Haus in Hainburg, ohne Sozialismus

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Slowaken übersiedeln dank Schengen und Euro nach Österreich oder Ungarn - zumeist wegen des besseren Preis-Leistungs-Verhältnisses: Dienstleistungen seien besser, der Einkauf billiger.

WIEN. „Der Kapitalismus hat zu nichts geführt – wollen wir es mit dem Sozialismus versuchen?“ Mit diesem Spruch habe eine linksgerichtete österreichische Organisation um Sympathisanten geworben, schrieb im Advent das ungarische Online-Wirtschaftsmagazin „Menedzsment Fórum“. Und sogleich belehrte es die österreichischen „Schwager“: Die Frage könne nur jemand stellen, der nie im Sozialismus gelebt habe.

Jahrelang träumten die vom Staatssozialismus geknechteten Osteuropäer vom Leben „drüben“. Als die Wende kam, wurde jahrelang ihre „Invasion“ in Österreich beschworen. Und ebenso jahrelang blieb sie aus. Ausnahmen: illegale Bauarbeiter aus Polen und rumänische Bettler. Jetzt hat sie aber tatsächlich begonnen – nur ganz anders als erwartet.

Der Immobilienmarkt, im Dreiländereck mit der Slowakei und Ungarn bis dato ein Privileg der Österreicher, die den Kaufkraftunterschied weidlich nutzten, scheint die Richtung gewechselt zu haben. Je näher der Zeitpunkt der Euro-Einführung in der Slowakei rückte, desto häufiger pilgerten ihre Bürger in die Nachbarstaaten – weniger auf der Suche nach Jobs, mehr nach Immobilien.

„Landflucht“ aus Pressburg

Was im Nordwestzipfel Ungarns schon seit der Abschaffung der Grenzformalitäten durch den gemeinsamen Schengen-Beitritt Alltag war, wird jetzt westlich davon Realität: Allein im Dezember seien im Stadtgebiet von Hainburg an der Donau 53 Baugründe verkauft worden, drei Viertel davon an Slowaken, zitierte die Nachrichtenagentur Reuters kurz vor Weihnachten den Gemeindebeamten Erich Rieder. Der auch gleich die Begründung für den kleinen Run lieferte: Die Immobilienpreise seien in der 5600 Einwohner zählenden niederösterreichischen Kleinstadt wesentlich niedriger als in der Umgebung der slowakischen Metropole Pressburg (Bratislava). Was im Übrigen seit Jahrzehnten Wiener veranlasst, ins Umland zu „flüchten“. Dazu kommen bei der neuen Grenzübertretung größere Rechtssicherheit und bessere Infrastruktur einschließlich Schulen und Kindergärten.

Und Hainburg sei, so Reuters, kein Einzelphänomen. In der Gemeinde Wolfsthal werde bereits Slowakisch unterrichtet, und es fänden regelmäßig österreichisch-slowakische Kulturveranstaltungen statt. Wolfsthal, zuvor vom Aussterben bedroht, habe in dem einen Jahr der Schengen-Öffnung richtiggehend aufgelebt. Laut dem Bürgermeister habe man bereits neue Bauareale widmen müssen.

Als Grund für ihre Übersiedlung nennen die meisten Slowaken ein besseres Preis-Leistungs-Verhältnis. Das Niveau der Dienstleistungen sei in Österreich in der Regel höher, und zumindest in den Supermärkten sei der Einkauf auch absolut billiger.

Kein Wunder also, dass die Zahl der in Österreich lebenden Slowaken von Jänner bis November um elf Prozent gestiegen sei. In derselben Zeit vergrößerten Tschechen und Ungarn ihre „Österreich-Kolonien“ um je sieben Prozent.

Gleichzeitig ziehen Slowaken in Massen nach Ungarn. So haben Übersiedler in den Grenzstädten Mosonmagyaróvár (Ungarisch-Wieselburg) und Rajka sowie deren Umland fast 6000 Unterschriften unter eine Petition gesammelt, mit der sie eine Busverbindung nach Pressburg erreichen wollen. Die meisten von ihnen gehen nämlich in der Heimat zur Arbeit, ihre Kinder dort zur Schule. „Für die Busunternehmen würde es sich sicher rentieren, denn mehrere tausend von uns pendeln täglich“, wurde der Slowake Igor Heriban im ungarischen Fernsehsender Duna TV zitiert. Nachsatz: „Und immer mehr Ungarn aus Rajka nehmen eine Arbeit in Bratislava an.“ Peter Kavecky, Sprecher der Verkehrsbetriebe Bratislava, nennt die Forderung realistisch, schließlich gebe es auch schon mit Wolfsthal eine ähnliche Pendlerverbindung.

Sog durch schwachen Forint

Warum die Slowaken nach Ungarn ziehen, erklärte die slowakische Tageszeitung „Sme“ so: Infolge der Krise habe der ungarische Forint viel von seinem Wert verloren, sodass die Preise für die slowakischen Bürger entlang der Grenze „unwiderstehlich anziehend“ geworden seien. Mit der an den Euro geketteten Krone – und erst recht mit dem eigenen Euro ab Donnerstag – seien Immobilienkäufe auf dem ungarischen Land sehr viel günstiger als in der Nähe Pressburgs.

Die „Invasion“ konzentriere sich nicht nur auf das Dreiländereck – auch bei Ko?ice (Kaschau, ungarisch Kassa) sei dies der Fall. Im nordostungarischen Komitat Borsod gingen selbst Bauernhäuser in schlechtem Zustand weg wie warme Semmeln, berichtete das ungarische Online-Medium index.hu. Grundstücke und Wohnungen kosten dort weniger als die Hälfte, Bauernhäuser ein Viertel der slowakischen Preise. In vielen Orten seien aufgrund der slowakischen Nachfrage die Immobilienpreise bereits in die Höhe geschnellt. Dabei wurde der „slowakische Ungar“ Géza Szabó zitiert: „Dort draußen haben wir uns weder als Slowaken noch als Ungarn gefühlt.“ Deshalb sei die Familie in die Ortschaft Hidasnémeti südlich der Grenze gezogen. Das Ehepaar pendelt jetzt täglich ins 30 Kilometer entfernte Kosice zur Arbeit.

Auch der Kapitalismus erlebe Krisen wie eben jetzt, schrieb das eingangs zitierte „Menedzsment Fórum“. Doch diese Krise eröffne neue Hoffnung. Nämlich darauf, dass „die Welt nicht in Richtung der utopistischen Ideologien verrückt“, sondern durch Selbstbestimmung und Innovation besser werde. Schlusssatz: „Im Sozialismus bestand die Innovation darin, dass nach 20 Jahren gestattet wurde, dass du die rote Fahne von links nach rechts und nicht mehr von rechts nach links schwenkst.“

Die Slowaken und die Ungarn scheinen es sich trotz Krise einigermaßen im Kapitalismus eingerichtet zu haben. Sie könnten den Österreichern einige Gründe nennen, warum der Sozialismus keinen neuen Versuch wert ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.12.2008)

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