Das Geheimnis der Wiener Schneekugel

Erwin Perzy III. im kleinen Laden seiner Original Wiener Schneekugelmanufaktur im 17. Bezirk. Im kleinen Museum werden die Anfänge der Schneekugel erzählt.
Erwin Perzy III. im kleinen Laden seiner Original Wiener Schneekugelmanufaktur im 17. Bezirk. Im kleinen Museum werden die Anfänge der Schneekugel erzählt.(c) Stanislav Jenis
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Erwin Perzy III. führt ein großes Erbe in dritter Generation fort: Sein Großvater hat 1900 die Schneekugel erfunden. Heute werden in der Original Wiener Schneekugelmanufaktur im 17. Bezirk 200.000 Schneekugeln im Jahr gefertigt.

Sie ist zwar nicht ganz so bekannt wie Coca-Cola, hat aber doch eine spannende Gemeinsamkeit mit der weltbekannten Getränkemarke: die Wiener Schneekugel. Denn so geheim wie die Originalrezeptur von Coca-Cola ist auch jene der echten Wiener Schneekugel. Genauer gesagt geht es um den Schnee in der Glaskugel: Woraus dieser besteht, damit er sachte und, ja, romantisch um Stephansdom, Kaiserin Sisi oder auch einen Guglhupf treibt, ehe er in der Kugel langsam wieder zu Boden sinkt, weiß nur eine einzige Person weltweit.

Erwin Perzy III. nämlich. Selbst seine Tochter Sabine, die die Original Wiener Schneekugelmanufaktur eines Tages übernehmen – und sie dann in vierter Generation führen – wird, kennt die genaue Zusammensetzung des Schneekugel-Schnees noch nicht, erzählt ihr Vater. Nur so viel verrät er bei einem Rundgang durch das kleine, aber sehr sehenswerte Museum, das samt Shop an seine Manufaktur im 17. Bezirk angeschlossen ist: Einer der Bestandteile ist Hartwachs. Durch zahlreiche Experimente halten die weißen Flocken in der Kugel Temperaturen bis 60 Grad stand, ehe sie schmelzen.

Das war nicht immer so. Denn als sein Großvater, Erwin Perzy, die Schneekugel im Jahr 1900 erfand, schmolz der Schnee schon bei 30 Grad. Stand die Kugel also in der Sonne, war es mit dem wilden Schneetreiben in ihr mitunter bald vorbei.

Erfunden hat Perzy I. die Schneekugel, die sehr schnell weltweit bekannt wurde und trotz Patents unzählige Nachahmer gefunden hat, per Zufall, erzählt sein Enkel. Eigentlich stellte Perzy I. Chirurgeninstrumente her. Eines Tages trat ein Arzt an ihn heran, weil er sich für den OP-Saal ein besseres Licht wünschte als die damals gängige und nicht sehr sterile Beleuchtung mit Gaslicht. „Mein Großvater begann zu experimentieren“, zunächst mit Glaslinsen. Dann versuchte er es mit einer sogenannten Schusterkugel: einem mit Wasser gefüllten Glaskolben in Kugelform, den die Schuster seinerzeit benutzten, um das Licht der dahinterstehenden Kerze zu verstärken.

Perzy ersetzte die Kerze durch eine Glühbirne und fügte dem Wasser diverse Stoffe zu, die das Licht reflektieren und so verstärken sollten. Als er Glassplitter in die Kugel warf, erinnerte ihn der Effekt an Schnee. Etwa um diese Zeit bat ihn ein Freund, der im Wallfahrtsort Mariazell Kerzen und Rosenkränze verkaufte, darum, eine Miniatur der Mariazeller Basilika aus Zinn zu gießen (Perzy hatte für die Herstellung der Chirurgeninstrumente einen Zinnschmelzkessel).

Sockel mit Schuhcreme. So kam Perzy auf die Idee, die kleine Zinnbasilika in eine Glaskugel zu stellen und Schnee – statt den zu schweren Glassplittern füllte er gewöhnlichen Grieß ein – in der Kugel rieseln zu lassen. Als Sockel nahm Perzy kurzerhand den Fuß eines alten Kastens, den er mit schwarzer Schuhpasta einfärbte. Bis heute ist der schwarze Sockel, allerdings aus Kunststoff, eines der Markenzeichen der Wiener Schneekugel.

Zusammengesetzt hat Perzy I. die erste Schneekugel mit der Mariazeller Basilika im Jahr 1900. Eine Nachbildung des ersten Modells ist im Schneekugelmuseum zu sehen. Sie wurde im Wallfahrtsort sogleich zum Verkaufsschlager. Und nicht nur dort: Schon bald gab Perzy seinen eigentlichen Beruf auf. 1905, nachdem er lang an der Zusammensetzung des Schnees getüftelt hatte, begann er mit der Produktion. Die Werkstatt befand sich ein paar Häuser weiter vom heutigen Standort in der Schumanngasse. Perzy betrieb sie mit seinem Bruder Ludwig.

