Wer in seiner eigenen Wohnung lebt, bringt Wirtschaft zum Wachsen

eigener Wohnung lebt bringt
eigener Wohnung lebt bringt(c) Clemens Fabry
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Ein Teil der Wirtschaftsleistung kann nur geschätzt werden. Manche Daten kommen nie. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wird auf Basis des Outputs der einzelnen Branchen berechnet – abzüglich der Vorleistungen.

Wien. Wenn die heimischen Wirtschaftsforschungsinstitute zur Prognose laden, haben sie vorher lang darüber nachgedacht. Viermal im Jahr – einmal im Quartal – legen das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo) und das Institut für Höhere Studien (IHS) ihre Erwartungen darüber vor, wie sich die Wirtschaft in den nächsten Monaten und Jahren entwickeln wird. Für Marcus Scheiblecker, Ökonom beim Wifo, heißt das jeweils drei Wochen „intensive“ Vorarbeit, sagt er zur „Presse“.

Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wird auf Basis des Outputs der einzelnen Branchen berechnet – abzüglich der Vorleistungen. Daraus ergibt sich die Wertschöpfung. „Wir sind über das Jahr laufend mit Konjunkturbeobachtung beschäftigt. Wir sehen uns internationale Prognosen an, die Annahmen über den Dollarkurs, die Erdölpreise, wir schätzen die Arbeitslosenquote. Dann lassen wir Modelle laufen und überprüfen, ob die verschiedenen Indikatoren zusammenpassen. Die Prognose ist bei uns eine Gemeinschaftsarbeit der Experten für die Teilbereiche“, so Scheiblecker.

Beamtengehälter steigern das BIP

Die Vorgaben, wie das BIP zu berechnen ist, kommen von der UNO und werden an die EU-Kommission weitergegeben. Sie legen unter anderem fest, wie die „Produktion“ für jene Teilbereiche einer Volkswirtschaft berechnet wird, in der keine Umsätze gemacht werden, es dazu also auch keine Daten gibt. Wie zum Beispiel die öffentliche Verwaltung. „Man geht davon aus, dass je höher die Kosten sind, desto höher auch die Produktion. Wenn die Angestellten mehr bezahlt bekommen, ist auch die Produktion höher.“ Erhalten die Beamten eine Inflationsanpassung, wird die Teuerung herausgerechnet, und das reale BIP steigt nicht. Erhöht sich das Gehalt eines Beamten wegen eines Biennalsprungs, führt das hingegen zu einem realen Zuwachs der Wirtschaftsleistung. „Egal, ob er fleißig ist oder nicht.“ Laut Scheiblecker entfallen etwa 13 Prozent des BIPs auf Bereiche, von denen man nicht weiß, wie hoch der Output ist. „Ein Teil des BIPs lässt sich generell schwer bewerten.“ Reine Transfers erhöhen die Produktion nicht.

Geschätzt wird teilweise auch der Umsatz im Bereich Wohnen. Wenn jemand eine Eigentumswohnung besitzt und diese auch bewohnt, wird eine fiktive Miete angenommen, die er an sich selbst bezahlt. Auch das fließt als Produktion ins Bruttoinlandsprodukt, laut Scheiblecker in einem Ausmaß von fünf bis acht Prozent. Der Grund ist, dass in manchen Ländern mehr gemietet, in manchen mehr gekauft wird. Das würde sonst zu Verzerrungen zwischen den Länderdaten führen, erklärt Scheiblecker.

Vieles wird geschätzt

Für die Konjunkturprognose wird auch geschätzt, wie sich der Umsatz der Industrie entwickeln wird. Dazu befragt das Wifo laufend die österreichischen Firmen. „Wir schreiben über tausend Unternehmen per Fragebogen an, die schicken das zurück, und wir werten die Daten aus“, sagt Scheiblecker. Dann werden sie in die Zukunft fortgeschrieben.

Wie sich die Wirtschaft tatsächlich entwickelt hat, lässt sich erstmals im April des Folgejahres einschätzen. Im Juni legt die Statistik Austria eine umfangreiche Schätzung vor – und revidiert auch die Wirtschaftsentwicklung der zurückliegenden Jahre. Das „tatsächliche“ Wirtschaftswachstum wird nämlich noch drei Jahre rückwirkend überarbeitet. „Im Juni 2015 weiß man, wie das Jahr 2012 wirklich war“, sagt Scheiblecker. Wenn überhaupt. Denn so genau, wie man gern glauben möchte, kann das BIP gar nicht berechnet werden. „Die echten Zahlen kommen teilweise nie“, sagt Scheiblecker.

Die Prognosen der Institute zeigen zwar meist in die gleiche Richtung. Die Zahlen unterscheiden sich aber häufig voneinander, wenn auch nur leicht. Dass die Ökonomen bei der Erstellung ihrer Prognosen voreingenommen sind, schließt Scheiblecker aber aus: „Wir untersuchen regelmäßig, ob unsere Prognosen systematisch verzerrt sind, also durchschnittlich zu optimistisch oder pessimistisch. Das prüfen alle Institute.“

Auf einen Blick

Österreichs Wirtschaft stagnierte im zweiten Halbjahr. Laut dem Institut für Höhere Studien (IHS) ist das heimische Bruttoinlandsprodukt im Gesamtjahr 2012 um 0,7Prozent gewachsen. Das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo) rechnet mit 0,6 Prozent. Ein richtiges Wachstum – 1,8Prozent – erwarten die Institute erst im Jahr 2014. Wichtig sei nun, dass der Konsolidierungskurs eingehalten und die Politik im kommenden Jahr kein Geld für Wahlzuckerln ausgebe.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.12.2012)

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