Keuschnigg: „Sollten uns freuen, wenn China reicher wird“

Christian Keuschnigg
Christian Keuschnigg(c) Die Presse (Eva Rauer)
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Der Chef des Instituts für Höhere Studien, Christian Keuschnigg, sieht Österreichs Zukunft optimistisch. Allerdings müssten die Menschen bereit sein, länger zu arbeiten und mehr Geld in Bildung zu investieren.

Die Presse: Einer Studie zufolge sind Pensionisten nirgends in Europa so glücklich wie in Österreich. Haben heute 20-Jährige auch noch so verlockende Aussichten?

Christian Keuschnigg: Das glaube ich schon. Glück hängt nicht nur vom materiellen Wohlstand ab. Es gibt Menschen, die eben die Veranlagung haben, glücklich zu sein.

Sind Österreicher solche Menschen?

Na ja, es wird zwar viel gejammert. Aber auf hohem Niveau.

Die Warnungen vor dem drohenden Verlust der Wettbewerbsfähigkeit und der Unfinanzierbarkeit des Pensionssystems sind also alle übertrieben?

Österreichs Zukunft ist gut. Aber es braucht Anstrengungen, um das zu realisieren. Wirtschaftlich haben wir in Europa viel aufgeholt. Das muss so bleiben. Wenn wir den Vorsprung halten wollen, brauchen wir Bildung und Innovation. Und man muss sich darauf einstellen, dass wir das Glück haben, länger leben zu dürfen. Dafür müssen wir auch länger arbeiten.

Die Forderung ist nicht neu. Mit der Umsetzung tun sich Politiker aber schwer, weil die meisten ihrer Wähler selbst bald Pensionisten sind.

Erstens haben Pensionisten große Opfer gebracht. Und auch sie haben Kinder und denken an die nachfolgenden Generationen. Sie haben viel in deren Bildung gesteckt und werden nicht zusehen, wie Staatsverschuldung und nicht ausfinanzierte Pensionssysteme ihnen eine Hypothek aufbürden. Ich glaube nicht, dass der Widerstand der Pensionisten so groß ist. Aber man kann nicht einem heute 60-Jährigen sagen, dass er fünf Jahre länger arbeiten muss. Das muss man dem 20-Jährigen sagen. Man kann die Alten nicht im Nachhinein überfallen.

Wir haben die dritthöchsten Pensionsausgaben in der OECD. Die Steuerzahler schießen zehn Mrd. Euro zu, um das System aufrechtzuerhalten. Wie lange bleibt das leistbar?

Je länger wir warten, desto teurer wird es. Man sollte den Leuten vorrechnen, wie viel das alles kostet. Heute sind die Kosten gut versteckt. Darum gehen alle so früh in Pension. Das Sozialministerium hat einen Vorschlag errechnen lassen. Demnach dürften wir frühestens mit 72 in Pension gehen. Das ist der wahre Preis der Alterssicherung. Wenn die Leute wissen, was das Altern kostet, werden sie ihr Verhalten ändern. Die Pensionsversicherung ist ja nicht mehr als Ersatz für privates Sparen. Das schieben die meisten Österreicher hinaus.

Allein im vergangenen Jahr stiegen die Belastungen für künftige Bundesbudgets um knapp 50 Prozent auf 156 Mrd. Euro. Ist die Zukunft der Jungen damit nicht schon längst verspielt?

Nein, die Probleme sind bewältigbar. Es wird teurer, weil wir länger leben. Das ist ein Resultat des höheren Wohlstands. Wir können nicht alle Jahre, die wir länger leben, eins zu eins an die Pensionszeit anhängen, sondern vielleicht ein Drittel. Früher wurden die Menschen 80. Ab 20 haben sie zwei Drittel der Zeit gearbeitet und ein Drittel waren sie in Pension. So sollte es auch künftig sein. Wer sechs Jahre länger lebt, arbeitet vier Jahre länger und ist trotzdem zwei Jahre länger in Pension. Das Pensionssystem wird nicht teurer, wir leben einfach länger.

