Rumänien: "Wir sind Schlimmeres gewöhnt"

(c) AP (Vadim Ghirda)
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Vor knapp zwei Monaten startete Nokia die Produktion in Rumänien. 500 Personen sind mittlerweile im Werk in Jucu beschäftigt, 3000 werden noch aufgenommen.

JUCU. Nicht ganz zwei Monate nach der Inbetriebnahme hat der finnische Handy-Konzern Nokia die Fabrik im rumänischen Dorf Jucu bei Cluj (Klausenburg) schon wieder „modernisiert“: Seit Ende März wird nicht nur das Modell 1200 dort hergestellt, sondern die gesamte Palette der Handys der Einstiegskategorie. „Die Einrichtungen in der Fabrik ermöglichen den Zusammenbau verschiedener Modelle, sodass diese in Zukunft variieren werden“, sagte Anna Simai, Kommunikationschefin bei Nokia Südosteuropa, der englischsprachigen rumänischen Zeitung „Business Standard“. Welche Modelle dran sind, hänge von den Bestellungen der Verteilzentren im finnischen Salo, im ungarischen Komárom und in Cluj ab. Noch immer weist ein unscheinbares Schild den richtigen Weg: „Tetarom III Nokia“.

Der Industriepark vor den Toren von Jucu ist von einem deutschen Konsortium aus Bielefeld in weniger als einem Jahr aus dem sumpfigen Grund gestampft worden. Seit 11. Februar werden im „Nokia-Village“ Handys gefertigt. Seit Mitte März arbeitet die Fabrik mit 500 Mitarbeitern in zwei Schichten, sagte Simai. Bis Ende 2009 soll die Belegschaft auf 3500 Mitarbeiter hochgefahren werden. Einschließlich der Zulieferbetriebe sollen rund um Jucu insgesamt 15.000 Menschen beschäftigt werden. Zufrieden reibt sich Ioan Dorel Pojar in seiner Amtsstube die Hände. Nur drei Kilometer von den neuen Produktionshallen entfernt erwartet der geschäftsführende Bürgermeister von Jucu den Beginn der fetten Jahre. Goldfische gleiten leise durch das blubbernde Dienst-Aquarium. Und Goldgräberstimmung macht sich angesichts der erwarteten Steuereinnahmen auch in der verschlafenen 4200-Seelen- Gemeinde breit. Endlich könnten alle Häuser des Dorfes kanalisiert, die Straßen asphaltiert und ein Kulturzentrum gebaut werden, freut sich der Bürgermeister.

Mit bis zu 200.000 Euro zusätzlichen Steuereinnahmen im Jahr rechnet Pojar für Jucu. Mitleid für die nun von Arbeitslosigkeit bedrohten Nokia-Beschäftigten im fernen Bochum verspürt er kaum. Falls Nokia jemals wieder seine Zelte in Jucu abbrechen sollte, würden die rumänischen Arbeiter sich an die Situation anpassen und „sicher nicht klagen und streiken wie die Deutschen“, ist der Bürgermeister sicher. „Wir sind Schlimmeres gewöhnt“, sagt Pojar und verweist auf die mühsame Nachwende-Zeit, als das Land allein in der Industrie 2,5 Millionen Arbeitsplätze verlor: „Selbst wenn hier ein Doktor oder Professor seinen Job verliert, lässt er den Kopf nicht hängen – sondern geht notfalls nach Spanien zum Orangenpflücken.“

200 Mio. Euro Steuereinnahmen

Doch geht es nach dem Willen der Wirtschaftsförderer in Cluj, so soll die in Rumänien weit verbreitete Arbeitsemigration zumindest im Norden Siebenbürgens bald ein Ende haben. „Tetarom – der Brutkasten für Ihr Business“, prangt ein Banner vor dem Verwaltungsgebäude. Im Erdgeschoss sichten und schulen die gehetzt wirkenden Personalchefs des neuen Nokia- Werks interessierte Arbeitssuchende. In seinem Büro im Obergeschoß lässt Tetarom-Manager Viorel Gavrea derweil routiniert die Erfolgsgeschichte der drei von ihm verwalteten Industrieparks Revue passieren. Die dort angesiedelten Firmen wie Siemens, Emerson und nun Nokia werden Rumänien allein in diesem Jahr 200 Mio. Euro an Steuereinnahmen in die Kassen spülen.

Die 100.000 Studenten der Stadt Cluj bescherten den Investoren ein „hoch qualifiziertes“ Arbeitskräftepotenzial. „Die Autobahn nach Ungarn bauen wir nicht für Nokia, sondern für uns selbst“, beteuert Landratchef Marius Petre Nicoara. Auch der Ausbau des Flughafens sei bereits lange vor den Verhandlungen mit Nokia geplant gewesen: Die Ansiedlung habe allerdings geholfen, die Mittel in Bukarest schneller freizumachen. Altbekannte Rock-Klassiker schallen durch das Gemäuer des „Cafe Krajczar“ in Cluj.

Kellner Robert hat sein Geschichtsstudium nach zwei Jahren abgebrochen, zurück in seine Heimatstadt Hunedoara (Eisenmarkt) will der schlaksige 22-Jährige trotzdem nicht mehr. Zum einen könne er zu Hause „nie soviel verdienen wie hier“. Zum anderen sei Cluj „einfach eine tolle Stadt“. Die Gehälter im boomenden Cluj bewegten sich zwischen 300 und 400 Euro im Monat – bei Nokia jedoch darunter. Positiv sei sicher, dass die Ansiedlung von Nokia das Interesse anderer Investoren geweckt habe, sagt Lokalreporter Christian Todea. „Doch wenn Nokia einmal in ein anderes Billiglohnland weiter zieht, wäre das für das Land wohl eher ein gutes Zeichen.“

"Die Presse" Printausgabe vom 5.

AUF EINEN BLICK

Nicht ganz zwei Monate nach Inbetriebnahme beschäftigt das Nokia- Werk in Rumänien 500 Mitarbeiter. Bis Ende 2009 soll die Belegschaft auf 3500 Mitarbeiter steigen. Zusammen mit den Zulieferbetrieben werden durch die Ansiedlung des Handy-Herstellers 15.000 Arbeitsplätze entstehen. Die Politiker freuen sich auf die Steuereinnahmen, dass Nokia irgendwann einmal weiterziehen könnte, macht den Rumänen keine Sorgen

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