Modernisierung: Eine neue Ukraine um 100 Mrd. Dollar

(c) EPA (Bartlomiej Zborowski)
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In zehn Jahren sollen Infrastruktur, Landwirtschaft und Tourismus Weststandard erreichen. 60 Prozent der Kosten sollen Private tragen, aber die sind skeptisch. Vor allem im Osten soll geklotzt werden.

Jalta. Es gibt in der Ukraine kaum schmuckere Orte, um über die Modernisierung der Ex-Sowjetrepublik zu debattieren: große elegante Fensterbögen, eine schneeweiße, überreich verzierte Stuckdecke sowie Wände im Stil italienischer Renaissance – und all das in der alten Zarenresidenz von Jalta.

„Wir wollen in den nächsten zehn Jahren 100 Milliarden US-Dollar in die Modernisierung unseres Landes stecken“, verkündete dort jüngst Boris Kolesnikow, Vize-Premierminister der Ukraine, auf einer Konferenz vor Eliten aus Wirtschaft und internationaler Politik. Das Erneuerungsprogramm soll das marode Land in den Bereichen Infrastruktur, Landwirtschaft und Tourismus reformieren.

Vor allem im Osten, dem Industriezentrum der Ukraine, soll geklotzt werden. In Donezk und Zaporizhzhya entstehen zwei neue Flughäfen. Die heute von der Schwerindustrie bestimmte Region soll sich zu einem Handelsdrehkreuz und zu einem Hightech-Standort wandeln. Messeneubauten und die Umwandlung der Hochschulen in Technische Universitäten sind geplant.

Landerwerb nur mit Partner

Dem Süden, der Kornkammer der Sowjetunion, ist die Rolle als Agrargroßregion zugewiesen. Während das Land zurzeit sogar Kartoffeln und Zwiebeln importiert, sehen die Pläne vor, dass sich die Agrarindustrie in zehn Jahren mit den Schwergewichten USA und Brasilien messen kann. Vor allem die Geflügelzucht und der Anbau von Sonnenblumen und Raps sollen die Exportbilanz des hoch verschuldeten 45-Millionen-Einwohner-Landes verbessern.

Die Westukraine soll zu einem touristischen Zentrum werden. Das Gleiche gilt für die Krim und die Region um Odessa. Obwohl die Ukraine erhebliche Probleme hat, die Vorbereitungen für die Fußball-Europameisterschaft 2012 zu stemmen, hat das Land Gefallen an sportlichen Großereignissen gefunden. „Die Karpatenregion wird sich als Austragungsort für die Winterolympiade 2022 bewerben“, sagte Kolesnikow. Allein in die touristische Erneuerung will die Ukraine drei Mrd. US-Dollar pro Jahr investieren.

Doch das Geld ist knapp. 60Prozent der Investitionssumme sollen vom freien Markt kommen. Während russische Investoren bereits die Filetstücke am Schwarzen Meer unter sich aufteilen, zögern westliche Investoren. Vor allem die komplizierten Verfahren beim Landerwerb schrecken sie ab, dazu kommen Korruption und eine ausufernde Bürokratie. Agrarland kann von Ausländern überhaupt nicht erworben werden, nur über einen ukrainischen Partner können ausländische Landwirtschaftsunternehmen Fuß fassen.

„Wir bauen eine neue Ukraine“: Dieser Slogan der Regierungspartei „Partei der Regionen“ trifft aber auch im eigenen Land auf Kritik. „Wir reden seit 20 Jahren über die Erneuerung des Landes. Die jetzt vorgestellten Reformen sind wieder nur Ankündigungen“, kritisierte Natalia Korolewskaja, Parlamentsabgeordnete und Vorsitzende des Ausschusses für Industriepolitik und Unternehmer.

Die Türkei als Vorbild

In das gleiche Horn blies der schwedische Außenminister Carl Bildt: „Es bringt wenig, sich nur technologisch zu erneuern, die Ukraine muss sich auch intellektuell modernisieren“, gab Bildt zu bedenken. Als Beispiel nannte er die Türkei. Das Land habe sich in den letzten 20 Jahren von einem rückständigen Außenseiter mit einer monopolisierten Wirtschaft zu einem Wirtschaftswunderland mit jährlichen Wachstumsraten von zehn Prozent gemausert.

Die Weltbank und der Internationale Währungsfonds raten der Ukraine, sich nicht zu sehr auf Russland als Handelspartner zu konzentrieren und stattdessen möglichst bald eine Zollunion mit der EU einzugehen. „Wenn die Ukraine ihr Potenzial voll ausschöpfen möchte, bleibt dem Land nicht viel anderes übrig, als sich der EU als dem stärksten Wirtschaftsraum anzuschließen“, sagte auch Stefan Füle, EU-Kommissar für Erweiterung und europäische Nachbarschaftspolitik. Eine Reihe westlicher Botschafter in der Ukraine äußerten offen ihre Befürchtung, dass das Land seine Erneuerung vor allem durch die Beteiligung russischer Konzerne voranbringen wird.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.10.2010)

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