Am Balkan kreuzen sich alle (Gas-)Wege

(c) EPA (Katia Christodoulou)
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Wer überlebt im Kampf zwischen dem Gazprom-Projekt South Stream und dem EU-unterstützten Nabucco?

WIEN. Fast wären sie wieder Kollegen geworden, Gerhard Schröder und Romano Prodi. Aber während der deutsche Ex-Bundeskanzler das Jobangebot des russischen Gas-Giganten Gazprom akzeptierte, schlug es der frühere EU-Kommissionspräsident und zweimalige italienische Regierungschef aus. So ist der eine Aufsichtsratschef der Pipeline-Firma Nord Stream, der andere Neo-Pensionist.

Dabei wäre Prodi den Russen wohl noch wichtiger gewesen, kämpfen sie doch mit South Stream gegen das EU-unterstützte Projekt Nabucco an. Da kann Gazprom-Boss Alexej Miller noch so oft beteuern, dass die beiden Projekte einander nicht ausschließen, sondern ergänzen. Anfang Juni gab er bei einer Konferenz im französischen Atlantik-Badeort Deauville erstmals zu, dass sein Konzern den erwarteten Mehrverbrauch Europas nicht allein decken könne. Was nichts daran ändert, dass Nabucco den Russen ein Dorn im Auge ist. Es würde „fremdes“ Gas – aus Aserbaidschan, Kasachstan, vielleicht sogar Iran – nach Westen pumpen, und das ohne Gazprom. Auch aus Nord und South Stream wird Gas aus anderen Republiken der ehemaligen Sowjetunion strömen. Aber nach Gazprom-Regeln.

Nabucco-Kosten explodieren

Nabucco und South Stream sind einander vielfach ebenbürtig. Beide sollen ab 2013 jährlich rund 30 Milliarden Kubikmeter Gas transportieren, also jeweils maximal zehn Prozent des europäischen Bedarfs. Nachdem die Kostenschätzung für Nabucco vor kurzem wegen der explodierenden Öl- und Stahlpreise von 4,4 auf 7,9 Milliarden Euro angehoben worden ist, kommt es im Kapitalbedarf dem Konkurrenzprojekt (zehn Mrd. Euro) schon recht nahe.

Aber der Weg unterscheidet die beiden Projekte gravierend. Denn die Russen wollen das Schwarze Meer unterqueren, um mit einer Länge von 900 Kilometer das Auslangen zu finden. South Stream könnte sich ab der „Landung“ in Bulgarien in zwei Ströme teilen: einen Richtung Griechenland und Italien, einen nach Ungarn mit Endstation im OMV-Verteilzentrum in Baumgarten in Österreich.

Dort soll auch Nabucco landen. Das vom Österreicher Reinhard Mitschek geleitete Konsortium besteht aus Firmen der fünf „Anrainerstaaten“ – neben der OMV die ungarische MOL, die rumänische Transgaz, Bulgargaz und die türkische Botas – sowie der im Frühjahr dazu gestoßenen deutschen RWE. Sie wollen 3300 Kilometer Pipeline bauen, um „unsicherem“ Terrain auszuweichen. Für die EU-Staaten und die Türkei ist das die im Dauerstreit mit Gazprom liegende Ukraine. Das Konsortium trägt ein Drittel zur Finanzierung bei, zwei Drittel sollen von institutionellen Anlegern kommen, etwa von der Europäischen Investitionsbank und der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung.

Gazproms Startvorteil: Während bei Nabucco um Juristisches gerungen wird und der türkische Premier Tayyip Erdogan soeben zufrieden feststellte, die Verträge könnten „binnen Monaten“ unterschriftsreif sein, so haben die Russen schon mit Bulgarien, Griechenland, Serbien und Ungarn unterschrieben. Gespräche mit Slowenien über die Abzweigung nach Italien sollen ebenfalls weit gediehen sein. Wichtigster Partner der Gazprom ist der italienische Energiekonzern ENI. Deshalb das Bemühen um Romano Prodi.

Und Österreich? Als Alexej Miller Anfang April in Laibach meinte, South Stream könnte an Österreich vorbeiführen, widersprach OMV-Chef Wolfgang Ruttenstorfer: Die Pipeline müsse durch. Schließlich ist man Gazprom-Partner. Laut der englischsprachigen russischen Wirtschaftszeitung „RBK Daily“ steht eine Vereinbarung unmittelbar bevor.

Gesellt sich Österreich dazu, dann verläuft South Stream im europäischen Kern durch dieselben Länder wie Nabucco – mit Ausnahme Rumäniens, das sich als einziger EU-Getreuer sieht. Doch das Balkanland ist nicht in jeder Beziehung so streng. Transgaz baut gemeinsam mit der MOL-Tochter FGSZ an einer Verbindung der beiden nationalen Gasnetze zwischen dem südungarischen Szeged und dem rumänischen Arad. Eine ähnliche Klammer soll ab 2011 auch das kroatische und das ungarische Netz verbinden. Agram setzt auf diese Lösung, weil sie dem kroatischen Projekt eines Terminals entgegenkommt, das auf dem Seeweg nach Europa gebrachtes Flüssiggas entladen soll.

Kroatien und Rumänien unterstützen damit tatkräftig eine ungarische Idee: Man könnte doch die nationalen Netze in der Region mit kleinen Verbindungsstücken (siehe kleine Karte) zu einem leistungsfähigen Verbund machen, schlug MOL Ende 2007 vor.

NETS als Mitteleuropa-Größe

Der von nationalen Konzernen unabhängige Betreiber dieses „NETS“ (New Europe Transmission System“) könnte zu einer mitteleuropäischen Energiegröße werden – nach ungarischer Vorstellung beim Handel sogar als Gegengewicht zu Gazprom. Immer unter der Voraussetzung, dass auch die anderen Adressaten mitmachen. Bei der OMV ist das nicht nur wegen des Kampfes um eine Übernahme der MOL fraglich. Nach ENI-Vorstellungen sollen die Österreicher an einem „Westnetz“ mit Italien, Frankreich und der deutschen E.On teilnehmen.

Bei so viel Träumerei fehlt nur die Gazprom-Beteiligung an Nabucco. „Warum nicht die Kräfte bündeln und alle alternativen Wege zur Versorgung Europas nutzen“, fragte Gazprom-Sprecher Sergej Kuprianow in einer Radiosendung. Er bekam keine Antwort. Gibt es sie überhaupt?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.07.2008)

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