Mit dem Geldsack zum Bäcker?

wodicka@aon.at
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Wir müssen uns auf mehr Teuerung einstellen. Hyperinflation droht aber nicht.

Das Bild ging 2008 um die Welt: eine Frau, die einen riesigen Plastiksack vollgestopft mit Banknoten schultert. Ihr Ziel: der nächstgelegene Bäcker. Ob der Sack nach dem Fußweg dorthin noch für den angepeilten Brotlaib reichen würde, war freilich ungewiss. Denn die Preise erhöhten sich damals im Minutentakt. Die Szene spielte in Simbabwe. Dort hatte Präsident Mugabe die Wirtschaft des Landes in atemberaubendem Tempo an die Wand gefahren. Kompensiert wurde das Ganze mit der Notenpresse.

Die Folge: die höchste Inflation, die der Globus je gesehen hatte. 231 Millionen Prozent Jahresteuerung wurden offiziell ausgewiesen, was aber ohnehin vollkommen irrelevant war. Geld hatte so und so seine Funktion als Wertaufbewahrungsmittel verloren. Die Preise verdoppelten sich alle paar Stunden, keiner konnte schneller Geld ausgeben, als es wertlos wurde.

Benchmark

Dieser Artikel erscheint in Benchmark - dem Wirtschaftsmagazin der "Presse".Hyperinflation. Das Ganze nennt sich Hyperinflation, ist der ultimative Super-GAU für jegliches Geldvermögen – und gar nicht so selten, wie man meinen möchte. Man muss gar nicht in die 1930er-Jahre zurückgehen, als österreichische Papiergeldmillionäre für ihre Millionen gerade noch eine Briefmarke bekommen haben. Allein in den vergangenen 20 Jahren haben Argentinier, Thais und Russen einen nicht unbeträchtlichen Teil ihrer Geldvermögen per davongaloppierender Inflationsraten verloren. Europa ist davon verschont geblieben und wird es auf absehbare Zeit wohl auch bleiben. Aber es gibt nicht wenige Experten, die glauben, dass wir uns auf höhere Inflationsraten einstellen müssen. Denn die Euroländer haben offenbar beschlossen, ihre Staatsschuldenkrise durch „Weginflationieren“ der Schulden zu lösen.

Wegen des Zinseszinseffektes reichen dafür durchaus moderate Raten von fünf bis sieben Prozent, wie wir sie etwa in den 1970er-Jahren gesehen haben. Da ist der Wert des Geldvermögens innerhalb von ein paar Jahren halbiert, ohne dass man es sonderlich merkt.

Solche Inflationsraten unter Kontrolle zu halten ist freilich schwierig. Leichter ist es schon, sie auszulösen: Man muss nur dafür sorgen, dass das Waren- und Dienstleistungsangebot auf der einen und Geldmenge auf der anderen Seite aus der Balance geraten. Etwa durch Aufblähung der Geldmenge: das berühmte „Gelddrucken“.

Der Mechanismus ist im Grunde genommen ein sehr simpler: Dem Waren- und Dienstleistungsangebot steht eine bestimmte Geldmenge gegenüber. Wird deutlich mehr Geld in Umlauf gebracht (die Geldmenge also inflationiert = aufgeblasen), dann trifft höhere Nachfrage auf ein unverändertes Angebot. Die Folge: Wer zu spät kommt, kann sich mit seinem Geld nichts mehr kaufen. Ein Phänomen, das die Älteren unter uns im entschlafenen Ostblock an den langen Schlangen williger Käufer vor leeren Geschäften (die kommunistische Form der Inflation, die auftritt, wenn Aufblähung der Geldmenge auf strikte Preisregulierung trifft) ausgiebig beobachten konnten.

In einer Marktwirtschaft wird die Balance anders hergestellt: Die Preise steigen, bis Geld- und Angebotsmenge wieder übereinstimmen. Der einzelne Geldschein ist dann natürlich weniger wert. Das ist die Teuerung, die auf die eigentliche Inflation (die Ausweitung der Geldmenge) folgt.

In der Eurozone tobt derzeit ein erbitterter Expertenstreit: Müssen wir uns auf mittelfristig hohe Inflationsraten einstellen, wie etwa deutsche Banker nach dem umstrittenen Beschluss der Europäischen Zentralbank, Staatsanleihen zu kaufen (also Geld zu „drucken“), meinen? Oder ist die Aufblähung der Geldmenge egal, solange die in den Markt gepumpte Liquidität „sterilisiert“, also von den Notenbanken „zurückgeholt“ wird, bevor sie in den Konsumkreislauf kommt, wie die Verfechter des Gelddruckens meinen?

Die vergangenen Jahre scheinen eher der zweiten Fraktion recht zu geben. Die amerikanische Notenbank Federal Reserve (Fed) und die Europäische Zentralbank (EZB) pumpen seit vielen Jahren wie verrückt aus dem Nichts geschaffenes Geld in die Märkte, ohne dass sich an der Teuerungsfront allzu viel tut.

