Liberalisierung: Russland zerschlägt staatliches Strommonopol

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Eines der weltgrößten Monopole, der russische Strommonopolist RAO UES (Unified Energy Systems), wird aufgelöst. Damit ist der Weg frei für inländische und ausländische Größen, wie die deutsche E.On.

SURGUT. 2200 Kilometer nordöstlich von Moskau hat der sibirische Taigasumpf die Landschaft fest im Griff. Der Frühling, der nach Auskunft der Einheimischen hier auf den Juni beschränkt ist, hat den Boden vom Eis befreit und den Stechmücken zurückgegeben. Sie werden den Sommer und Herbst über nach Menschenblut jagen, ehe sie der schon im September zurückkehrende Winter wieder erstarren lässt. Spätestens dann werden die Öl- und Gasarbeiter ihren Fluch über die Mücken in einen über die Kälte und die lange Finsternis verwandeln.

Hier in der westsibirischen Stadt Surgut, wo die Natur mit Licht und Wärme geizt, ist die Nachfrage nach ihnen besonders hoch. Und hier, im Herzen der russischen Öl- und Gasförderung, braucht die Rohstoffindustrie Strom Ende nie. Seit kurzem liefert ihn die deutsche E.On. 2007 hat der Konzern die Mehrheit am Großkraftwerk „Surgutskaja GRES-2“ erworben. Mit 4800 Megawatt Kapazität gilt die Anlage als größtes Wärmekraftwerk Europas und Asiens.

2011 sind Preise liberalisiert

„Wir gehen davon aus, dass die Deutschen sagen, was sie denken“, meint Werksdirektor Jewgeni Schiljajew. Seit seinem Studium arbeitet der gebürtige Ukrainer im Stromsektor, seit 2002 als Leiter des „GRES-2“ in Surgut. Die Deutschen hätten zugesagt, das Personal nicht zu kürzen. Was sie noch gemeint hätten? „Es ist eine Perle“, wiederholt Schilyajew das Kompliment. In der „Perle“ rattern die vom Gas angetriebenen Turbinen. 3000 Mal rotieren sie pro Minute, 47 Tonnen Schmiermittel pro Block garantieren einen glatten Ablauf rund um die Uhr. „Trotz seiner sowjetischen Grundausstattung ist GRES-2 eine der modernsten Anlagen in Russland“ hält Schilyajew fest.

Das „GRES-2“ in Surgut ist nicht das einzige, wenn auch das größte Kraftwerk, das die Deutschen in Russland gekauft haben. Um insgesamt 4,1 Mrd. Euro erwarben sie die Mehrheit an fünf Kraftwerken. E.On ist Nutznießer der größten Reform in der russischen Wirtschaftsgeschichte. Der staatlich kontrollierte Strommarkt wird privatisiert, die Preise sukzessive bis zur Freigabe im Jahr 2011 liberalisiert. Der Moment ist historisch, das Ereignis einschneidend: Am heutigen Dienstag wird der staatlich kontrollierte Strommonopolist RAO UES (Unified Energy Systems) aufgelöst. Er war es, der bisher mit 400.000 Mitarbeitern die Stromversorgung zu verantwortet hatte. Weil der Staat aber die Strompreise niedrig gehalten und die modernisierungsbedürftige Wirtschaft dadurch gestützt hatte, fehlte RAO UES, die bei einem Umsatz von 22,5 Mrd. Euro im Vorjahr einen Reingewinn von 4,52 Mrd. Euro erzielte, das Geld für Investitionen, das die Nachfolgefirmen nun aufbringen müssen.

Der Bedarf an Investitionen liegt laut Experten im dreistelligen Milliardenbereich, bis 2011 müssen 80 Mrd. Euro in den Sektor gepumpt werden. Russland ist der viertgrößte Energiemarkt der Welt.

Der Wirtschaftsboom verschlingt jährlich um fünf bis sechs Prozent mehr Strom. Bereits jetzt produzieren Kraftwerke an der Kapazitätsgrenze. Weil Wärme- und Wasserkraftwerke allein die Nachfrage nicht mehr bedienen können, soll im Übrigen auch die Atomkraft ausgebaut werden.

