Die Kunst, virtuelle Klingelbeutel zu füllen

Eine Geldquelle muss her!
Eine Geldquelle muss her!(c) Bilderbox
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Mit der Wirtschaftskrise wurden die Kunst- und Kulturfördertöpfe geschrumpft, Stipendien abgeschafft. Maler, Filmschaffende und Musiker suchen neue Geldquellen. Nach Start-ups entdecken nun auch sie vermehrt Crowdfunding für sich.

Das Baby ist endlich da. Es liegt sorgsam verpackt mit vielen anderen in einem Karton und ist Birgit Graschopfs (38) ganzer Stolz. Viele Jahre hat sie dieses Projekt geplant, nun ist ihr Buch „Oberflächentiefe/Surfacedepth“ seit vergangener Woche im Handel erhältlich. Dass ihr Herzensprojekt überhaupt verwirklicht werden konnte, verdankt die Bildende Künstlerin einem erfolgreichen Crowdfunding-Projekt und dem Kunstpreis der Bank Austria 2015, durch den ein Drittel der gesammelten Summe zugeschossen wurde. Die nötigen 20.000 Euro hätte Graschopf sonst nicht berappen können. Wie die meisten Künstler ist auch sie meist knapp bei Kasse.

Wie Graschopf entdecken nach Start-ups nun immer mehr Kunst- und Kulturschaffende Crowdfunding. Aktuell hat etwa das Filmarchiv eine Geldsammelaktion auf „wemakeit“ gestartet. Das Anliegen: Auf einem Flohmarkt wurden vergangenen Herbst die fehlende Teile des Films „Die Stadt ohne Juden“ gefunden. Der 1924 gedrehte Film zählt zu Österreichs wichtigsten Stummfilmen, der als weltweit erster Film vorwegnahm, wohin der grassierende Antisemitismus führen kann. Aus einer Stadt namens Utopia, in der Angst vor sozialem Abstieg herrscht, werden alle Juden verbannt. Der Film soll nun restauriert werden, die Kosten belaufen sich auf 75.000 Euro. In weniger als einer Woche konnte mehr als die Hälfte der Summe lukriert werden – das Bundeskanzleramt will ein Drittel zuschießen. Die Wiener Band Dawa sammelte gerade auf derselben Plattform erfolgreich für ihr Album.


Neue Kreativwirtschaft. „Dass sich immer mehr Kreative solcher Plattformen bedienen, zeigt, dass der Finanzfluss der Kulturindustrie im Wandel ist“, sagt Günther Friesinger. Der Kulturmanager lebt davon, für Künstler und deren Projekte Geld aufzutreiben. Das kam lange aus Stipendien, Preisen und Förderungen aus den Töpfen von Bund, Land und Gemeinden. „Die Wirtschaftskrise kommt auch hier an. Viele Stipendien und Preise gibt es nicht mehr. Die Förderungen wurden teilweise massiv gekürzt“, sagt Friesinger. Während man vor zwei Jahrzehnten noch einigermaßen gut nur von diesen Geldquellen leben konnte, hätten heute eigentlich alle auch Brotjobs.

Auf Bundesebene sind die Förderbudgets mit rund 440 Millionen Euro in den letzten Jahren gleich geblieben – es gab jedoch keine Inflationsanpassung. Dazu floss ein Großteil in große Häuser und Museen – die freie Kunst- und Kulturszene wurde beschnitten.

Nicht zuletzt deswegen kündigte Kulturminister Thomas Drozda an, das Budget nächstes Jahr wieder um 13,1 Millionen erhöhen zu wollen. Der Schwerpunkt soll auf der Personenförderung liegen, hier soll es 2017 eine Budgeterhöhung von zehn Prozent geben. Deutlich massiver als der Bund haben Länder und Gemeinden ihre Förderungen gekürzt.

Ein besonderes Problem hat derzeit die Musikbranche. Im Sommer wurde mit der Alben-Förderung des Musikfonds eine der wichtigsten Förderungen überhaupt gestrichen. Hintergrund ist ein seit Jahren währender Rechtsstreit der Verwertungsgesellschaften mit Amazon. Der US-Konzern weigert sich, die in Österreich vorgesehene Festplattenabgabe zu bezahlen, aus der die Förderungen aber wieder ausgeschüttet werden. Darum setzte der Fonds die Zahlungen aus – in elf Jahren wurden 631 Alben mit 5,7 Millionen Euro gefördert. Diese Einnahmequelle bricht den Musikern nun weg – gleichzeitig ist es nicht mehr üblich, dass Labels Geld für Albenproduktionen vorschießen, die schnell einmal 10.000 Euro und mehr kosten. Gut gebuchte Bands verdienen den Gutteil ihres Geldes durch Konzerte, dazu werden kleine Summen nach dem Motto „Kleinvieh macht auch Mist“ gesammelt. Etwa indem man vor YouTube-Videos Werbung schaltet – 1000 Klicks bringen rund einen Euro. Früher seien auch Sponsoren viel aktiver gewesen als heute, berichtet Friesinger. „Es gibt, was Sponsoring betrifft, kaum einen Mittelbau. Es gibt die großen Mäzene – wie etwa Hans Peter Haselsteiner, der die Sammlung Essl rettete – und jene, die gern ein paar Euro für eine Sache geben, die sie gut finden.“ Crowdfunding käme der österreichischen Mentalität entgegen, weil die Methode in gewisser Weise dem Klingelbeutel in der Kirche ähnle.

Und auch Künstlern sei die Geldbeschaffungsmethode vertraut: „Crowdfunding ist die Professionalisierung von dem, was man als Künstler eigentlich schon lange macht: nämlich seine Freunde und Verwandten um finanzielle Unterstützung zu bitten. Ein wesentlicher Unterschied ist aber, dass man es versteuern und den Plattformen eine Gebühr von fünf bis zehn Prozent zahlen muss“, sagt Sebastian Reiter, Chef der Booking-Agentur Konvoi, die Bands wie Schmieds Puls oder die 5/8erl in Ehren unter Vertrag hat.


Unternehmen gründen. Wie viele Kunst- und Kulturschaffende derzeit crowdfunden und wie viele Projekte tatsächlich realisiert werden, ist aufgrund der Fülle an Plattformen schwer zu beziffern. „Aber es wird massiv mehr“, sagt Paul Pöltner, Chef der Crowdinvest-Plattform conda.at. Diese betreut ausschließlich Unternehmen, die hier Kredite lukrieren, welche sie später auch wieder zurückzahlen. Diese Art von Darlehen unterliegt seit einem Jahr dem sogenannten Alternativfinanzierungsgesetz. Plattformen wie „wemakeit“ oder „kickstarter“ sammeln in erster Line für Produkte.

„Die Kunst- und Kulturszene macht gerade auf diesen Plattformen ihre ersten Schritte – Crowdinvest wäre der logische nächste Schritt“, sagt Pöltner und nennt ein Beispiel: „Eine Designerin sammelt etwa zuerst für ein Produkt, das sie verwirklichen möchte. Wenn es gut funktioniert, will sie vielleicht ein Geschäft aufmachen. Während sie sich bei der Bank wahrscheinlich schwertut, einen Kredit zu bekommen, ist Crowdinvest eine gute Möglichkeit, doch noch an Geld zu kommen.“ Neben Geld habe Crowdfunding vor allem einen großen Vorteil für die Künstler: „Man macht automatisch für sich und das, was man tut, Werbung und wird zum echten Selbstvermarktungsprofi.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.11.2016)


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