Kuba: Wenn der Schwarzmarkt das Überleben sichert

A graffiti of revolutionary character Ernesto 'Che' Guevara is seen on a wall as a men rides past on his tricycle in Havana
A graffiti of revolutionary character Ernesto 'Che' Guevara is seen on a wall as a men rides past on his tricycle in HavanaREUTERS
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Auf der sozialistischen Insel regiert längst das Gesetz von Angebot und Nachfrage: 50 Prozent der Güter werden auf illegalen Märkten gehandelt.

Wer durch die Altstadt von Havanna schlendert, vorbei an renovierten und verfallenden Kolonialbauten, kann an jeder Ecke Zigarren kaufen. Für einen Bruchteil des offiziellen Preises werden die wichtigen Exportgüter an Touristen verscherbelt. Immer gibt es irgendeinen Onkel, Bruder und Cousin, der in der Fabrik arbeitet und die Zigarren besorgt hat. Das ist freilich nur die Spitze des Eisbergs. Überall wird gestohlen: Bauarbeiter stehlen auf der Baustelle, Fleischer in der Hühnerfabrik, Ärzte stehlen Medikamente im Spital - und Apotheker in der Apotheke.

Schätzungen zufolge werden auf Kuba bis zu 50 Prozent der Güter auf dem Schwarzmarkt gehandelt. Es gibt ein feingliedriges Netzwerk, in das fast jeder Kubaner verstrickt ist. Wie dieses funktioniert, zeichnet eine Reportage im "Geo Special" zu Kuba eindrucksvoll nach, indem sie den "Beschaffer" José einen Tag lang begleitet. José trifft auf seinem Rundgang in Havanna nicht nur auf Polizisten, denen er Ersatzteile für den Streifenwagen verkauft, sondern auch auf Evangelina, einer lokalen Vorsitzenden der Nachbarschaftsorganisation "Comité de Defensa de la Revolutión" (CDR). Eigentlich wäre sie dafür zuständig, die Interessen des Regimes in ihrem Viertel zu verteidigen und die sozialistischen Werte hochzuhalten. Doch die 70-Jährige vermietet eine Gefriertruhe an José, der dort gestohlene Lebensmittel sicher lagert.

"Doppelte Währung und Doppelmoral"

"Ich glaube, dass ich glücklich war, als wir alle noch wenig hatten", sagt Evangelina zu "Geo Special". Und: "Wir haben neben der doppelten Währung auch eine Doppelmoral". Das System der zwei Währungen gibt es seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion, der Kuba in eine große Krise gestürzt hat. 1993 wurde der US-Dollar als offizielles Zahlungsmittel neben dem Kubanischen Peso eingeführt, um mehr Devisen ins Land zu bringen. Zehn Jahre später wurde er durch den Peso Convertible ersetzt (siehe Kasten). Mit den Devisen kamen die Touristen und die Devisenläden, immer mehr Kubaner hatten Zugang zu "Luxusgütern".

Währungssystem

Peso Cubano (CUP) Grundnahrungsmittel, Mieten, Strom werden in der einheimischen Währung bezahlt. Allerdings sind viele Lebensmittel und auch Hygieneartikel schwer zu haben und müssen mit Devisen bezahlt werden. Wer dazu keinen Zugang hat, gilt als arm.

Peso convertible (CUC) Der Peso convertible ersetzte 2004 den US-Dollar als Devisenwährung, ist aber weiter an den Dollar-Kurs gebunden. Alle "Luxusgüter“, also etwa Shampoo oder gute Schuhe, müssen in CUC bezahlt werden. Der Wechselkurs zwischen dem Peso convertible und Peso Cubano beträgt 1:25. Ein Monatsgehalt ist selten höher als 20 CUC, viele beziehen einen Großteils ihres Einkommens aus dem Tourismus (Trinkgelder) oder von Verwandten aus dem Ausland.

Um an die harte Währung zu kommen, schrecken viele nicht mehr davor zurück, kriminell zu werden und in staatlichen Lagern zu stehlen. Das führt zu einem Teufelskreis, wie der "Stern" anhand eines Beispiels erklärt: Während die kostenlosen Medikamente in der Apotheke fehlen, werden sie vor der Tür teuer verkauft. Um die begehrten "Peso Convertibles" für die Schwarzmarkt-Medikamente aufzutreiben, bleibt manchen nichts anderes übrig, als selbst kriminell zu werden. Da auch viele Lebensmittel aus den staatlichen Lagern gestohlen werden, kann kaum ein Kubaner seinen täglichen Bedarf über das Bezugsheft decken, mit dem er die stark subventionierte Nahrung in nationaler Währung kaufen kann.

