Wien: Auch im Rathaus wird spekuliert

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Fremdwährungsdarlehen, umfangreiche Derivatgeschäfte der gemeindeeigenen Unternehmen, Cross-Border-Leasing: Auch in der Bundeshauptstadt wurde bisher wild spekuliert. Mit beträchtlichem Verlustpotenzial.

„Wien spekuliert nicht“, haben Bürgermeister Michael Häupl und Finanzstadträtin Renate Brauner als Reaktion auf den Salzburger Spekulationsskandal kategorisch verkündet. Man habe „keine Derivatgeschäfte am Laufen“.

Wirklich? Spontan fallen einem zu diesem Thema Franken-Kredite, umfangreiche Derivativgeschäfte der gemeindeeigenen Unternehmen und Cross-Border-Leasing-Deals ein. Mit beträchtlichem Verlustpotenzial.

Beispielhaft dafür steht die Finanzierung des Wiener Defizits: 38 Prozent der offiziellen Stadtschulden von vier Milliarden Euro (mit den Schulden von Wiener Wohnen und der Krankenanstaltengesellschaft sind es in Wirklichkeit knapp sieben Milliarden) werden in Schweizer Franken gehalten. Das ist technisch gesehen eine kombinierte Zins- und Währungsspekulation. Eine, die ziemlich danebenging: Weil der Franken-Kurs gegenüber dem Euro drastisch gestiegen ist, steht dieses Kreditportfolio derzeit mit etwas mehr als 300 Millionen Euro unter Wasser.

Mehr als ein „Buchverlust“

Ein nicht budgetwirksamer „Buchverlust“, wie die Finanzstadträtin betont. Aber einer, der wohl schlagend werden wird: Um den Kredit aus der Verlustzone zu bringen, müsste der Euro nämlich auf einen Kurs von 1,46 Franken oder mehr steigen. Die Wahrheit auf den Devisenmärkten sieht aber so aus, dass die Schweizer Notenbank mit hohem Risiko (sie ist wegen der ständigen Stützungskäufe schon einer der größten Halter von Euroanleihen) verzweifelt versucht, den festgelegten Referenzkurs von 1,20 zu halten und den Franken nicht auf Parität zum Euro hochschießen zu lassen.

Hier ist das Prinzip Hoffnung ein wenig schwach. Die 300 Millionen Euro, die Wien bei sofortigem Ausstieg aus dem Franken verlieren würde, sind im Übrigen nicht viel weniger als das, was das Land Salzburg mit Derivaten verzockt hat.

Für solche Derivatgeschäfte gibt es in Wien allerdings keine „Ermächtigung“, betont das Rathaus. Das mag für die eigentliche Gemeindeverwaltung stimmen, gilt aber nicht für ausgegliederte Betriebe wie etwa die Wien Holding oder die Stadtwerke. Dort werden solche Geschäfte selbstverständlich gemacht. Die Stadthallengesellschaft beispielsweise hat sich mit Spekulationen auf die Türkische Lira ein bisschen vertan und (als „Absicherung“ für eine Leasingfinanzierung) ein etwas kurioses „Knock-in-Put-Optionsgeschäft“ auf den Schweizer Franken abgeschlossen: Darin garantiert die Stadthalle der Vertragsbank laut Kontrollamtsbericht „einen Umrechnungskurs EUR/CHF von 1,6450“, falls der Wechselkurs am 3. 12. 2012 unter 1,47 liegt. Die Wette auf eine (schon zum Abschlusszeitpunkt ziemlich unrealistische) Franken-Schwäche ist wohl danebengegangen: Er liegt bei 1,20.

Allerdings: Die Stadthalle hat ihr umfangreiches Derivativportfolio häufig umstrukturiert, vielfach lag es auch im Plus. Und die Dimension ist nicht beängstigend: Die Wiener Stadt-Grünen schätzen das verbliebene Gesamtrisiko auf maximal fünf Mio. Euro.

Geschäfte mit Derivaten, die es in Wien nach Ansicht der Stadtregierung nicht gibt, machen auch die Stadtwerke. Im Geschäftsbericht 2011 sind jedenfalls umfangreiche Terminkäufe/-verkäufe, Öl-Swaps und Futures-Deals aufgelistet. Im Gegensatz zum vorangegangenen Jahr lagen diese Deals 2011 allerdings im Plus. Und: Sie dienen in diesem Fall wirklich der Absicherung.

Ein generelles Verbot von Derivatgeschäften im Gemeindebereich wäre bei den Stadtwerken ziemlich kontraproduktiv: Der Wien Energie das „Hedging“ des Gaspreises zu verbieten, würden wohl nur wenige Experten für eine brillante Idee halten.

Die Stadtwerke haben freilich ein anderes Problem, das auch mit internationaler Finanzspekulation zusammenhängt: Cross-Border-Leasing (CBL). In den Neunzigerjahren haben unter anderem die Verkehrsbetriebe US-Steuervorteile lukriert, indem sie etwa U-Bahn-Züge für 99 Jahre an US-Investoren vermietet und dann in Form von Untermietverträgen zurückgemietet haben. Das Geschäft war immer sehr risikoreich, verlief zuerst aber profitabel. Dann kam die Finanzkrise: Weil die Bonität der US-Depotbanken (etwa AIG) abgestuft wurde, mussten die Wiener Sicherheiten nachschießen.

Dafür wurde beispielsweise ein Dollarkredit bei der Kommunalkredit aufgenommen, der in der Bilanz 2011 mit 46,2 Mio. Euro verzeichnet ist. Dazu kommen als Verbindlichkeiten noch 15,9 Mio. Euro für eine „Schuldübernahme“ durch die Bank Austria und 112,29 Mio. Euro an „Verbindlichkeiten gegenüber US-Trust“. Der Fremdwährungskredit wurde übrigens mit einem Devisentermingeschäft über 8,2 Mio. Dollar abgesichert. Von diesen acht Dollarmillionen war zuletzt noch ein „Marktwert“ von minus 447.000 Euro übrig.

Teures Cross-Border-Leasing

Die meisten Cross-Border-Leasing-Verträge wurden unterdessen vorzeitig aufgelöst. Allerdings nicht ohne Kosten: Zurückgeblieben sind noch mit den Geschäften zusammenhängende Verbindlichkeiten gegenüber europäischen Banken. Wie viel Geld das CBL-Abenteuer – eine lupenreine Spekulation – gekostet hat, lässt sich noch nicht exakt abschätzen.

Wien spekuliert also wie alle anderen Bundesländer auch. Wenngleich die Geschäfte meist die Vergangenheit betreffen. Die Neuaufnahme von Franken-Krediten ist inzwischen eingestellt und angeblich gibt es auch eine Order an die gemeindeeigenen Unternehmen, Derivatgeschäfte nur noch zur Absicherung bestehender Geschäfte einzusetzen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.12.2012)

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