Analyse: Die Ukraine ist Inflations-Europameister

(c) AP (Sergey Dolzhenko)
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Teures Essen und starke Kreditvergabe treiben Teuerung über 30 Prozent. Nun setzt es ein schlechtes Rating.

LONDON/WIEN.Am Donnerstag reichte es der Kreditrating-Agentur Standard & Poor's (S & P): Sie setzte ihr Rating (die Einschätzung über die Kreditwürdigkeit) der Ukraine um eine Stufe herab. Folglich ist die in Richtung EU und Nato orientierte Ukraine in den Augen der wichtigsten Bonitätsprüfer der Welt genauso wenig kreditwürdig wie die isolierte Diktatur Weißrussland. Sogar Serbien, das selbst mit schwersten Krisen ringt, steht in den Augen von S & P eine Stufe über der Ukraine.

31,1 Prozent Inflation im Mai

„Es ist nicht zu leugnen, dass das souveräne Risiko der Ukraine in letzter Zeit stark gestiegen ist“, sagt der Bank-Austria-Ökonom Hans Holzhacker zur „Presse“. Dafür sei neben der instabilen politischen Lage – die Orange Koalition unter Premierministerin Julia Timoschenko zankt sich wieder einmal – vor allem die exorbitante Inflation verantwortlich.

31,1 Prozent betrug sie im Mai (verglichen mit Mai 2007). Ein trauriger Rekord in Europa, der mehrere Gründe hat. Erstens beträgt der Anteil der Lebensmittel am Verbraucherpreisindex fast 50 Prozent. Da trifft es die Ukrainer besonders hart, wenn weltweit das Essen teurer wird – und noch dazu die eigene Ernte schlecht ausfällt, wie das 2007 der Fall war. Zweitens muss die Ukraine – so wie Österreich – sehr viel Erdgas zum Heizen und Stromerzeugen importieren. Während aber Österreich davon profitiert, dass der starke Euro das in Dollar gehandelte Gas billiger macht, hat die Ukraine diesen Vorteil nicht. Ihre Landeswährung Hriwna war lange an den Dollar gebunden, ihr Kurs darf sich erst seit Kurzem relativ frei bilden.

Drittens wuchs die Kreditsumme in der Ukraine bis jetzt rasant. Kein Wunder: Die Menschen konnten lang kaum Kredite bekommen, nun sind westliche Banken im Land, und die freuen sich über so viele neue Kunden. So viel schnelles Geld heizt natürlich die Inflation ordentlich an. „In dieser Höhe wird das Kreditwachstum sicher nicht weiter gehen“, meint Bank-Austria-Ökonom Holzhacker. Soferne die heurige Ernte wie erwartet gut ausfällt, würde die Inflation zwar deutlich sinken. „Zweistellig wird sie aber bleiben.“

Falscher Zeitpunkt für Rating?

RZB-Analyst Andreas Schwabe wundert sich über den Zeitpunkt des Ratings. „Die hohe Inflation ist schon lange bekannt.“ Fällt die Teuerungsrate wie erwartet im Sommer wieder, hätte S & P die Ukraine gerade am Höhepunkt der Inflation herabgestuft.

„Rund 20 Prozent“ ist der Tipp von Erste-Bank-Ökonom Juraj Kotian. Er hält die Rating-Entscheidung für eine vorbeugende Maßnahme, um die Regierung „zu echten Schritten gegen die Inflation“ zu bewegen. „Sie sollte zumindest die Staatsausgaben weniger stark steigen lassen als die Teuerung.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.06.2008)

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