Vorsichtige Anleger bleiben Börse fern

Richard Costolo
Richard Costolo(c) APA/EPA/SEBASTIEN NOGIER
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Warum vorsichtige Anleger der Börse jetzt fern bleiben und wie die Twitter-Aktie vom Abgang ihres Chefs profitiert.

Es klingt für eine Kolumne zum Thema Geldmachen ein wenig seltsam, aber es gibt momentan keinen besseren Rat: Bleiben Sie dem Aktienmarkt jetzt einmal fern. Man muss nicht immer investiert sein. Manchmal ist es besser, das Händlertreiben aus der Ferne zu beobachten und sein Pulver für die nächste Offensive trocken zu halten. Statt es sinnlos zu verschießen.

Die Kursbilder sprechen eine überdeutliche Sprache: In den USA ist der Aktienaufschwung mehr oder weniger zum Stillstand gekommen, in Europa, besonders auf dem wichtigen deutschen Markt, hat sich seit dem 10. April ein glasklarer Abwärtstrend herausgebildet. Solange sich die Kurse innerhalb dieses sehr schön ausgeprägten Kanals stufenweise nach unten bewegen, ist nichts zu holen.

Die Begrenzungen dieses Kanals müssen sehr genau beachtet werden. Andernfalls ist ein teurer Reinfall, wie ihn viele Anleger in der vorigen Woche erlebt haben, sehr wahrscheinlich: Da haben die Kurse in Frankfurt machtvoll gedreht und einige Analysten haben sehr schnell die Trendwende und einen neuen kurzfristigen Bullenmarkt verkündet. Um sich dann am Ende der Woche mit langen Gesichtern in der harten Bärenmarkt-Realität wiederzufinden.

Faktum ist: Die Märkte sind in den ersten Monaten dieses Jahres zu weit gelaufen, und die zunehmende Grexit-Gefahr drückt zusätzlich auf die Kurse. Vor allem in Deutschland ist die Korrektur mit gut zehn Prozent zwar schon recht saftig ausgefallen. Es geht aber, wie man in der Vorwoche gesehen hat, durchaus noch tiefer. Und die Wahrscheinlichkeit, dass es weiter nach unten geht, ist derzeit deutlich größer als die „Gefahr“ eines plötzlichen Kursaufschwungs.

Mittelfristig orientierte Privatanleger sind normalerweise zwar keine Techniker, jetzt empfiehlt es sich aber auf jeden Fall, einen Blick auf die Charts zu werfen. Im deutschen DAX beispielsweise liegt die untere Grenze des Trendkanals derzeit bei rund 10.800 Punkten. Hält die nicht, dann könnte es durchaus in Richtung vierstelliger Indexwert gehen (wenngleich ein derart starker Sturz aus heutiger Sicht nicht wahrscheinlich ist).

Das obere Ende des Trendkanals liegt bei rund 11.800 Punkten. Erst wenn die nachhaltig überwunden sind, ist der Abwärtstrend Geschichte. Und erst dann ist der Markt wieder für Einstiege attraktiv. Leicht möglich, dass das erst nach dem Sommer der Fall ist.

Für Ungeduldige, denen zuwarten zu langweilig ist, haben Analysten natürlich auch in schwierigen Zeiten immer ein paar Tipps parat. In dieser Woche haben beispielsweise gleich drei Institute (Deutsche Bank, Baader Bank und Lampe) Kaufempfehlungen für den im MDAX notierten Bekleidungkonzern Gerry Weber(ISIN DE0003304101) abgegeben. Die Kursziele liegen zwischen 37 und 39 Euro und damit um gut 80 Prozent über dem aktuellen Kurs. Allerdings hat die Sache eine Haken: Der Bekleidungsbranche geht es nicht besonders gut, und Gerry Weber hat eben erst eine Gewinnwarnung abgegeben, was die Anleger mit massiven Verkäufen quittierten. Der Grund für die Kaufempfehlungen war lediglich der Umstand, dass die Aktie nach den jüngsten Kursrückgängen dramatisch unterbewertet zu sein scheint. Es ist also eine riskante Spekulation auf die Erwartung, dass der Konzern seine und die Probleme der Branche in den Griff bekommt.

Euphorisch haben die Anleger dagegen auf den Rücktritt des Vorstandschefs von Twitter(ISIN US90184L1026) reagiert. Könnte sein, dass das der Aktie jetzt ordentlich Schub verleiht. Zuletzt war Twitter freilich keine ausgeprägte Erfolgsstory, auch das ist also eine riskante Spekulation auf eine Trendwende.

Eine relativ sichere Bank ist dagegen das Papier des amerikanischen Dosenherstellers Ball Corp.(ISIN US0584981064), dessen Kurskurve seit mehreren Jahren wie mit dem Lineal gezogen nach oben zeigt. Der steht vor der Fusion mit einem europäischen Konkurrenten und wird, wenn der für 2016 geplante Zusammenschluss klappt, größter Dosenhersteller der Welt werden. Sehr wahrscheinlich, dass sich der Aufwärtstrend fortsetzt.

Flott unterwegs ist momentan auch der französische Autobauer Peugeot (ISIN FR0000121501). Der ist nach gelungener Umstrukturierung drauf und dran, die deutsche Nobelkonkurrenz in Sachen Produktivität zu überholen. Der Aktie geben Analysten gut 30 Prozent Potenzial.

josef.urschitz@diepresse.com

diepresse.com/money

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.06.2015)

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