Die Ukraine verspielt ihren IWF-Kredit

UKRAINE KIEV WOMAN BEGGING
UKRAINE KIEV WOMAN BEGGING(c) EPA (Sergey Dolzhenko)
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Vor einem Jahr konnte die Ukraine nur mithilfe eines Notkredits vor dem Bankrott gerettet werden. Eine überlebenswichtige Tranche droht nun zu platzen.

KieW.Vor einem Jahr konnte die Ukraine nur mithilfe eines Notkredits vor dem Bankrott gerettet werden. Innerhalb weniger Wochen hatte der Internationale Währungsfonds (IWF) der ehemaligen Sowjetrepublik Hilfe in Höhe von insgesamt 16,4 Mrd. Dollar (11,1 Mrd. Euro) zugesagt.

In den vergangenen zwölf Monaten hat die Ukraine 7,2 Mrd. Euro aus diesem Topf erhalten. Der Großteil dieser Mittel ist in die Stützung des Finanzsystems geflossen. Mitte November steht die Zahlung einer weiteren Tranche von 2,6 Mrd. Euro an, die das Land dringend braucht, um sein ausuferndes Budgetdefizit in den Griff zu bekommen. Doch die Auszahlung wird immer fraglicher, weil im Vorfeld der Präsidentenwahlen im Jänner die Politiker in rauen Mengen Geld verteilen, das sie nicht haben.

Dabei hat Washington die Vergabe der Hilfsmittel an strenge Auflagen gebunden. So sollten der Finanzsektor und die Energiewirtschaft grundlegend reformiert werden. Das Pensionsantrittsalter wollte man erhöht sehen. Pensionen, Löhne und Sozialausgaben sollten nur minimal steigen. Außer im Finanzsektor kommen die Reformen nur schleppend voran. In Kiew stehen sich seit Jahren Regierung, Präsident und Opposition unversöhnlich gegenüber. Die letzte Episode dieser Fehde war vor Kurzem im Parlament zu beobachten. Initiiert von der größten Oppositionspartei wurde dort ein Gesetz zur Erhöhung der Mindestlöhne und -pensionen um 20 Prozent beschlossen.

Vier verschenkte Milliarden

Dieses Gesetz ist ein Stolperstein bei den Verhandlungen mit dem IWF. Die Erhöhungen belasten den Staatshaushalt zusätzlich mit vier Milliarden Dollar pro Jahr. Regierungschefin Julia Timoschenko spricht von „einer Atombombe für das ukrainische Budget“. Ihr Rivale, Präsident Viktor Juschtschenko, hat das Gesetz dennoch unterschrieben. Nun lassen 50 Parlamentarier vom obersten Gericht prüfen, ob das Gesetz überhaupt verfassungskonform ist.

Am 17. Januar soll in dem 46 Millionen Einwohner zählenden Land ein neuer Präsident gewählt werden. Der jetzige Amtsinhaber, der 2004 während der Orangen Revolution noch Seite an Seite mit Julia Timoschenko gegen die Wahlfälschungen des russlandtreuen heutigen Oppositionschefs Viktor Janukowitsch kämpfte, hat kaum Chancen auf eine Wiederwahl. Um Timoschenkos Aussichten auf den Präsidentenposten zu schmälern, wirft er der Regierungschefin Knüppel in den Weg.

Auch Janukowitsch tritt an. Seine Partei wirft dem IWF Parteilichkeit vor. Auch Präsident Juschtschenko kritisiert den Fonds, weil er mit der Regierung und speziell mit Premier Timoschenko zu nachsichtig sei. Einer näheren Prüfung halten diese Vorwürfe allerdings kaum stand.

Bereits im vergangenen Dezember wollte die Regierung ein Antikrisenprogramm durch das Parlament bringen, um die vom IWF angemahnten Reformen anzuschieben. Doch weder Janukowitsch noch der Präsident zeigten große Eile oder Bereitschaft, diese Maßnahmen zu unterstützen. Obwohl die Ukraine wie kaum ein zweites Land von der Wirtschafts- und Finanzkrise getroffen wurde, zogen die verantwortlichen Politiker zu keiner Zeit an einem Strang.

Die Geduld geht zu Ende

Der IWF zeigt sich mittlerweile beunruhigt – wenn auch in sanften Tönen. Für IWF-Präsident Dominique Strauss-Kahn erschwert die Unterzeichnung die weitere Zusammenarbeit.

Am Rande des G20-Finanzministertreffens in Schottland gab er zwar Entwarnung für die Vereinbarung mit Rumänien, obwohl dort nach dem Sturz der Regierung im Oktober politisch kein Stein auf dem anderen bleibt. Die Situation in der Ukraine aber nannte er „ein bisschen schwieriger“.

Diese immer noch recht milde Reaktion ist typisch für die Ukraine-Strategie des Währungsfonds: Er setzt auf Geduld. Noch dominiert in Washington der Wunsch, der Ukraine auch weiterhin Unterstützung zu gewähren. Doch viel Spielraum für wahlkämpferische Eskapaden bleibt den Protagonisten im Polittheater von Kiew nicht mehr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.11.2009)

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