Korruption: „Es kommt niemand blauäugig nach Bulgarien“

(c) EPA (Rumen Nikolov)
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Mit dem Missbrauch von EU-Mitteln und der zögerlichen Bekämpfung von Korruption hat Bulgarien in Brüssel Kredit und Fördermittel verspielt. Die Aussicht auf hohe Rendite hält Investoren dennoch im Land.

Sofia. Kräne überragen die blinkenden Glasfassaden unter den grünen Anhöhen des nahen Witoscha-Gebirges. Wasserfontänen plätschern leise in den Innenhöfen des Business Parks in Sofia. Ob Rechenzentren, Callcenter, Bankverwaltungen oder Vertriebszentren, ob HP, Hyundai, IBM oder Sony – die großen Namen der Wirtschaftswelt drängen sich auf dem Gelände des größten Büroparks Südosteuropas. Kaum irgendwo in der EU seien die Gewinnaussichten so groß wie in Bulgarien, erklärt Georgi Ganev, Direktor des „Zentrums für Liberale Strategien“ (CLS) in Sofia, den Rekordwert von 6,5 Mrd. Euro an Direktinvestitionen im Vorjahr: „Zweistellige Rendite-Raten – das findet man in Europa nicht oft.“

„Nicht ewig Billiglohnland“

Seit wenigen Wochen sind aber auch die Schattenseiten des Wirtschaftswunders amtlich: Die EU entzog Bulgarien rund 500 Mio. Euro an Fördermitteln wegen Missbrauchs und grassierender Korruption. Bei Investoren bleibt das EU-Sorgenkind mit Wachstumsraten um sieben Prozent dennoch beliebt. „Reformen vollziehen sich in der Wirtschaft deutlich schneller als in der Politik,“ erklärte Andreas Schäfer, der stellvertretende Geschäftsführer der Deutsch-Bulgarischen Handelskammer. Die Mitgliedsfirmen würden zwar über Bürokratie und Alltagskorruption klagen: „Aber es kommt niemand blauäugig hierher.“ Ungeachtet der vor allem in der Verwaltung grassierenden Korruption verlasse kaum ein Investor das Land, versichert Rossen Ivanov, der mit seiner Consulting-Firma Bulgarian Investment Advisors ausländische Betriebe bei der Ansiedlung berät: „Die Chancen sind größer als die Probleme.“

Zwar zogen die Löhne im letzten Jahr um 20 Prozent an. Doch auch wenn das tatsächliche Salär merklich über dem offiziellen Durchschnittslohn von 500 Lewa (260 Euro) liegt, ist das Lohnniveau noch immer niedrig. Die Angleichung der Löhne an das EU-Niveau sei indes nur eine Frage der Zeit, meint Schäfer: „Auf Dauer wird Bulgarien kein Billiglohnland bleiben, sondern sich ähnlich entwickeln wie die Slowakei.“

Doch nicht nur der Kostenfaktor, sondern auch die Qualifikation des Personals spielen für Investoren eine Rolle. Gerade für IT-Unternehmen bietet Bulgarien einen großen Pool an exzellenten Mathematikern und eine gute Informatiker-Ausbildung, sagt Plamen Tilev, Geschäftsführer des Software-Riesen SAP in Bulgarien. Doch mit der zunehmenden Anzahl von Investoren wird qualifizierte Arbeitskraft in Bulgarien zum knappen Gut. Der Exodus von jungen Fachkräften im letzten Jahrzehnt verschärft die Situation: Rund ein Zehntel der sieben Millionen Bulgaren hat das Land verlassen. Mittlerweile kehren die ersten Auswanderer zurück, so Schäfer: „Wenn Kaufkraft und Löhne weiter steigen, wird sich der Trend drehen – so wie in Polen.“ Für manche Sektoren würden bereits Arbeitskräfte in Moldawien, der Ukraine, Asien und Afrika angeworben, berichtet Ganev.

Mehr Korruptionsfälle bekannt

Lag das Sozialprodukt von Bulgarien vor einem Jahrzehnt noch bei 27 Prozent des EU-Mittels, ist es mittlerweile auf knapp 40 Prozent geklettert. Bei Anhalten des derzeitigen Wachstums könnte sich das derzeit ärmste EU-Mitglied in gut 15 Jahren dem Lebensstandard von südeuropäischen Staaten wie Portugal nähern. Die Frage ist indes, wie sich das Land von der Geißel der Korruption befreien – und die bereitstehenden EU-Mittel zur Entwicklung seiner Infrastruktur effektiv nutzen kann. Groß-Investoren würden wie in anderen Ländern hofiert, doch vor allem kleineren Firmen mache die Korruption zu schaffen, berichtet ein Journalist.

Dass immer mehr Korruptionsfälle bekannt werden, hält Ökonom Ganev für ein gutes Zeichen: „Die Presse hat keine Angst mehr, darüber zu berichten. Der Druck der EU-Kommission hilft.“ Die EU wirke „disziplinierend“ und zwinge mit ihren Kontrollmechanismen das Land, sich seinen „schlechten Angewohnheiten“ zu stellen, sagt auch Firmenberater Ivanov. Es habe sich eine kleine Mittelklasse entwickelt, die gegenüber der Politik zunehmend selbstbewusster auftrete: „Die Korruption wird zwar weder sofort noch bald verschwinden. Aber ihre Bekämpfung ist ein unumkehrbarer Prozess.“

Auf einen blick

Eine halbe Mrd. Euro an Subventionsgeldern an Bulgarien hat die EU wegen Missbrauchs undmangelnden Fortschritts bei der Korruptionsbekämpfung eingefroren.

Ungeachtet dessen zieht es internationale Investoren weiter in das bis dato „ärmste“ Mitgliedsland der Europäischen Union.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.08.2008)

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