Drogengeld für Titos gefallene Stadt

(c) Die Presse (Thomas Roser)
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In der einstigen Industriestadt Veles sind heute 63 Prozent der Menschen ohne Arbeit. Sie wurde zum Rekrutierungs-Becken der mazedonischen Drogenmafia in Österreich.

Veles. Gestrüpp wuchert aus dem geborstenen Asphalt des verödeten Werksgeländes. Der Schlagbaum zum Eingang des stillgelegten Stahlwerks ist geschlossen. Ob das Porcelanka-Werk, die Kunstdünger- oder die Textilfabrik: Bei allen der einst größten Arbeitgeber im mazedonischen Veles stehen die Bänder seit Jahren still.

Bis in die 90er-Jahre sei das frühere Titov Veles im Herzen Mazedoniens noch die am höchsten entwickelte Industriestadt des Landes gewesen, berichtet Bürgermeister Ace Kosevski. In fünf Jahren halbierte sich die Zahl der Beschäftigten von 22.000 auf 11.000 – die Arbeitslosigkeit kletterte auf 63 Prozent. „Unser größtes Problem ist die Arbeitslosigkeit – und die Armut.“ Nur manche hätten ein Auskommen in der Schattenwirtschaft oder einen neuen Job in der 55 Kilometer entfernten Hauptstadt Skopje gefunden. „Manche sind zur Arbeit ins Ausland gegangen – oder handeln in Frankfurt und Wien mit Drogen.“

Das Polizeivideo von der erfolgreichen Großrazzia flimmerte Mitte Januar auf allen mazedonischen TV-Kanälen. In Wien und Veles hoben Ermittler einen 16-köpfigen Drogenhändlerring aus. 30 Kilogramm Heroin soll die Gruppe in Wien an die Kundschaft gebracht haben. Trotz Ermittlungserfolgen wie 2007, als 35 Händler festgenommen und 31 Kilogramm Heroin beschlagnahmt wurden, lässt sich die Rekrutierung von Nachwuchskräften für die so genannte Frankfurt-Mafia im verarmten Mazedonien kaum verhindern: Veles hat sich den zweifelhaften Ruf als Nachwuchsschmiede der Drogenmafia erworben.

Drogengeld für Renovierung

Seit „zwei, drei Jahren“ machten sich vermehrt Jugendliche von Veles nach Deutschland oder Österreich auf, um dort „schnelles Geld zu machen“, berichtet Amtsleiter Gligor Jangelovski auf der Polizeiwache. Meist seien es Schulabbrecher „ohne Ausbildung, Job und Geld“, die von Freunden oder Bekannten mit dem Versprechen leicht verdienter Euro als Kuriere rekrutiert würden. Illegal oder mit bulgarischen EU-Pässen reisten die frisch angeheuerten Neodealer nach Wien oder Frankfurt aus.

Zuviele der kurzrumpfigen Chevrelot-Taxis harren im Zentrum der stillen Stadt vergeblich auf Kunden. Nur vor dem „Pub“ blinken an der Hauptstraße die Felgen deutscher Nobellimousinen. Bei Besuchen in der Heimat würden die neureichen Drogenhändler ihren plötzlichen Wohlstand „offen manifestieren“, in Sportwagen durch die Stadt kurven und ihre Häuser renovieren lassen, erzählt Polizeichef Jangelovski. In Veles selbst hat die Polizei nur mit Bagatelldelikten zu kämpfen. Das Problem komme erst, wenn die Auswanderer zurückkehren. „Denn sie haben sich daran gewöhnt, auf krummen Wegen Geld zu machen.“

Zu Zeiten des zerfallenden Jugoslawien gab es im damaligen Titov Veles noch genügend andere Berufsoptionen. „Tito war ein guter Mann – unter ihm hatten die Leute noch Arbeit“, preist der frühere Keramiker Dragan in seinem Kiosk den 1980 verstorbenen Landesvater. 27 Jahre hatte er in der nun stillgelegten Porcelanka-Fabrik gearbeitet – die letzten 42 Monate ohne Bezahlung. In Mazedonien sei die Transformation besonders schlecht gelaufen, sagt er: „Nur die Parteien und deren Leute machten ihren Schnitt.“

Kommunen ohne Kompetenz

Tatsächlich steht das Schicksal des Porcelanka-Werks exemplarisch für Mazedoniens mühsamen Aufbruch in die 1991 erhaltene Eigenstaatlichkeit. In den 50er-Jahren gegründet, wurden in dessen sechs Brennöfen Fliesen und Geschirr für ganz Jugoslawien gebrannt. Nach der Unabhängigkeit machte nicht nur der Wegfall der bisherigen Märkte, sondern vor allem Mazedoniens eher missglückte Privatisierung dem Werk zu schaffen. Noch immer habe die Politik in Mazedonien leider einen „zu starken Einfluss“ auf die Wirtschaft, klagt Sasko Ristovski, Chef der kommunalen Wirtschaftsförderung. Wegen der starken Zentralisierung des Landes fehlten der Stadt gleichzeitig „die Mittel und Kompetenzen“, eine eigenständige Ansiedlungspolitik zu betreiben. Die gerahmten Urkunden für die schlanke Verwaltung, die vorbildliche Ein-Schalter-Politik, finden auf dem Schreibtisch von Stadtvater Kosevski kaum mehr Platz. Doch er würde sie gerne gegen die Ansiedlung eines Unternehmens tauschen.

Nach wie vor sei Mazedonien in den Augen vieler Investoren „kein gefestigtes Land“. Die Justizreform sei noch immer nicht beendet, die Frage des Landkaufs und des Katasterrechts ungeklärt: „Unternehmen vermissen einfach oft eine gewisse Investitionssicherheit.“ Mit seinen Problemen sei Veles zudem in Mazedonien keineswegs ein Einzelfall: „Bis auf Skopje, die Grenzregion zu Griechenland und den vom Tourismus zehrenden Ohrid-See geht es dem ganzen Land wie uns,“ sagt Kosevski.

auf einen blick

Zu jugoslawischen Zeiten galt Veles noch als Herzstück der mazedonischen Industrie.

Heute zählt die Stadt63Prozent Arbeitslose. Die Jugend verlässt den Ort, um als Drogenkuriere in Wien das „schnelle Geld“ zu machen.

Ausländische Firmen kommen nicht nach Veles. Sie beklagen die mangelnde Investitionssicherheit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.04.2009)

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