Auswirkungen. Das ist eigentlich das Modell Simbabwe, aber es hat bisher nicht einmal ansatzweise die dramatischen Auswirkungen gehabt, die dieses Modell in Afrika hervorgerufen hat. Die offiziellen (aber mittels „hedonischer“ Berechnungsweise der Warenkörbe gedrückten) Inflationsraten sind sowohl in Amerika als auch in Europa recht moderat. Die echte Inflation (die sich auch in lebensnahen Teilindizes wie etwa dem „typischen Wocheneinkauf“ in Österreich niederschlägt) dürfte zwar dies- und jenseits des Atlantiks annähernd doppelt so hoch wie die offiziellen Werte sein. Von galoppierender Teuerung ist aber nichts zu sehen. Dabei wurden die Märkte in der Eurozone von Beginn an unglaublich geflutet. Die sogenannte Geldmenge „M3“ (da sind umlaufendes Bargeld, Bankeinlagen, Geldmarktpapiere etc. enthalten) hat sich seit der Bargeldeinführung Anfang 2002 auf knapp 9970 Mrd. Euro annähernd verdoppelt.

Wo ist das Geld hin? Und wo ist die Inflation, die eine derartige Flutung nach der Gleichgewichtstheorie zwischen Angebot und Nachfrage zwingend hätte auslösen müssen?

Um diese Frage zu beantworten, müssen wir das Reich des Verbraucherpreisindex verlassen. Denn dieser bildet nicht die ganze Welt ab. Er wird anhand eines „Warenkorbs“ ermittelt, der Güter des täglichen Bedarfs, Mieten, aber auch Güter und Dienstleistungen, die man sich nicht jede Woche kauft – etwa Autos, Computer oder Urlaubsreisen – enthält. Nicht aber die Preise für Finanzprodukte wie Aktien oder für Immobilien. Und genau dort hat sich Inflation abgespielt: Es wurde eine Reihe von Immobilienund Aktienblasen aufgepumpt. Fachleute nennen das „Asset Inflation“.

Das Platzen einiger dieser Blasen hat dazu geführt, dass die Geldmenge nach dem großen Knall 2008 nicht mehr so stark gewachsen ist wie vorher. Aber gewachsen ist sie in den vergangenen zehn Jahren so gut wie immer.

Das vergangene Jahrzehnt war also keineswegs so inflationsfrei, wie das gern dargestellt wird. Betroffen davon waren aber hauptsächlich jene besser Situierten, die sich Immobilien und Aktien leisten können.

Dass sich hohe Konsumenteninflation in einer Krise wie jetzt bildet, gilt als eher ausgeschlossen. Dafür müsste nämlich hohe Nachfrage auf ein knappes Angebot treffen. Derzeit klagen die meisten Branchen eher über schlechte Kapazitätsauslastung. Vor allem kann die Lohn-Preis- Spirale, eine der Voraussetzungen für galoppierende Konsumenteninflation, nicht in Gang kommen, solange hohe Arbeitslosenraten das Lohnniveau generell drücken. Das kann sich allerdings schnell ändern. Und dann müssen wir uns auf einiges gefasst machen. Denn für Krisenzeiten sind Inflationsraten von 2,6 Prozent schon verdammt hoch.

Individuelles Phänomen. Wie stark einen die Teurung tatsächlich trifft, ist ein individuelles Phänomen. Denn der Warenkorb ist eine Art Durchschnittswert, von dem das Konsumverhalten des Einzelnen oft beträchtlich abweicht. Regierungen sind jedenfalls bemüht, diesen Index klein zu halten. Die Krönung dieses Versuchs des Kleinrechnens ist die sogenannte „Kerninflation“ in den USA: Hier werden ausgerechnet die derzeit am stärksten steigenden Produktgruppen – Nahrungsmittel und Öl – aus der eigentlichen Inflationsrate herausgerechnet. Bezahlt werden müssen sie von den solcherart mit niedrigen Inflationsraten beglückten Konsumenten trotzdem.

Inflation

Inflation ist genau genommen das Aufblähen der Geldmenge durch Notenbanken. Allgemein verwendet wird der Ausdruck freilich für allgemeine Preissteigerungen für Waren und Dienstleistungen, die auf solche Geldmengenaufblähungen folgen. Gemessen wird die Inflation auf Basis eines „Warenkorbs“, dessen Zusammensetzung im Idealfall das durchschnittliche Konsumverhalten der Menschen widerspiegelt. Das Ergebnis dieser Messungen ist der sogenannte Verbraucherpreisindex (VPI). Eine wichtige Maßzahl, weil zahlreiche Ausgaben (etwa Mieten, Versicherungsprämien oder Unterhaltszahlungen) an diesen Teuerungsindikator gekoppelt sind. Auch bei Lohnverhandlungen spielt der VPI eine maßgebliche Rolle.

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