Gazprom-Vize: "Es wird nie mehr billiges Gas geben"

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Symbolbild(c) REUTERS (KACPER PEMPEL)
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Gazprom-Vize Alexander Medwedjew sieht im Interview mit der "Presse" keine Blase auf dem Gasmarkt. Einen neuerlichen Streit mit der Ukraine samt Versorgungsengpass in Europa schließt Medwedjew nicht aus.

Die Presse: Soeben übernahm die Gazprom die Energiesparte der deutschen Firma Envacom und hat nun auch Zugang zu den europäischen Endkunden. Ein Durchbruch?

Alexander Medwedjew: Nun, Gazprom will mehr Wertschöpfung auf der gesamten Produktionskette. In anderen EU-Ländern arbeiten wir ja schon auf dem Segment des Stromhandels.

Sicher ein Durchbruch ist, dass Gazprom über die Pipeline Nordstream nun auch ohne Transitländer liefern kann. In welchem Ausmaß wird von der bisherigen Strecke durch Osteuropa umgeleitet?

Weißrussland und Polen sind nicht betroffen. Was die Ukraine betrifft, gebe ich Ihnen Ende 2012 eine Antwort. Es wird von der Nachfrage – auch in Europa – abhängen. Faktum ist: Es wird umgeleitet.

Ausschlaggebend sind wohl auch die Verhandlungen über den umstrittenen Gasvertrag mit der Ukraine.

Nein. Und um Ihre Frage zu antizipieren: Mir scheint, dass wir die Risken eines neuen Gaskonflikts minimieren konnten.

Ausschließen können Sie ihn nicht?

Für diesen Winter schon, weil der Vertrag Preisrabatte enthält. Für die Zukunft können wir nicht sicher sein, dass die Ukraine alle Regeln akzeptiert hat. Es gibt nicht nur politische Risken – es ist auch unklar, ob genug in das ukrainische Pipelinesystem investiert worden ist.

Bleiben wir bei der Politik.

Energie war immer mit Politik verbunden, aber nicht mit politischer Show. Eine solche beobachten wir zuletzt oft seitens Europas. Daher hat uns sehr gefreut, als Frau Merkel bei der Nordstream-Eröffnung von möglichen Änderungen beim dritten EU-Energiepaket, das Pipelinebesitzer wie Gazprom zwingt, Wettbewerbern Zugang zum Leitungsnetz zu gewähren, gesprochen hat. Das sagt man nicht zufällig und lässt auf künftige Kooperationen hoffen. EU-Kommissar Öttinger selbst hat gesagt, dass Europa nicht erst 2030, sondern schon 2020 zusätzlich 200 Mrd. Kubikmeter Gas braucht. Das heißt, es braucht auch weitere Pipelines.

Gazprom-Experte Michail Kortschemkin rechnet aber vor, dass nun Leitungskapazitäten von 250 Mrd. Kubikmetern aus Russland nach Europa bestehen, obwohl vertraglich nur 160 Mrd. Kubikmeter pro Jahr abgenommen werden.

Bis 2030 haben wir 4,5 Billionen Kubikmeter (jährlich 225 Mrd. Kubikmeter, Anm. d. Red.) an Abnahmemenge vertraglich zugesichert.

Wird sich der Markt durch Schiefer- und Flüssiggas verändern? Das Beratungsunternehmen A.T. Kearny meint, dass Überkapazitäten und Preisverfall ab 2015 drohen.

Aus ökologischen Gründen wird sich Schiefergas in Europa wohl nicht etablieren. Und die Infrastruktur für Flüssiggas hat natürliche Grenzen.

Dennoch könnte die Gasblase laut A.T.Kearny platzen.

Ich gebe zu bedenken: Nachdem 2009 die Preise auf dem Spotmarkt gefallen sind, liegen sie heute wieder bei über 400 Dollar je 1000 Kubikmeter, also ähnlich hoch wie für das mit Langfristverträgen und Ölpreisbindung gelieferte Gas von Gazprom. Es gibt kein billiges Gas für 200 Dollar, und es wird auch nie mehr eines geben.

Neulich haben EU-Ermittler Gazprom-Büros wegen des Kartellverdachts durchsucht. Welche Lehren haben Sie daraus gezogen?

Ein schaler Nachgeschmack bleibt. Wenn jemand Wettbewerb zu schaffen hilft, dann Gazprom. Wir träumen nicht von haushohen Preisen, sondern wollen nur Investitionen hereinspielen. Die faire Preisbildung will man leider seit der Krise über Bord werfen.

Immer wenn Gazprom Probleme mit der EU hat, droht es, vermehrt Asien zu beliefern. Aber warum kommt man mit dem Hoffnungsmarkt China preislich nicht überein?

Wir haben uns über die Preisformel geeinigt. Nur der Basispreis steht aus. Wenn wir nicht in Siebenmeilenstiefeln übereinkommen, so doch in Meilenstiefeln.

Wie nehmen Sie die europäische Schuldenkrise wahr?

Wir bauen auf die führenden Eurostaaten. Russland hat Hilfe angeboten, aber auf Basis wirtschaftlicher Kooperation. Wenn man uns Investitionen in Stromerzeugung oder Pipelines verbietet, trifft das Europa selbst. Deshalb baue ich auf Merkels Aussage, über das dritte Energiepaket nachzudenken.

Zur Person

Alexander Medwedjew (56) ist Gazprom-Vizechef und als Generaldirektor der Tochter „Gazprom Export“ seit 2002 für das Auslandsgeschäft des Konzerns zuständig. In den 1990er-Jahren war der Ökonom im Bankgeschäft der Donau-Bank AG tätig, seit 1991 als Direktor der österreichischen IMAG GmbH, die auf Finanzierungen im russischen Energiesektor spezialisiert war.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.11.2011)

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