Russlands Wirtschaft: Sand im geölten Getriebe

(c) AP (Vadim Ghirda)
  • Drucken

In Russland brach zuletzt Optimismus aus: Man könne bald wieder zu Höhenflügen aufsteigen wie vor der Krise, hieß es. Die Realisten halten dagegen und mahnen zum Umbau des Landes.

Moskau. Bilder sagen mehr als Tausend Worte. Das denkt offenbar auch der russische Premier Wladimir Putin. Und weil Ende 2011 Parlamentswahlen anstehen, lässt er laut Magazin „Russkij Newsweek“ den Informationsraum schon mal neu gestalten. Nicht mehr staatstragende Aufnahmen aus dem Parlament sollten das zensurierte TV-Bild dominieren. Stattdessen einfache Leute mit echten Problemen. Ebendiese, die von der Finanzkrise geschaffen wurden, verspricht Putin in den neuen Sprechzimmern zu lösen: Hier ist Wohnraum zu beschaffen, dort Strom und Gas, vielerorts überhaupt Arbeit. Putin ist nicht mehr nur Zar, er ist auch Feuerwehr und Hausmeister.

Genug zu tun im Hause Russland. Wie der Premier selbst betont, werde die Überwindung der Rezession 2009 wohl drei Jahre dauern. Da gehört er zu den Optimisten. Denn wenn er auch von jährlich drei bis vier Prozent Wachstum „nach konservativer Schätzung“ ausgeht, sind ruckartige Sprünge auszuschließen. Der Reservefonds, Teil der 450 Millionen Dollar Währungsreserven, geht zur Neige. Teure Investitionen in Modernisierung und Infrastruktur stehen an. Die Binnennachfrage ist mau, der Ölpreis volatil. Große Wahlkampfgesten in Form sprunghafter Erhöhungen der Pensionen sind plötzlich nicht mehr selbstverständlich.

Keine Lokomotive aus der Krise

Russlands Wirtschaft ist durch die Krise tief gefallen. War das BIP jahrelang über sieben Prozent gewachsen, so brach es ab September 2008 völlig ein. Bald war klar, dass Russland anders als die drei anderen BRIC-Staaten Brasilien, Indien und China keine Lokomotive ist, die die Welt aus der Krise zieht. Im Gegenteil: Als Rohstoffexporteur hängt Russland selber an der äußeren Konjunktur. 2009 erreichte die Rezession 7,9 Prozent. Heuer schwingt das Pendel freilich teils zurück. Das optimistische Wirtschaftsministerium prognostiziert vier Prozent Wachstum. Der Internationale Währungsfonds ebenso. Merrill Lynch Global Research spricht gar von möglichen sieben Prozent.

„Feiertag auf der Straßenseite der Optimisten“, ätzt Dmitri Dokutschajew, Ökonom beim Magazin „The New Times“. Auch Jewgeni Jasin, Leiter der Higher School of Economics in Moskau, hält dagegen: „Vier Prozent sind die Obergrenze.“ Was Ökonomen zuletzt beflügelt hatte, waren die Zahlen des Statistikamtes über die Industrieproduktion, die im April um 10,4 Prozent gegenüber 2009 nach oben schnellte. Der Haken: Die Statistiker haben die Zählmethode geändert. Aber auch das Wirtschaftsministerium belegt die Dynamik im April, zudem weise das BIP saisonbereinigt plus 0,7 Prozent gegenüber März auf, wo es um 0,1 Prozent geschrumpft war. „Das flößt Optimismus ein“, meinte Ministerin Elvira Nabiullina und warnte: „Wir können bisher nicht sagen, dass es sich um eine stabile Tendenz handelt.“

Ölpreis kann Finanzprobleme erleichtern

Zum Tragen kommt eine aufgeschobene Nachfrage, auch mehr Kreditvergabe, da die Zentralbank den Leitzinssatz binnen eines Jahres 14-mal auf nun 7,75 Prozent gesenkt hat. Auch Anreize wie die Abwrackprämie für Autos zeigen Wirkung. Dennoch: Wegen Schutzzöllen und einer trotz allem geringen Nachfrage schwächelt der Exportmarkt Russland. Das spüren auch die österreichischen Exporte nach Russland, die zwar in den ersten drei Monaten 2010 um 1,1 Prozent gestiegen sind, 2009 aber um 29,5 Prozent eingebrochen waren.

Was in letzter Zeit an positiver Entwicklung in Russland auffalle, verdanke man der niedrigen Ausgangsbasis 2009 und dem relativ hohen Ölpreis, meint Julia Zepljajeva, Ökonomin bei BNP Paribas.

Der Ölpreis bleibt der Schlüsselparameter – auch für das Budget. Die Stimmen gegen diese Abhängigkeit werden indes lauter. Präsident Dmitri Medwedjew nannte einen hohen Ölpreis „eine Katastrophe für Russland“, weil er die Faulheit fördere und die Diversifizierung der Wirtschaft gefährde. Das weiß auch Putin und fällt seinem Ziehsohn dennoch in den Rücken: Zusätzliche Einnahmen aus höheren Ölpreisen würden die Lösung von Finanzproblemen erleichtern. Dass sie auch reichliche Wahlspenden ermöglichen könnten, sagte er so direkt nicht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.06.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.