Die Schneekugel ist also eine original Wiener Erfindung. Perzy war überhaupt ein kreativer Geist, auf ihn geht auch die Neujahrstradition des sogenannten Silvestergusses zurück – besser bekannt als Bleigießen. Noch heute werden in der Schneekugelmanufaktur auch allerlei Neujahrs-Glücksbringer hergestellt. Während Perzy III. durch das kleine Museum führt, werden hinten in der Werkstatt gerade Tausende Glücksschweinchen produziert.

Zu seinen besten Zeiten beschäftigte Perzy I. an die 30 Mitarbeiter. Die Schneekugel wurde bis nach Indien exportiert und zum Welterfolg. Der sie bis heute geblieben ist. Auch wenn Perzy III., wie er sagt, von einem Verdienst wie sein Großvater nur träumen kann. 200.000 Schneekugeln werden heute in der kleinen Manufaktur jedes Jahr im Schnitt hergestellt. Die Gläser werden zugekauft. Sockel aus Holz (für Spezialanfertigungen, üblicherweise besteht der Sockel aus Kunststoff) kommen von einem Drechsler. Sonst aber wird alles in der Manufaktur gemacht.

Die kleinen Formen, die später in den Kugeln mit Schnee berieselt werden, entwirft Perzy selbst. Den Prototyp produziert er aus Kupfer. In der Produktion werden die Figuren – vom Riesenrad über Pandabären bis zum Frosch – aus Kunststoff hergestellt. Die Spritzgussformen, die gerade auf Perzys mächtigem Arbeitstisch liegen, verraten, welche Formen für Schneekugeln als Nächstes hergestellt werden – etwa eine Miniatur-Sachertorte samt Schlagobers, ein Auftragswerk für das Hotel Sacher.

Überhaupt bekommt die Schneekugelmanufaktur viele Auftragswerke, manchmal (teure) Einzelstücke. Oft werden Schneekugeln auch als Werbemittel bestellt. Immer wieder produzieren Perzy und seine 15 Mitarbeiter etwa Schneekugeln als Giveaways bei großen Kongressen.

So wurden einmal für einen Ärztekongress Hunderte Schneekugeln hergestellt, in denen das Riesenrad samt Medikamentenpackung zu sehen war. Auch für Ex-US-Präsident Bill Clinton gab es ein Auftragswerk: Statt des Schnees rieselt in seiner Kugel allerdings Original-Confetti von seiner Antrittsrede. Eine Kopie dieses Stücks ist in Perzys Schauräumen ebenso zu sehen wie jene Schneekugel, die ein Freund der Familie den Obamas geschenkt hat. In ihr ist die (Noch-)Präsidentenfamilie samt „First Dog“ zu sehen. Die Ronald-Reagan-Stiftung bestellte einst gleich 20.000 Schneekugeln bei Perzy – ein Dankeschön für alle Spender.

Anekdoten wie diese kennt Perzy III. viele. Und auch wenn er sie bestimmt schon Hunderte Male erzählt hat, spürt man seine Begeisterung für die lange Familiengeschichte und sein Produkt. Gegen Voranmeldung bietet er immer wieder Führungen durch seine Manufaktur an – in der Vorweihnachtszeit allerdings nicht. Die Schauräume sind aber auch im Dezember täglich außer Sonntag geöffnet (siehe Infobox). Perzy III. selbst ist gelernter Werkzeugmacher und hat den Familienbetrieb 1981 übernommen.

350 verschiedene Schneekugeln gehören zum Standard-Sortiment der Manufaktur. Es gibt sie in diversen Größen von sehr klein (25 mm Durchmesser, sieben Euro) bis groß (120 mm). Sonderanfertigungen können auch noch größer sein. Das beliebteste Motiv ist übrigens jener Schneemann mit Luftballon in der linken Hand, der auch das Firmenlogo ziert.

Jetzt, vor Weihnachten, verkaufen sich natürlich weihnachtliche Motive besonders gut, darunter der Weihnachtsmann mit Schlitten oder ein Christbaum. Auf dem Christkindlmarkt auf dem Rathausplatz findet sich derzeit auch ein eigener Stand mit den Wiener Schneekugeln.

Hauptmarkt Japan. Unter den Touristen ist der Stephansdom in der Schneekugel am populärsten, gefolgt vom Riesenrad. Überhaupt ist die Schneekugel ein sehr beliebtes Souvenir weltweit. Selbstredend gibt es auch Kugeln mit Uhrturm, Freiheitsstatue oder Eiffelturm. Perzys Unternehmen hängt sehr stark vom Export ab. Seine Schneekugeln liefert er nicht nur in die EU, sondern auch in die USA, die Emirate oder auch nach Australien. „Der Hauptmarkt aber“, sagt Perzy, „ist Japan, gefolgt von Deutschland. Erst dann kommt Österreich.“

Übrigens: Um den besten Effekt zu erzielen, wird die Schneekugel nicht geschüttelt, sondern zuerst einmal auf den Kopf und dann wieder gerade hingestellt.

Schneekugel

Die Original Wiener Schneekugelmanufaktur wird in dritter Generation von Erwin Perzy III. geführt. Die Manufaktur samt Shop ist von Montag bis Samstag von 9 bis 15 Uhr geöffnet. 17., Schumanngasse 87. www.viennasnowglobe.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.12.2016)

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