen die große Karriere verwehrt geblieben ist. So einer ist Washingtons Vater Rickey, der an diesem Abend als Sopransaxofonist dabei war. Komponiert hat Washington dieses Stück schon mit 19 Jahren. Damals half ihm sein Vater bei der musikalischen Orientierung. „Es waren immer alle da. Unser Haus war das Probestudio für die halbe Nachbarschaft.“ Später war Orchesterleiter Gerald Wilson (1918–2014), der für alle Großen von Duke Ellington bis Charlie Parker arrangiert hat, sein Mentor: „Er war mein erstes richtiges Fenster in den Jazz. Im Prinzip habe ich alles Wichtige von ihm gelernt.“

So auch den Mut, seine Arrangements mit weicheren Passagen anzureichern, was live große Wirkung hat. Etwa in „The Rhythm Changes“, bei dem der melodramatische Gesang Patrice Quinns durch furioses Saxofon- und Posaunen-Unisono-Spiel in immer neue Höhen gelockt wurde. Wenn es funky wurde, traten Bassist Miles Mosley und Keyboarder Brandon Coleman mit klanglichen Exzentrizitäten in den Vordergrund. Ein Genuss war der kunstvoll patscherte Rhythmus des einst von Sarah Vaughan gesungenen Standards „Cherokee“, einer Liebeserklärung an einen indianischen Krieger. Quinn interpretierte sie sehr ambivalent, als wäre ihr die Sinnlichkeit nicht ganz geheuer. Washington und der Rest der Kavallerie machten indessen Pause von der Pflicht der ästhetischen Verfeinerung und zelebrierten den simplen Groove, wie auch beim schmutzigen Funk von „Oscalypso“. Eindrucksvoller waren freilich die epischen Stücke wie „Re Run“. Hier pendelten diese Klangfreibeuter fidel zwischen Komplexität und Sehnsucht nach dem Rauschhaften.

Und das Schönste? Kamasi Washington lockt viele, die sonst Pop oder Hip-Hop hören. So, und nur so hat Jazz Zukunft.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.08.2016)

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