Lohnkosten in Rumänien explodieren

(c) Die Presse (Jutta Sommerbauer)
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Trotz wachsender Arbeitslosigkeit stiegen die Löhne in Bulgarien und Rumänien um fast ein Fünftel. Nur die schwache Landeswährung Leu hilft Rumänien.

Wien. Vor gut einem Jahr gingen Rumäniens Arbeiter noch entrüstet auf die Straßen von Bukarest. „Löhne wie in Frankreich“, forderten die Beschäftigten des französischen Konzerns Renault, der seit mittlerweile zehn Jahren die Geschicke des Autobauers Dacia im Land lenkt. Selbst mit dem anvisierten Anstieg der Löhne um 60 Prozent wären die rumänischen Arbeiter weit unter dem europäischem Niveau geblieben (der Durchschnittslohn liegt bei 321 Euro). Dennoch, der Mythos vom Billiglohnland Rumänien sollte ausder Welt geschafft werden.

Nur sechs Monate später sah die Sache ganz anders aus. Die weltweite Absatzkrise am Automobilsektor machte auch vor Dacia nicht halt. Wochenlang standen die Bänder am rumänischen Standort Pite?ti still. Wer seinen Job behielt, war vorerst zufrieden.

„Entlassungswelle steht bevor“

Umso überraschender sind die jüngsten Zahlen des europäischen Statistikamtes Eurostat, nach denen die rumänischen Arbeitskosten in den ersten drei Monaten 2009 im Vergleich zum Vorjahresquartal um 18,6 Prozent gestiegen sind. Einen ähnlich großen Sprung bei den Lohnkosten gab es nur in Bulgarien, überall anderswo in Europa sind die Lohnkosten nur schwach gestiegen oder gar gesunken.

Wie kommt das in einem Land wie Rumänien, wo seit Ausbruch der Krise 150.000 zusätzliche Personen arbeitslos geworden sind und die Folgen des Abschwungs nur mit milliardenschweren Krediten aus dem Westen abgefedert werden können? Die Arbeitslosenquote stieg auf 5,6Prozent, bis Jahresende werden neun Prozent erwartet. Das sollte doch Druck von den Lohnkosten nehmen.

Mehr noch, „die große Entlassungswelle steht Rumänien erst bevor“, sagt Gábor Hunya, Rumänienexperte am Wiener Institut für internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW). Tatsächlich rechnen viele für den Herbst mit extremen Auswirkungen am Arbeitsmarkt. Vor allem dann, wenn die erwartete Heimkehrwelle der Arbeitsmigranten einsetzen sollte. Knapp eine Million Rumänen gingen seit dem EU-Beitritt auf Arbeitswanderschaft. 700.000 landeten vornehmlich als Bauarbeiter in Spanien. Heute steht auch dort ein Zehntel von ihnen ohne Job da. Spanien drückt den rumänischen Arbeitern nun ein Flugticket in die Hand und verspricht, das Arbeitslosengeld weiterzuzahlen, wenn sie zurückkehren. Bisher ohne Erfolg, denn viele wissen, die Aussichten daheim sind nicht besser.

Billigarbeiter schon abgebaut

Laut des Internetportals Standard.ro sind gerade die jüngsten Personalkürzungen im Land ein Grund für den Anstieg der Lohnkosten. Auch in Rumänien hätten erst Billigarbeiter den Job verloren.

Gábor Hunya sieht in den höheren Lohnkosten „keinen Grund zur Besorgnis“. Erstens habe das Land noch einen hohen Aufholbedarf. Zweitens komme die starke Lohnsteigerung überwiegend aus dem ersten Halbjahr des Vergleichszeitraums, als die Wirtschaft in Rumänien noch als überhitzt galt und die Krise auf den Westen beschränkt schien. In den kommenden Monaten werden sich die Löhne auch in Rumänien an die geänderten Bedingungen anpassen, also sinken, erwartet er.

Für die Wettbewerbsfähigkeit in Europa sind ohnedies nicht die Lohnkosten, sondern die Lohnstückkosten entscheidend, erklärt Hunya. Die sind in fast allen osteuropäischen Ländern zuletzt gestiegen. Grund dafür war die geringe Auslastung vorhandener Kapazitäten. Einfach gesagt: Werden weniger Schuhe mit gleich vielen Maschinen produziert, gehen die Lohnstückkosten in die Höhe.

In Rumänien stiegen die Löhne bereits in den letzten Jahren schneller als die Produktivität. Heute liegen die Lohnstückkosten in Rumänien über dem Niveau von Slowakei und Ungarn. Da kann Rumänien im Standortwettbewerb nur noch auf die schwache Landeswährung Leu setzen. Die Währung hat in den letzten sechs Monaten 20 Prozent gegenüber dem Euro verloren. Wenn das so bleibt, bleibt auch Arbeit in Rumänien billig.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.06.2009)

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