Russland: Liberale neben Geheimdienstlern

(c) EPA (Dmitry Astakhov)
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Wladimir Putins neue Regierung konnte die Wirtschaft nicht überraschen.

MOSKAU. Kontinuität sollte die russische Machtrochade nach dem Wunsch von Präsident Dmitri Medwedjew und dem nunmehrigen Premier Wladimir Putin vermitteln. Kontinuität schien auch der russische Aktienmarkt zu wittern und nahm die Zusammensetzung des neuen Regierungskabinetts als positive Selbstverständlichkeit auf. Gerade mal 1,63 Prozent legte der RTS-Index zu, nachdem er in der Vorwoche die Inauguration Medwedjews und die Antrittsrede Putins mit sechs Prozent plus quittiert hatte.

Diese Ereignisse „haben für den Markt weitaus mehr Bedeutung als die Zusammensetzung des Ministerkabinetts“, meint der Analyst der Investmentfirma Sovlink, Michail Armjakow.

Aufwertung der Regierung

Putins Personalentscheidungen lassen eine markante Aufwertung der jahrelang degradierten Regierung erkennen. Wie ein hoher Kreml-Beamter dem Wirtschaftsblatt „Wedomosti“ erklärte, will Putin ja als entscheidende Reformen Steuersenkungen, die Beseitigung administrativer Barrieren und den Aufbau Russlands als globales Finanzzentrum durchsetzen. So hat er die Posten der nun sieben statt fünf Vizepremiers mit seinen bisherigen engsten Mitarbeitern besetzt.

Allen voran Ex-Premier Viktor Subkow, der die nationalen Großprojekte wie Landwirtschaft übernimmt. Subkow gilt auch unter internationalen Experten als unerbittlicher Kämpfer gegen Korruption – jenem wuchernden Krebsübel, dem bisher niemand beigekommen ist.

Strenger Finanzminister

Wiewohl: Die Menschen erwarten sich von der Regierung laut Umfragen nicht in erster Linie Korruptionsbekämpfung. Ihnen ist vor allem an der Eindämmung der entfesselten Inflation und am Wachstum der Industrieproduktion gelegen.

Dem könnte der für seine straffe Haushaltspolitik und seinen Wirtschaftsliberalismus berühmte Finanzminister Alexej Kudrin gewachsen sein. Dass Putin ihn – neben der reformorientierten Wirtschaftsministerin Elvira Nabiullina – im Minister- und gleichzeitig Vizepremiersamt belässt, werten Ökonomen als ermutigend. „Zweifellos ein positives Zeichen“, meint Jewgeni Gavrilenkow, Analyst bei Trojka Dialog.

Das Ministerium soll nach Premier Putins Vorgabe die Russen zu einem Volk der Investoren machen und die Klein- und Mittelbetriebe durch erleichterte Steuerabwicklung fördern. Verstärkt wird der Finanz- und Wirtschaftsblock durch den 41-jährigen Igor Schuwalow. Der zum wirtschaftsliberalen Lager gerechnete bisherige Wirtschaftsberater und G-8-Sherpa Putins wird als Erster Vizepremier die Außenwirtschaft betreuen und die WTO-Beitrittsverhandlungen führen.

Kudrin seinerseits hatte zuletzt gegen den Widerstand ausgabenfreudiger Kreml-Beamter vor einer Überhitzung der Wirtschaft gewarnt und gegen eine Senkung der Mehrwertsteuer opponiert. Die Entscheidung darüber wird übrigens für August erwartet – ebenso wie die Entscheidung über geringere Steuern im Öl- und Gassektor. Gerade mit der Aussicht darauf hatte Putin vergangene Woche die Branche beflügelt.

Drei Ministerien für Hardliner

Weniger euphorisch ist diese darüber, dass Putin den Kreml-Vizestabschef Igor Setschin zum Vizepremier ernannt und mit der Ausarbeitung der Industriepolitik, inklusive dem Energiesektor, betraut hat. Branchenkenner zweifeln an Setschins Fachkompetenz. Setschin, Kopf der geheimdienstlichen Hardliner sowie Mastermind der dirigistischen Wirtschaftspolitik und der Renationalisierung, gilt als Gegner des wirtschaftsliberal gestylten Medwedjew.

Drei Ministerien sind Setschin fortan zugeteilt, auch ein eigenes Energieministerium, mit dem überraschenderweise der Chef des staatlichen Atomanlagenbauers Atomstrojexport, Sergej Schmatko, betraut worden ist. Manche Beobachter sehen damit einen künftigen Akzent auf die Atomenergie gelegt – schließlich soll der Anteil des Atomstroms an der Stromproduktion von derzeit 16 auf 25 Prozent im Jahr 2030 erhöht werden.

AUF EINEN BLICK: Wer herrscht im Kreml?

Der frischgebackene Premier Wladimir Putin mischt in seiner Regierung erneuerungswillige Liberale und ihm ergebene Geheimdienst-Kameraden. Viele Details sprechen dafür, dass er nach dem Motto verfährt: Hier ein bisschen lockern, dort ein wenig die Daumenschrauben anziehen. Präsident Dmitri Medwedjew hat bisher keine deutliche Reaktion erkennen lassen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.05.2008)

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