Naftogaz, ein Spielzeug der Politiker

(c) Reuters (Konstantin Chernichkin)
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Ohne den ukrainischen Gasmonopolisten gäbe es kein russisches Gas in Europa – mit ihm aber zuweilen auch nicht. Ein Porträt eines Kolosses, der Kontinente verbindet und mitunter trennt.

Kiew. Auch wer nicht gerne redet, hat seine Lieblingswörter. „So ist das“, beliebt Igor Didenko zu sagen: „Und aus!“ Ob man denn nicht richtig verstanden habe, fragt der 44-Jährige gereizt: „Muss ich es etwa noch einmal erklären?“ Wo er ja überhaupt nicht gerne erklärt. Auch nicht, welcher Marke das Gewehr ist, das hinter seinem Chefsessel am Kasten lehnt. In der Tat gibt es wichtigere Fragen. Deren Lösung nicht immer so klar ist, wie es der amtsführende Chef des ukrainischen Gasmonopolisten „Naftogaz Ukrainy“ glauben machen will.

Spätestens seit den Lieferausfällen im Jänner nämlich zweifelt Europa an der Zuverlässigkeit von Naftogaz, was den Transit russischen Gases nach Europa betrifft. Im Jänner gelang es dem russischen Monopolkonzern Gazprom, dem Partner wenigstens die halbe Schuld am Lieferstopp zuzuschreiben. Und seither schlagen Gazprom und Europa regelmäßig Alarm, dass Naftogaz seine Hausaufgaben nicht macht und die sichere Versorgung gefährdet.

Der „zuverlässigste Partner“

„Das Problem ist, dass jeder seine Probleme auf Kosten eines anderen lösen will“, wehrt sich Didenko und suggeriert, dass Naftogaz das Opfer in der Mitte ist: „Wir sind der zuverlässigste Transitpartner in Eurasien.“

15 verstaubte Klimaanlagen verunstalten die klassizistische Außenfassade der Konzernzentrale in Kiew. Das Thermometer am Eingang zeigt 34 Grad Hitze. Die Adresse Chmelnyzkyj-Straße entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Vor 450 Jahren führte der Nationalheld Chmelnyzkyj einen Volksaufstand gegen die polnischen Adelsherrn an, nur um am Ende unter dem Diktat der Russen zu landen. Vor fünf Jahren demonstrieren die Orangen Revolutionäre für einen Schwenk Richtung Westen, um schließlich in einem innenpolitischen Tohuwabohu und einer undurchsichtigen Abhängigkeit von Moskau zu landen.

Nirgendwo treten diese Turbulenzen stärker zutage als beim Gas, erklärt Michael Gonchar, vormals Naftogaz-Manager und nun Experte beim Forschungszentrum „Nomos“. Mit seinen 170.000 Mitarbeitern erwirtschaftet der Koloss ein Siebentel des ukrainischen BIP. Neben der eigenen Förderung ist der Konzern für das gesamte Pipelinenetz zuständig.

Über allem aber muss Naftogaz als staatlicher Konzern die Interessen vieler zufriedenstellen. Da sind die inländischen Verbraucher, die unter Einkaufspreis versorgt werden wollen und dennoch mit 2,5 Mrd. Euro im Zahlungsrückstand sind. Da ist die verfeindete Staatsführung, die um den Einfluss im Konzern streitet und eine Erhöhung der Inlandspreise aufschiebt, was Naftogaz um wichtige Einnahmen bringt und ein Mitgrund für die etwa 6,9 Mrd. Euro Kreditschulden ist.

Da ist der Lieferant Russland, der sein Gas nach Europa transportiert haben will und es zugleich als politischen Hebel nützt. Und da ist Europa, das 80 Prozent des Gases aus Russland über den ukrainischen Transit bezieht.

Naftogaz, dessen negative Bilanz auch das Staatsbudget belastet, müsste einen Spagat schaffen. Es geht nicht nur um die Herkulesaufgabe, die verlustbringende Inlandsversorgung mit dem konfliktanfälligen Transitgeschäft zu koordinieren. Auch die konträren Interessen der Staatsführung sind kaum unter einen Hut zu bringen.