Russische „Schocktherapie“

Einer, der den gesamten Problemkomplex früh erkannt hat, ist Anatoli Tschubais. Seit 1998 steht er an der Spitze von RAO UES und hat die Reform ausgeheckt. Der Ökonom beliebt zu kokettieren: „Ehrlich gesagt, mag ich nicht gern reformieren. Diese Tätigkeit ist sowohl für die, die reformieren, als auch für die, die reformiert werden, unangenehm“. Der einstige Vizepremier hat als Chefprivatisierer zu Beginn der 90er Jahre den Boden für den Kapitalismus bereitet, aber auch das Hochkommen der Oligarchen ermöglicht. Urteile über ihn sind zwiespältig. Verlierer des Überganges verteufeln seine Schocktherapie.

Auch gegen die Stromreform wehte Tschubais ein Wind des Widerstandes entgegen. Zu sehr widerspricht eine Liberalisierung der jetzigen Tendenz zur Renationalisierung und Monopolisierung. Industriebarone wiederum fürchten Preiserhöhungen: „Die Splittung führt zum Chaos“, warnte der reichste Russe, Aluminiumhai und Strabag-Großaktionär Oleg Deripaska. Fünf Attentate hat Tschubais letztlich überlebt, denn er hatte Unterstützung von ganz oben.

Die Reform war ein Kraftakt von zehn Jahren. Das Schema für die Liquidierung von RAO UES sieht vor, dass der Konzern in 28 neue Stromversorgerholdings aufgegliedert wird: nur zwei bleiben in Staatshand – die Netzgesellschaft FSK und eine Holding, die alle Wasserkraftwerke des Landes vereint. Der Rest ist bereits weitgehend privatisiert. Wie sie künftig interagieren und koordiniert kooperieren werden, ist noch unausgegoren. „Das System steht, aber es läuft noch nicht glatt“, sagt Schiljajew. Mancher wünscht sich, dass Tschubais bleibt und die Umsetzung der Reform kontrolliert. Tschubais aber hat zuletzt nur noch von Urlaub und Ausschlafen geredet.

Gazprom größter Stromlieferant

Nicht nur E.On hat tief in die Tasche gegriffen, um ein großes Stück vom russischen Stromkuchen abzubekommen. Auch die italienische Enel war früh zur Stelle. Ebenso die finnische Fortum.

Vor allem aber russische Großkonzerne sicherten sich wichtige Vermögenswerte. Die halbstaatliche Gazprom, die auch 10,5 Prozent der Aktien von RAO UES hielt, ist zu den größten Stromproduzenten des Landes aufgestiegen. Ebenso der größte russische Kohleförderer SUEK oder der Nickelmonopolist „Norilsk Nickel“. Kritiker fürchten, dass die Giganten im Stromsektor die angestrebte Konkurrenzsituation unterminieren. Die Privatisierung der Kraftwerke hat aber immerhin 837 Mrd. Rubel (33 Mrd. Euro) eingebracht.

Als eines der Risiken für die Reform wird genannt, dass der Staat die Preisliberalisierung nicht umsetzt und damit die Investoren hinters Licht führt. Als Risiko gilt auch, dass die Investoren das vertraglich mit dem Staat fixierte Investitionsprogramm von insgesamt 4,3 Bio. Rubel (118 Mrd. Euro) bis 2012 nicht ausführen. Tschubais hält beides für unwahrscheinlich, zumal zuletzt bereits eine Billion Rubel investiert worden sei.

Im sibirischen Surgut hat E.On bereits die Bagger auffahren lassen um das Fundament für zwei neue Kraftwerksblöcke mit je 400 Megawatt Leistung auszuheben. „Die Pläne dafür lagen schon seit 2005 in der Schublade“, erzählt Schilyajew: „Aber ohne Investoren kannst Du planen bis zum Abwinken.“

Auf einen blick

In Russlands Stromsektor hält der Wettbewerb Einzug. Das Staatsmonopol wird zerschlagen.
Bis 2011 sollen die Strompreise vollständig liberalisiert sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.07.2008)

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