"Alles gehört dem Volk"

Der Staat wird von vielen als Selbstbedienungsladen betrachtet. "Ist das Diebstahl? Wir leben im Sozialismus. Alles gehört dem Volk", meint etwa der Kubaner Pedro im Gespräch mit dem "Stern".

Der deutsche Wissenschaftler Frank Wehinger schreibt in seiner Studie über illegale Märkte: "Greifen illegale Praktiken um sich, kommt es zu ihrer schleichenden Akzeptanz. [...] Die Abweichung wird dann Normalität." Auf Kuba ist man schon einen Schritt weiter. Denn "wenn Verbraucher gezwungen sind, ihre Bedürfnisse auf illegalen Märkten zu stillen", könne die Stimmung leicht in Ablehnung oder sogar Hass gegen das geltende Recht umschlagen, schreibt Wehinger weiter.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Bevölkerung sieht, wie sich hohe Parteimitglieder und Militärs am Staatseigentum bereichern, erklärt der Wissenschaftler Archibald Ritter in seiner Studie zu Schattenwirtschaft auf Kuba.

Harte Verbote und ideologische Predigten

Die Regierung hat immer wieder versucht, den illegalen Markt durch strikte Verbote, harte Strafen und ideologische Predigten einzudämmen, heißt es in der Studie weiter. Dass die Wirkung der Maßnahmen bescheiden ist, kann man auch an zwei populären kubanischen Witzen ablesen: "Der Staat tut so, also ob er uns bezahlt und wir tun so, als ob wir arbeiten", lautet der eine. Und der andere: "Was sind die drei größten Erfolge der kubanischen Revolution? Bildung, Gesundheit und Sport. Und die drei größten Misserfolge? Frühstück, Mittagessen und Abendessen".

Ohne einem neuen ökonomischen System, das kleine Unternehmen fördert, wird es laut Ritter fast unmöglich sein, die Schattenwirtschaft zu bekämpfen. Dass die bisherigen Privatisierungsmaßnahmen (siehe Kasten) nichts an der Situation geändert haben, begründet der Wissenschaftler damit, dass diese aufgrund einer Notsituation entstanden sind und nicht aus einem politischen Reformwillen heraus. Daher könne es leicht passieren, dass zuvor legalisierte Aktivitäten wieder illegal werden. Die Anreize, dem Schwarzmarkt den Rücken zu kehren, seien daher für die meisten Kubaner zu gering.

"Schwarzmarkt hält die Menschen in Angst"

Erst seit kurzem zeigt die Regierung Rául Castro, dass sie tatsächlich bereit für Änderungen ist: 500.000 Staatsbedienstete wurden entlassen, "Arbeiter auf eigene Rechnung" werden gefördert, Familienangehörige dürfen angestellt werden, mehr Branchen werden für Selbstständige geöffnet. Ob der Regierung der Spagat zwischen zentralstaatlicher Kontrolle und Marktwirtschaft gelingt, bezweifeln Experten aber. Bisher verliefen die Reformen schleppend.

Und ob das Regime tatsächlich will, dass der Schwarzmarkt verschwindet, ist ebenfalls fraglich. Denn während er auf einer Seite das staatliche Versorgungssystem schwächt, trägt er auch dazu bei, das System zu stabilisieren, wie "Geo" resümiert: "Er hält die Menschen in Angst; weil jeder auf irgendeine Weise am illegalen Handel teilnimmt, stehen alle mit einem Bein im Gefängnis".

Wirtschaftliche Lockerungen

Als der Ostblock zusammenbrach, war das für die kubanische Wirtschaft eine Katastrophe. Zwei Drittel der Lebensmittel und 80 Prozent des Öls kamen aus den kommunistischen Ländern. Daher sah sich die Regierung zu Privatisierungen gezwungen – vor allem im Tourismus. Eine neue Klasse entstand: Heute verdient jemand, der zwei Zimmer vermietet oder ein kleines Restaurant besitzt, viel mehr als ein Arzt.

Zuletzt kündigte das Regime große Wirtschaftsreformen an: So soll künftig 40 Prozent des BIP im Privatsektor erwirtschaftet werden - heute sind es nur fünf Prozent. Ob die Umsetzung gelingt, ist fraglich.

Dass die Wirtschaft heute einigermaßen stabil ist, liegt vor allem daran, dass das sozialisitsch regierte Venezuela mit seinen riesigen Ölvorkommen die Insel unterstützt. Experten haben berechnet, dass 16,5% des BIP direkt von Venezuela fnanziert werden.

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