Friedrich Schneider: "Wir alle profitieren vom Pfusch"

Friedrich Schneider alle profitieren
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serieDer Experte für Schattenwirtschaft erklärt im DiePresse.com-Interview, warum Pfusch in Österreich immer noch ein Kavaliersdelikt ist - und warum wir ohne Schattenwirtschaft vermutlich eine veritable Rezession hätten.

DiePresse.com: Wieso konnte in Österreich eigentlich nie so etwas wie die Mafia in Italien entstehen?

Friedrich Schneider: Wir haben keine italienischen Verhältnisse. Das liegt unter anderem an der Mentalität: 95 Prozent der Österreicher sind grundehrliche Menschen und würden solche Methoden ablehnen. Und auch der österreichische Staat macht einen guten Job: Er stellt ein hochwertiges Spektrum von Gütern und Dienstleistungen zur Verfügung.

In Österreich, der Schweiz und den USA ist der Anteil der Schattenwirtschaft am BIP besonders gering - er liegt bei unter acht Prozent (>>> zur Studie). Woran liegt das?

Eigentlich sollte das Ausmaß an Schwarzarbeit in Österreich in etwa gleich hoch sein wie in Deutschland, da viele Schattenwirtschaft treibende Faktoren, wie zum Beispiel Steuerdruck und Regulierung, in etwa gleich sind. Daher könnte man in Österreich auch von einem Messfehler sprechen, weil wir hier eine ausgeprägte Do-it-yourself-Mentalität haben und damit eine viel aktivere Nachbarschaftshilfe als in anderen Ländern. Das konnte in den Berechnungen nicht erfasst werden. Die Schweiz hat viel tiefere Steuersätze und weniger Regulierung, auch in den USA ist die Steuer- und Regulierungsbelastung de facto nicht existent.

Würde man in Österreich die Steuern senken, würde dann auch der Anteil der Schattenwirtschaft am BIP zurückgehen - und umgekehrt steigen?

Ja.

Ab welcher Grenze zahlt es sich für einen Staat nicht mehr aus, die Steuern zu erhöhen?

Das kann man nicht genau festlegen, weil es hier von Land zu Land große Unterschiede gibt und immer die gesamte Abgabenbelastung berücksichtigt werden muss.

Für jeden zweiten Österreicher ist Pfusch immer noch ein Kavaliersdelikt - die Akzeptanz ist sogar deutlich höher als etwa bei der Mitnahme der Sonntagszeitung ohne zu bezahlen. Woran liegt das?

Viele haben beim Pfusch kein schlechtes Gewissen, weil Wertschöpfung entsteht: Ich baue oder repariere ein Haus, ich repariere ein Auto, das dann wieder fährt. Der zweite Grund: Der Großteil des Pfusches wird hier von Leuten erledigt, die in der legalen Wirtschaft beschäftigt sind. Sie zahlen ganz normal Steuern und versteuern nur die schwarz geleisteten Überstunden nicht.

Ich höre heraus - der Schaden durch Pfusch hält sich in Österreich in Grenzen.

Wir alle profitieren vom Pfusch - für Österreich ist der Pfusch wohlfahrtssteigernd. Die einzig wirklich Geschädigten sind der Staat und die Sozialversicherungsträger. Wir sprechen hier von 15 bis 20 Prozent an Ausfällen und einem Betrag von zwei bis drei Milliarden Euro. Hier gehe ich aber davon aus, dass dann die gesamte Schwarzarbeit auch in der legalen Wirtschaft geleistet werden würde. Doch vieles würde gar nicht erst gemacht, wenn es nicht schwarz gemacht werden würde. Daher beläuft sich der tatsächliche Schaden auf höchstens eine Milliarde. Ohne Schattenwirtschaft hätten wir vermutlich eine veritable Rezession, weil das Geld nicht in die reale WirtDschaft investiert werden könnte. Weiterhin sollten wir bedenken, dass zwei Drittel der schwarz verdienten Geldes - ca. 10 bis 12 Milliarden Euro - sofort wieder in der offiziellen Wirtschaft ausgegeben wird. Denn kaum ein Österreicher arbeitet für das Sparbuch schwarz.

Sie haben die Größe der Schattenwirtschaft in 21 OECD-Staaten verglichen. In Italien, Griechenland, Portugal und Spanien ist der Anteil am BIP am größten. Gibt es einen Zusammenhang mit der Euro-Schuldenkrise?

Nein, diese Länder haben einfach über ihre Verhältnisse gelebt. Doch man kann sie nicht über einen Kamm scheren. Italien hat einen sehr starken Industriesektor - die Wettbewerbsfähigkeit von Griechenland ist dagegen schlecht, zum Teil auch jene von Portugal. Dass Schattenwirtschaft und Krise zusammenhängen, trifft am ehesten auf Griechenland zu.

Sie waren erst vor kurzem zu Forschungszwecken in Griechenland. Wie kann der Staat die Situation verbessern?

Hier muss ein Bündel von Maßnahmen umgesetzt werden: Die Korruption muss eingedämmt werden, der öffentliche Sektor muss bessere Güter und Dienstleistungen herstellen und die Steuerverwaltung müsste modernisiert werden. Diese Probleme hätte Griechenland aber schon vor einem Jahrzehnt angehen sollen. Es handelt sich um Maßnahmen, die nicht innerhalb von vier Wochen greifen.

Sollte Griechenland aus der Eurozone austreten?

Nein, ich bin genau der gegenteiligen Meinung - denn dann geschieht noch weniger, da der Druck auf Griechenland dann entfällt.

Welche Auswirkungen hat die Schattenwirtschaft auf die griechische Schuldenkrise?

Da die Wirtschaft in Griechenland so stark abgestürzt ist, wird auch in der Schattenwirtschaft weniger nachgefragt. Die Rezession ist so stark, dass sie sich auch auf den illegalen Bereich auswirkt, das heißt wir haben einen der wenigen Fälle, bei der eine sinkende offizielle Wirtschaft zu einem Sinken der Schattenwirtschaft führt.

Laut einer Studie des Pew Research Center geben sich rund 40 Prozent der Griechen Mitschuld an der Krise. Zeichnet sich eine Änderung in der Mentalität hin zu mehr Steuerehrlichkeit ab?

Zum Teil schon, wichtiger wäre aber eine Mentalitätsänderung bei der griechischen Elite.

Und die hat noch nicht stattgefunden?

Nein. Sonst würde es zum Beispiel längst ein Steuerabgeltungsabkommen mit der Schweiz geben.

Zur Person

Der deutsche Ökonom Friedrich Schneider (*1949 in Konstanz) gilt als Experte für Schattenwirtschaft. Seit 1986 ist er ordentlicher Universitätsprofessor am Institut für Volkswirtschaftslehre an der Johannes-Kepler-Universität Linz.

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