Marktabstinenz schadet nicht

Boerse Frankfurt am Main, Bulle und Baer
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Warum wichtige Börsenindikatoren noch keine Entwarnung geben und vorübergehende Marktabstinenz nicht schaden kann.

Der DAX in der Spitze mit rund 17 Prozent im Minus, der ATX mit 27 Prozent: Was sich in den vergangenen Tagen abgespielt hat, war mehr als die allseits erwartete Marktkorrektur. Das geht schon sehr in Richtung Bärenmarkt (die Wiener Börse hat das Bear Territory ja schon erreicht). Zumindest in Europa. Die US-Börsen halten sich deutlich besser, was wohl auch mit den besseren Konjunkturaussichten jenseits des Atlantiks zusammenhängt.

Dass am Freitag eine Gegenbewegung begonnen hat, die den DAX um annähernd drei Prozent nach oben gespült hat, sollte man als Anleger in dieser Situation nicht überbewerten. Nach den vorangegangenen Abstürzen waren die Märkte derart dramatisch überverkauft, dass ein Bounce geradezu zwingend anstand. Der kann sich durchaus zur kräftigen Bärenmarkt-Rallye auswachsen, für eine echte Trendwende ist es aber eindeutig zu früh.

Dazu sind viel zu viele Unsicherheiten im Markt: Die Konjunktur, die sich speziell in Europa in atemberaubendem Tempo eintrübt, die politischen Krisen und militärischen Konflikte von Russland bis Syrien, die wirtschaftshemmende Reformresistenz der europäischen Regierungen, die die Eurozone in die Deflation treibt. Das alles kann noch heiter werden.

Zieht man all das in Betracht, dann sind die Aktienmärkte selbst nach dem vorwöchentlichen Absturz noch sehr sportlich bewertet. Und haben jede Menge Luft nach unten. Besonders in der Eurozone, aber auch in den USA.

Das deutsche Anlegermagazin „Der Aktionär“ hat dazu in der Vorwoche auch noch einen an sich ziemlich verlässlichen, bei uns aber nur selten angewendeten Indikator ausgegraben: Das sogenannte Shiller KGV (das sich auf den breiten US-Index S&P 500 bezieht, die Inflation berücksichtigt, einen zehnjährigen Beobachtungszeitraum umfasst und deshalb viel aussagekräftiger als das gewöhnliche Kurs-Gewinn-Verhältnis ist). Dieser Indikator stand in der Vorwoche (in der Zwischenzeit dürfte er geringfügig niedriger sein) bei 26,5 – und damit auf einem Wert, der in den vergangenen 130 Jahren nur dreimal noch höher war: 1929, 2000 und 2007.

Was in den jeweiligen Folgejahren passiert ist, braucht man aufmerksamen Anlegern wohl nicht erklären: Indexabstürze zwischen 50 und 87 Prozent! Demzufolge gäbe es also noch sehr viel Luft nach unten. Natürlich kann man die Vergangenheit nicht einfach auf die Zukunft umlegen und für nächstes Jahr eine Börsenkatastrophe prophezeien. Aber zum Fröhlich-drauf-los-Investieren eignet sich eine solche Konstellation auch nicht unbedingt.

Die Empfehlung der Woche ist also kurz und bündig: Wer den Ausstieg bisher verschlafen hat (die Aufwärtstrends sind ja schon klar gebrochen) tut wahrscheinlich nichts wirklich Falsches, wenn er die Bärenmarktrallye nutzt, um halbwegs passabel aus dem Markt zu kommen. Dabei entstandene Verluste holt man auf, wenn der Markt wieder wirklich gedreht hat. Dann bekommt man die jetzt verkauften Papiere auch deutlich billiger zurück. Was jedenfalls gewinnbringender ist, als mit dem Paternoster durch den Keller zu fahren und dabei zu hoffen, dass der es in brauchbarer Zeit wieder in den gewinnbringenden ersten Stock schafft. Allerdings ist es nicht schlecht, sich einen Einkaufsspickzettel für die Trendwende zurechtzulegen, um für den Fall der Fälle gerüstet zu sein. Und der sollte sich nicht auf Aktien beschränken, denn derzeit fahren ja die meisten Asset-Klassen in den Keller, aus dem sie auch wieder einmal herauskommen werden.

Diese Einschätzung ist natürlich subjektiv. Viele Analysten raten auch jetzt zu Käufen. Dabei sollte man freilich schon drauf achten, dass man speziell kurstreibende Situationen (etwa Übernahmegerüchte und Ähnliches) auf den Radarschirm bekommt. In einer solchen Spezialsituation ist derzeit offenbar der Wettspielanbieter Tipp 24 (ISIN GB00BHD66J44), der von Steuererleichterungen in Großbritannien (die britische Tochter muss Spielerträge außerhalb Großbritanniens im Königreich bald nicht mehr versteuern) profitiert. Das bringt dem Unternehmen 22 Mio. Euro Entlastung. Und der Aktie Kaufempfehlungen von Deutsche Bank und Bankhaus Lampe mit Kurszielen zwischen 70 und 75 Euro. Derzeit notiert das Papier bei 36,5 Euro. Sieht also gut aus. Aber, wie gesagt, unbedingt muss man derzeit nicht investiert sein.

josef.urschitz@diepresse.com

diepresse.com/money

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.10.2014)

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