Rumänen flüchten zum Einkaufen nach Serbien

(c) AP (Marko Drobnjakovic)
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Weniger Lohn, höhere Mehrwertsteuer: Viele Rumänen fahren zum Einkauf nach Serbien, wo die Nahrungsmittel bis um die Hälfte billiger sind. Vor allem für Beamte wird es knapp. Im Sommer wurden die Bezüge gekürzt.

Vrsac. Mit seiner Tochter an der Hand lässt Radu auf dem Markt von Vrsac seinen Blick über Paprikaberge, Zwiebelsäcke und Melonenpyramiden schweifen. Aus dem über 60 Kilometer entfernten Oravita hat sich der Rumäne zum Einkauf in die nordostserbische Provinzstadt aufgemacht. In Serbien seien Nahrungsmittel bis um die Hälfte billiger als in Rumänien, erklärt der 40-jährige Polizist.

Deshalb macht er sich einmal im Monat zur zeitraubenden Hamsterfahrt aus Europas Wohlstandbündnis in den serbischen EU-Wartesaal auf. „Sehr schwer“ seien die Zeiten in Rumänien, erzählt der Familienvater: „Bis zu den Gehaltskürzungen kamen wir über die Runden. Doch obwohl auch meine Frau arbeitet, fehlt es nun an allen Ecken und Enden.“

Als Beamten wurden Radu und seiner Frau in diesem Sommer ein Viertel der Bezüge gestrichen. Umgerechnet 230 Euro beträgt nun das karge Salär eines rumänischen Staatsdieners. Der Internationalen Währungsfonds (IWF) verdonnerte Rumäniens Regierung zu einem harten Sparkurs. Im Juli wurde die Mehrwertsteuer von 19 auf 24 Prozent angehoben.

Seitdem ist der Alltag für Radus Familie einfach zu teuer geworden. Die Gehaltskürzungen würden genau den Ratenzahlungen für seine Kredite entsprechen, seufzt der Haushaltsvorstand: „Wir müssen nun mit der Bank über längere Laufzeiten und niedrigere Raten verhandeln.“

30 Dinar (28 Cent) kostet auf dem Markt in Vrsac das Kilo Tomaten, 250 Dinar (2,40 Euro) der Zehnkilosack Kartoffeln. „Bei uns müssen wir dafür etwa das Doppelte bezahlen“, erzählt Radu, während er konzentriert den Dinar-Kurs in Lei umrechnet. Einmal im Monat mache er sich mit seiner Frau nach Serbien auf, um sich das Auto mit Gemüse, Eiern und Speiseöl vollzuladen: „Wir kaufen für ungefähr 100 Euro ein – und sparen damit in etwa dieselbe Summe.“

Seit dem EU-Beitritt seien in seiner Heimat die kleinen Landwirte, die früher die lokalen Märkte beliefert hätten, am Schwinden: „In den Supermärkten gibt es oft nur teure Importlebensmittel aus der EU – meist von schlechterer Qualität als hier.“

Bis zu 120 Kilometer Anreise

Die anhaltende Krise und die zunehmende Ebbe in der Haushaltskasse treiben immer mehr Rumänen zum Einkaufen über die Grenze. Laut Radomir Tepic von der serbischen Grenzpolizei hat der Reiseverkehr an den Grenzübergängen in den letzten Wochen um 40 bis 45 Prozent zugenommen – eine Beobachtung, die auf dem Markt in Vrsac bestätigt wird. Am Wochenende drängen sich auf dem Marktplatz die Autos mit den Nummernschildern aus Rumäniens naher Grenzprovinz Timisoara, aber auch aus dem 120 Kilometer entfernten Arad.

Dass die Rumänen heute aus der EU anreisen würden, um sich mit Grundnahrungsmittel einzudecken, sei für Serbiens EU-Gegner ein gefundenes Fressen, erzählt der Journalist Braninslav Guzina: „Die Nationalisten lachen sich darüber kaputt, dass sich die Rumänen das Leben in der EU anscheinend nicht mehr leisten können – und nun in Serbien einkaufen müssen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.09.2010)

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