Geldflüsse in Heimatländer ließen in der Krise nach

(c) Clemens Fabry
  • Drucken

Die 3,8 Millionen „offiziellen“ Gastarbeiter in der "alten" EU haben im Vorjahr die Wirtschaft in ihren Heimatländern mit 29,6 Mrd. Euro „gesponsert“. Die Zahl der Inoffiziellen ist unbekannt.

Wien. Marek K. ist ein „Pfuscher“, wie er im Buche steht, im doppelten Sinn: Der polnische Ingenieur verdingt sich seit Jahren auf ostösterreichischen Baustellen, die er im Alleingang betreibt – und er erhält damit die im heimatlich schlesischen Chorzów (Königshütte) gebliebene Familie, bestehend aus Frau und drei Töchtern. Einmal monatlich fährt er für eine Woche heim, dazwischen lebt er in einem Wiener Gastarbeiterquartier. Durchschnittlich nimmt der Mittvierziger jedes Mal 1500 Euro mit nach Hause.

Viele „Offizielle“ kehrten heim

Marek ist kein Einzelfall. Rund 1,2 Millionen Polen haben sich laut Statistik seit dem EU-Beitritt des Landes 2004 in einem Land der Europäischen Union verdingt. Allerdings ist das die Zahl der offiziellen Gastarbeiter, zu denen Marek nicht gerechnet werden kann. Er hat die Öffnung ohne Genehmigung genutzt, werkt und lebt als U-Boot im EU-Ausland wie mindestens eine Million seiner Landsleute auch. Die Krise scheint nur die „offiziellen“ Polen getroffen zu haben: Beinahe die Hälfte der 1,2Millionen sind in die Heimat zurückgekehrt, entweder weil sie in den Gastländern– vor allem Großbritannien und Irland – die Arbeit verloren haben, oder weil die Verdienstmöglichkeiten zu Hause besser geworden sind.

Die „Arbeitsmigration“ in der EU hat beträchtliche Geldbeträge in Bewegung gesetzt. Auf der einen Seite haben laut einem Bericht an die EU-Kommission 3,8Millionen Menschen aus den neuen Mitgliedsländern das Bruttosozialprodukt der „alten“ EU-15 um etwa 50Milliarden Euro oder 0,8Prozent gesteigert. Natürlich nur offiziell.

Entscheidender aber ist die andere Seite: Die 3,8 Millionen „offiziellen“ Gastarbeiter haben im Vorjahr die Wirtschaft in ihren Heimatländern mit 29,6 Mrd. Euro „gesponsert“. Wie viel Geld zudem inoffiziell über die Grenzen geht, ist der Statistik absolut unbekannt. Allein der offizielle Betrag ist zwar beträchtlich, bedeutet aber gegenüber 2008 einen Rückfall um mindestens ein Drittel. Das wiederum hat in mehreren osteuropäischen Ländern zur Vertiefung der Krise beigetragen. Mareks Heimat Polen ist für einen Vergleich ungeeignet, weil ausgerechnet das Hauptaufnahmeland Großbritannien für 2009 keine Daten bekannt gegeben hat. Immerhin ist eine Relation bekannt: Das Zahlungsbilanzdefizit des 40-Millionen-Einwohner-Landes wäre laut der Regierung in Warschau ohne „Heimüberweisungen“ um 54Prozent höher.

Rumänien und Polen Nutznießer

Und trotzdem ist das kein Europa-Rekord, denn Polen wird um einen Prozentpunkt geschlagen. Rumänien ist nicht zuletzt deshalb noch näher an einen Staatsbankrott gerutscht, weil die Geldflüsse von Landsleuten aus dem Ausland dramatisch zurückgefallen sind. Die Differenz zwischen hereinkommenden sowie hinausgehenden Gastarbeiter-Überweisungen schrumpfte von 2008 zum Vorjahr von 4,92 auf 2,85Mrd. Euro.

Das Balkanland ist in der Hitliste der Nutznießer von „Nettoüberweisungen“ einsame Spitze, mit Respektabstand gefolgt von Polen, dem „alten“ EU-Mitglied Portugal und Bulgarien. In den vergangenen beiden Jahren sind Tschechien und Ungarn schon so „verwestlicht“, dass sie in dieser Statistik zu Nettozahlern geworden sind. Soll heißen, dass mehr Geld durch ausländische Gastarbeiter abfließt, als durch Landsleute hereinkommt. Im Übrigen haben dieses Kriterium neben den klassischen Aufnahmestaaten wie Deutschland, Frankreich, Großbritannien oder auch den Benelux- und den skandinavischen Ländern auch Italien und Spanien geschafft. Letztere beide beschäftigen mit jeweils über 600.000 Personen die bei Weitem größte Zahl rumänischer Gastarbeiter. Offiziell.

Wie viele „Mareks“ dort leben und arbeiten, wissen die Behörden ebenso wenig wie jene in Österreich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.08.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.