Rumänien: Gefangen in der „Armutsfalle Pension“

(c) Bilderbox (Erwin Wodicka)
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Wirtschaftskrise und Überalterung verschärfen die soziale Lage in den osteuropäischen Staaten. Die Auswirkungen dieser prekären demografischen Entwicklung werde vor allem in den kommenden Jahrzehnten spürbar werden.

BUKAREST. Sie hatte keinen schlechten Job, damals, als noch die Kommunisten Rumänien regierten. „Ich arbeitete in einem Labor einer Chemiefirma“, berichtet Vasilica Stoican stolz. Damals war die heute 80-Jährige noch eine junge Frau. Sie brauchte zum Gehen noch keine Krücken. Und auch sonst hatte sie das Gefühl, nicht ganz so schlecht dran zu sein, zumindest nicht so schlecht wie heute.

Heute hat Rumänien die Fesseln der kommunistischen Diktatur längst abgeschüttelt – einer Diktatur, die vor allem in ihren letzten Jahren ihr brutales Gesicht deutlich gezeigt hatte. Rumänien ist trotz Schwierigkeiten eine funktionierende Demokratie und Mitglied der EU. Die Cafés in der Hauptstadt Bukarest sind voll mit Menschen, die ihren neu gewonnen Wohlstand zur Schau tragen. Einen Wohlstand, der bei Vasilica Stoican jedoch nie angekommen ist.

Die alte Dame haust in einer kleinen dunklen Wohnung in der Berzei-Straße im Zentrum Bukarests. Ihr größtes Problem: Sie hat kein fließendes Wasser und kein Gas, denn das kann sie mit ihrer kleinen Pension nicht zahlen. Nach dem Ende des Kommunismus hatte man in Rumänien viele in Pension geschickt – vor allem Arbeitnehmer, die Dinge produzierten, die auf einem freien Markt nicht anzubringen waren. In Leistungen für Pensionisten konnte Rumänien, so wie viele andere Transformationsländer, nie viel investieren. Und in Zukunft dürfte sich das Land das wohl noch weniger leisten können.

Denn Rumänien altert – und das schneller als westeuropäische Staaten. Das konstatiert Reiner Klingholz vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung. In Rumänien sind die Geburtenraten völlig eingebrochen. Dazu kommt eine Abwanderung vieler Junger.

Hoffnung auf stetiges Wachstum

Die Auswirkungen dieser prekären demografischen Entwicklung werde vor allem in den kommenden Jahrzehnten spürbar werden, so Klingholz – zu einem Zeitpunkt, da im Westen die Pensionsproblematik durch das Wegsterben der Baby-Boomer-Generation bereits wieder entschärft sei. Klingholz war einer der Vortragenden der Konferenz „The Future of Social Change 1989–2009: Visions and Perspectives after 20 Years of Transition“, zu der die „Erste Stiftung“ zahlreiche NGOs und Experten nach Bukarest geladen hatte.

Dabei ging es freilich nicht nur um Demografie, sondern auch um die derzeitige Wirtschaftskrise und ihre Auswirkungen auf Rumänien und andere osteuropäische Länder. „In vielen dieser Staaten ist man nun mit einer neuen Situation konfrontiert“, meinte Vladimir Gligorov vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW). „Jetzt kann man sehr leicht die Arbeit verlieren, und zwar ohne etwas vom Sozialnetz erwarten zu können.“ Dort habe man in diesen Staaten bei der Transformation nämlich gespart – in der Hoffnung, dass das Wachstum immer hoch bleibe und sich somit der Arbeitsmarkt um die Menschen kümmere.

Horrorszenario Lateinamerika

Dazu komme, dass Länder wie Rumänien wegen der Abhängigkeit vom Außenhandel stärker als andere von der Krise getroffen würden. Doch trotz aller Probleme sieht Gligorov die Lage keineswegs allzu schwarz – vor allem, wenn man an einstige Horrorszenarien denke, wonach die Oststaaten hinsichtlich der Verteilung zwischen Arm und Reich zu einem zweiten Lateinamerika würden.

Von lateinamerikanischen Verhältnissen ist man in Rumänien weit entfernt. Und doch sind viele in die Armut abgerutscht. Etwa Pensionistinnen wie Vasilica Stoican, die früher eigentlich gar keinen schlechten Job hatten.

DER „erste award“

Die Erste Stiftung brachte in Bukarest Experten und NGOs aus der Region zu einem Kongress über den sozialen Wandel in Südosteuropa zusammen.

20 Projekte für soziales Engagement wurden dabei von der Erste Stiftung mit insgesamt 295.000 Euro ausgezeichnet. Platz eins erzielte eine mazedonische Kampagne gegen Kinderhandel.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.06.2009)

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