Emotionen an der Börse

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 Warum sich Anleger absolut nie in eine Aktie verlieben dürfen, und welch destruktive Rolle Emotionen an der Börse spielen.

Die stillste Zeit des Jahres hat auch an den Märkten Einzug gehalten: Die großen Akteure haben ihre Bücher geschlossen, die wichtigsten Trader sind in den Weihnachtsurlaub entfleucht, der Handel flaut ab. Bis Mitte Jänner werden die Börsen jetzt wahrscheinlich keine vernünftigen Signale mehr liefern.

Zeit auch für Kleinanleger, den Finger vom „Kaufen“-Button auf der Website des Online-Brokers zu nehmen, sich zurückzulehnen und ein wenig zu reflektieren: Wie ist das Jahr gelaufen? Hätte es besser gehen können? Welche teuren Fehler können im kommenden Jahr vermieden werden?

Das ist die Zeit der Börsenpsychologen, die mit ihren Tipps ganze Bibliotheken füllen. Denn Börsenerfolg ist in hohem Maß eine mentale Angelegenheit. Eine der Emotionen. Präziser: eine der Ausschaltung von Emotionen. Denn Gefühle sind der teuerste Luxus, den sich ein Anleger leisten kann.

Beim Börsenhandel sind zwei der stärksten und zugleich destruktivsten Emotionen im Spiel: Angst und Gier. Die Angst vor Verlusten führt dazu, dass man Aktien viel zu lang hält – und dann, wiederum aus Angst, noch mehr zu verlieren, zum ungünstigsten Zeitpunkt verkauft. Die Gier verdeckt Warnsignale, die ein klar denkender Mensch beachtet hätte. „Beim Denken ans Vermögen leidet oft das Denkvermögen“, hat das der große Karl Farkas zusammengefasst.

Und dann noch die Emotion der Emotionen: die Liebe. Viele Anleger entwickeln zu einzelnen Papieren in ihrem Depot richtige Liebesbeziehungen. Sie gehen mit ihren Aktien durch dick und dünn, komme, was wolle. Trennung kommt nicht infrage. Und schon bald nimmt dieses Wertpapier einen viel zu großen Raum im Depot ein. Liebe macht eben blind. Viele Anleger machen mit diesem Verhalten den teuersten Fehler ihres Lebens.

Börsenpsychologen haben deshalb zwei eiserne Basisregeln parat: „Verlieben Sie sich nie, absolut nie in eine Aktie.“ Und: „Monogamie ist eine feine Sache, aber nicht an der Börse.“ Dort gilt der sogenannte Haremsansatz: möglichst breite Streuung.

Emotionsloses Handeln sieht so aus: Man springt auf einen erkennbaren Trend auf. Und steigt aus, sobald dieser Trend erkennbar bricht. Und: Man vermeidet unter allen Umständen große Verluste, die das Portfolio aufzufressen drohen. Auch dann, wenn man zur Verlustbegrenzung kleine Verluste in Kauf nehmen muss.

Das heißt: Es gibt kein „Aussitzen“ von großen Kursrückgängen. Diese Strategie kann sehr langfristig zwar funktionieren, muss aber nicht. Wenn sie das nicht tut, ist sie ein Atomschlag gegen das Depot. Wer das nicht glaubt, möge sich mit Leuten unterhalten, die beispielsweise 1998 Yahoo oder 2007 Immofinanz kauften, Kursrückgänge aussitzen wollten und jetzt noch immer auf 80 Prozent Verlust sitzen. Konkret: Vor dem Druck auf den „Buy“-Button hat man schon eine Vorstellung davon, was man will, unter welchen Umständen man kauft und welches Szenario zu einem sofortigen Verkauf führt. Und dieses Set-up wird dann auch emotionslos eingehalten.

Anlageberater rümpfen darüber oft die Nase und meinen, das sei spekulatives Trading – und stehe im Gegensatz zum sinnvollen langfristigen Investieren. Sie haben unrecht. Tradingstrategien funktionieren auf allen Zeitebenen, auch sehr langfristigen. Und sie sind eine gute Lebensversicherung gegen den Fall, wenn der Griff zu einer falschen Aktie alle aufgelaufenen Gewinne auszulöschen droht.

Wichtig ist, dass man Emotionen ausschaltet. Es ist nämlich kein Zufall, dass die wirklichen Großanleger immer öfter emotionslose Algorithmen über Kauf oder Verkauf entscheiden lassen.

josef.urschitz@diepresse.com

diepresse.com/money

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.12.2016)

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