Wer länger arbeiten soll oder darf, braucht auch einen Arbeitsplatz. Leichter gesagt als getan.

Die Antwort darauf kann nur Bildung und Innovation sein. Wir müssen besser sein als die anderen. Länder wie China sind keine Gefahr, sondern eine große Chance. Jedes Produkt, das wir günstig aus China importieren, ist ein Wohlstandsgewinn für uns. Wir sollten uns freuen, wenn China reicher wird. Damit steigen auch unsere Exporte.

China ist eines der Länder mit den höchsten Ausgaben für Bildung.

In Summe mag das stimmen, aber sicher nicht pro Kopf. Die entscheidende Frage für Europa ist, ob wir die Löhne, die wir haben, auch erwirtschaften. Wenn wir nicht besser sind, müssen wir unsere Ansprüche herunterschrauben. Wir haben ja kein Öl. Unsere Ressourcen sind unsere Köpfe. Wenn wir das vernachlässigen, werden wir zurückfallen. Im Süden Europas sieht man das schon heute. Die Ansprüche sind viel schneller gewachsen als das, was geleistet wurde. Jetzt haben wir einen großen Scherbenhaufen und Arbeitslosigkeit.

Wir müssen nicht in den Süden blicken. Auch Österreich ist in den meisten Wettbewerbsrankings zurückgefallen. Verdienen wir schon zu viel für das, was wir leisten?

Die Löhne in Österreich sind wettbewerbsfähig. Wir haben in der EU zehn Jahre einen Eurobonus genossen. Wir sind reich geworden in der EU, auch die Osterweiterung hat der Wirtschaft sehr geholfen. Wir stehen gut da. Wir sind nicht übertrieben wettbewerbsfähig wie die Deutschen. Die akkumulieren Überschüsse in Größenordnungen, die nicht leistbar und vielleicht auch nicht einbringlich sind.

Deutschland war also zu gut?

In gewisser Weise, ja. Erst viel zu sparen und dann das Vermögen so einem Risiko auszusetzen ist schon ein Problem. Die europäische Währungsunion hat verhindert, dass Deutschland aufwerten konnte. Das Land hat große Handelsbilanzüberschüsse angehäuft. Das ist in Wirklichkeit nichts anderes als Sparen. Man konsumiert weniger, als man könnte. Wenn man das letztlich abschreiben muss, war es umsonst.

Ist das ein Plädoyer für höhere Löhne?

Die Deutschen jetzt zu bremsen ist auch problematisch. Aber Produktivitätssteigerungen sind nicht dazu da, dass man ständig drauf verzichtet, sie zu konsumieren.

Welche Fehler werden wir nach der Finanz- und Schuldenkrise nicht mehr machen? Welche immer wieder?

Es wird immer Boom und Rezession geben. Vielleicht nicht so extrem wie bisher. Der Euro ist ein einmaliger Konstruktionsfehler, der jetzt aufgearbeitet wird. Die EU geht das Problem dabei viel direkter an als etwa die USA. Amerika hat sich nichts einfallen lassen, außer Schulden zu machen. Die haben große Angst davor, was passiert, wenn der Staat endlich anfangen muss, seine Rechnungen auch zu bezahlen.

Auf einen Blick

Christian Keuschnigg wurde 1959 in St. Johann in Tirol geboren. Seit 2001 ist er Professor für Nationalökonomie. Schwerpunkt öffentliche Finanzen, an der Universität St. Gallen. Zuvor hatte er einen Lehrstuhl für Finanzwissenschaft an der Universität des Saarlandes inne.

Im Juni dieses Jahres folgte Christian Keuschnigg Bernhard Felderer als Leiter des Institutes für Höhere Studien in Wien nach.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.12.2012)

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