Buhlen um die „Braut Turkmenistan“

(c) REUTERS (Ria Novosti)
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Nachdem sich der zentralasiatische Gasstaat mit Moskau zerkracht hatte, waren rasch neue Gasabnehmer zur Stelle. Europa hat das Nachsehen hinter China und dem Iran. Nicht nur die Abnehmer feiern ihre neue Bezugsquelle.

MOSKAU. Wenn zwei sich streiten, dann freuen sich Dritte. Nirgends hat sich die sprichwörtliche Regel in letzter Zeit mehr bewahrheitet als rund um den zentralasiatischen Staat Turkmenistan. Nachdem sich der weltweit viertgrößte Gasstaat im April 2008 mit seinem nahezu exklusiven Abnehmer Russland überworfen hat, sehen gashungrige Länder ihren Moment gekommen. Und sichern sich gegenwärtig im Eiltempo langfristige Gaslieferungen aus der Ex-Sowjetrepublik am Kaspischen Meer.

Zuletzt am Mittwoch dieser Woche der Nachbarstaat Iran. Niemand Geringerer als Staatspräsident Mahmud Achmadi-Nedschad reiste an, um gemeinsam mit seinem turkmenischen Amtskollegen Gurbanguly Berdymuchamedow eine zweite Pipeline zwischen beiden Ländern zu eröffnen. Der Iran, der bisher mit acht Mrd. Kubikmetern (etwa Österreichs Jahresverbrauch) jährlich ein Zehntel der turkmenischen Fördermenge bezogen hat, wird damit künftig zweieinhalb Mal so viel importieren.

Ebenso schnell war China zur Stelle. Nach der Unterzeichnung eines langfristigen Liefervertrages im Juni wurde am 14.Dezember die neue Pipeline aus Turkmenistan nach China eröffnet. Auch für die Volksrepublik war das Ereignis staatstragend: Staatschef Hu Jintao selbst war zum Kaspischen Meer aufgebrochen, um den Startschuss zu geben. Zwar fließen in diesem Jahr nur 13 Mrd. Kubikmeter ins Reich der Mitte, ab der Endausbaustufe der Pipeline im Jahr 2013 aber dürften bis zu 40 Mrd. Kubikmeter transportiert werden.

Verlierer Russland und EU

Nicht nur die Abnehmer feiern ihre neue Bezugsquelle. Turkmenistan selbst feiert mit ihnen. Der totalitäre Staat, der nach dem Tod seines „Turkmenbaschi“ genannten Langzeitdiktators Saparmurat Nijasow im Jahr 2006 mit der Lockerung der politischen Repression nur schleppend vorankommt, löst sich damit aus seiner einseitigen Abhängigkeit von Russland. Bisher war Turkmenistan gezwungen, 90 Prozent seines Exports an den Zwischenhändler Russland fließen zu lassen, der es dann etwa an die Ukraine weiterverkaufte. Der Grund: das einseitig ausgerichtete sowjetische Pipelinenetz in Zentralasien. Die Folge: langjähriges Billigpreisdiktat vom großen Bruder. Nun, ermuntert von den vielen Brautwerbern, trieb Turkmenistan zuletzt den Preis auch gegenüber Moskau.

Zum endgültigen Eklat mit Russland führte die Finanzkrise: Weil der russische Gasmonopolist Gazprom empfindliche Absatzeinbußen in Europa hinnehmen musste, fuhr er die Zukäufe in Turkmenistan zurück, was im April 2009 zur Explosion der Pipeline in Turkmenistan führte. Seither hing der Haussegen schief, weil die Lieferung gänzlich unterbrochen war und Turkmenistan monatlich eine Mrd. Dollar an Einnahmen entgingen. Erst Ende Dezember einigte man sich darauf, dass die Gaslieferungen mit Jänner wieder aufgenommen und künftig 30 Mrd. Kubikmeter jährlich nach Russland fließen sollten. Vor der Krise waren es noch 50 Mrd. Kubikmeter.

Als möglichen Verlierer des chinesischen Vorstoßes in Turkmenistan sehen Experten nicht nur Russland, sondern auch die EU. Sie, die gleich wie die USA die Gunst Turkmenistans gewinnen will, braucht für ihr Pipelineprojekt Nabucco Gas aus Turkmenistan. Zehn Milliarden Kubikmeter Gas ist Berdymuchamedow bereit, jährlich nach Europa zu liefern. Nabucco-Partner RWE will noch heuer einen ersten Liefervertrag mit der staatlichen Turkmengas abschließen.

Tatsächlich ist das Schicksal von Nabucco ähnlich ungewiss wie die tatsächlichen Gasvorkommen in Turkmenistan. Daten darüber sind Staatsgeheimnis. Im Oktober wurde bekannt, dass die als „supergigantisch“ eingestufte Lagerstätte „Juschni Jolotan-Osman“ statt der genannten sechs Bio. Kubikmeter nur die Hälfte enthält. Berdymuchamedow entließ kurzerhand alle Chefs des gesamten Sektors.

auf einen blick

Der Konflikt zwischen Russland und Turkmenistan eröffnet anderen Staaten die Chance auf turkmenische Erdgaslieferungen.

Statt Europa kommen nun vor allem China und der Iran zum Zug.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.01.2010)

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