Eines Mittags im März wurde die Polizei in die Naftogaz-Zentrale gerufen. Maskierte hatten das Gebäude gestürmt. Die Unbekannten entpuppen sich als Geheimdienstmitarbeiter, ausgeschickt von Präsident Viktor Juschtschenko. Das behauptet zumindest seine Erzfeindin Julia Timoschenko, die als Premier bei Naftogaz das eigentliche Sagen hat. Die Vermummten forderten das Original des Vertrags, den Timoschenko im Jänner in Moskau zur Beilegung des Gaskonfliktes geschlossen hatte. Juschtschenko vermutet nämlich, dass es zum „erniedrigenden Vertrag“ geheime Zusatzabsprachen gibt.

Glaubensfrage Speicherbedarf

Der Vertrag erhöhte den Gaspreis auf europäisches Niveau und verpflichtete Naftogaz zum Kauf einer Mindestmenge. Demgegenüber garantiert Gazprom kein Volumen für den Gastransit, an dem Naftogaz verdient, und zahlt für den Transit im Europavergleich bescheidene 1,70 Dollar je 1000 Kubikmeter und 100 Kilometer. Timoschenko, die mit den Russen flirtet, stand angesichts frierender Europäer offenbar unter Zeitdruck: So hat sie den eigentlichen Naftogaz-Chef Oleg Dubin im Jänner zur schnellen Unterschrift gedrängt. Als dieser später den Vertrag in Ruhe las, erlitt er einen Herzinfarkt. Seither führt Didenko, nominell Vizechef, die Geschäfte.

Zu ihnen gehört, bis Mitte Oktober ausreichend Gas in die ukrainischen Speicher einzulagern, um Gazprom im kalten Winter bei der Versorgung Europas zu unterstützen. Wie groß der Vorrat in den Speichern sein muss, ist offenbar auch eine Glaubensfrage. Von 28 Mrd. Kubikmetern, dem dreifachen österreichischen Jahresverbrauch, sprechen Didenko und Gazprom. 15 Mrd. Kubikmeter würden reichen, sagt Experte Gonchar. Aktuell liegen im Speicher 19,5 Mrd. Kubikmeter, von denen aber noch für den Eigengebrauch entnommen wird.

Zum Ärger von Gazprom, dessen Absatz in Europa um ganze 43 Prozent eingebrochen ist, wartete auch Naftogaz monatelang mit dem Einkauf für die Einspeicherung zu, um nun den billigeren Einkaufspreis ab 1. Juli zu nützen.

Korruption und Steuertricks

Bleibt die Frage, wer zahlt. „Wir brauchen dafür einen Kredit von 4,2 Mrd. Dollar“, behauptet Didenko fest. Die EU solle zahlen, meint Gazprom. Experte Gonchar glaubt die Motive der Russen, die bis zum Vorjahr die Einlagerung selber organisierten, zu kennen: Sie wollen aufgrund ihrer Finanzschwierigkeiten das Risiko abwälzen und die Europäer mit viel Lärm zum Geldverleihen drängen.

Die Europäer sagen nicht generell nein, halten aber die verlangte Kreditsumme für krass überhöht. Außerdem verlangen sie, dass der Gaskonzern, dem Korruption und Steueroasentricks vorgeworfen werden, transparenter wird, das Inlandsgeschäft strikt vom Transitgeschäft trennt und den Inlandspreis anhebt.

Juschtschenko unterstützt diese Forderungen, plädiert aber auch für eine Neuorganisation des europäischen Gasmarktes unter Einbindung von Produzenten, Transitstaaten und Konsumenten. „Wir sind wie der Rufer in der Wüste“, sagt er. Dem pflichtet auch Didenko bei – und fügt hinzu: „Ich fühle mich wie ein Spielzeug im Spiel der Politiker.“

Auf einen Blick

Ukraines GaskonzernNaftogaz steht in der Mitte zwischen russischem Lieferanten, europäischen Kunden und den Eigeninteressen der ukrainischen Politiker. Neben dem Transit nach Europa ist er auch für die Inlandsversorgung und die Gasförderung zuständig. Derzeit fehlt dem Staatsbetrieb das Geld, um die Speicher für den Winter aufzufüllen. Der Preis für Inlandskunden wird niedrig gehalten. Das Sagen im Konzern hat vor allem Premier Julia Timoschenko.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.07.2009)

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